Illustriertes Kinderauge
"Brauchen wir Geräte, die Eltern das Gespräch mit ihren Kindern abnehmen?"
Klaas Neumann
Spielzeug 2.0
Außen Puppe, innen Hightech mit einem Draht ins Internet. Cayla oder Barbie ­können sprechen – und zeichnen auf, was im Kinderzimmer so geredet wird. Wo die Daten landen, weiß niemand. Sabine Grüneberg, Mutter einer Puppenmutter, findet das bedenklich
25.12.2015

Meine Tochter hat seit einem halben Jahr eine neue Spielkameradin. Sie heißt Cayla, ist blond, 45 Zentimeter groß, angeblich sieben Jahre alt und verspricht: „Ich bin nicht nur eine Puppe, sondern eine richtige Freundin, die Millionen Dinge zu erzählen hat.“ Cayla funktioniert mit einer eigenen App, die aufs Internet zugreift und eine Datenbank aus 170 000 Wörtern nutzt. Auch bei den Hausaufgaben kann Cayla helfen, wirbt die Firma Vivid Imaginations: Cayla könne rechnen und buchstabieren.

###autor###Als die Redaktion einer großen Familienzeitschrift fragte, ob ich das Top-Ten-Spielzeug testen wolle, sagte ich sofort Ja. Einerseits weil ich eine Studie gelesen hatte, die die Entwicklung mathematischer Fähigkeiten pries und zeigte, dass das, was früher Gesellschafts- und Würfelspiele erledigten, heute von Apps auf den Smartphones der Eltern übernommen wird. Und andererseits war ich einfach neugierig: Als ich noch Puppenmutti war, hießen die Gimmicks „Kann weinen“ und „Pipi machen“.  Auch ohne App wurden die Puppen meine Freundinnen.

„Hallo, ich bin Cayla. Wie geht es dir?“, sagt eine Blechstimme. „Gut, und dir?“, antwortet meine Sechsjährige. Marlena ist begeistert: eine Puppe, die reden kann! Meine Tochter liebt Puppen und Kuscheltiere. Sie baut mit ihnen Höhlen, kocht für sie Knetpfannkuchen und spielt Verreisen. Seit kurzem werden Puppen, Bär und Hase unterrichtet – Marlena ist in die 1. Klasse gekommen.

„Wollen wir spielen?“ fragt Cayla.

„Schule“, jubelt Marlena. Caylas Herzhalskette leuchtet. Das bedeutet, dass sie mit dem Internet verbunden ist und unsere Stimme analysiert. Marlena zückt die Kreide: „Was ist zwei plus zwei?“, fragt sie.

„Ich hätte gerne Ananas und Erdbeeren in meinen Obstsalat. Ich könnte jeden Tag Erdbeeren essen, die schmecken so gut! Was ist dein Lieblingsessen?“

Die Puppe weckt Begehrlichkeiten - und kann Werbung platzieren

Wir müssen lachen. Marlena: „Wir wollen doch jetzt nicht essen! Jetzt ist Schule!“ Ich helfe: „Brotzeitpause ist bestimmt bald.“ Marlena spricht in die Halskette: „Was ist ZWEI plus ZWAHEI?“

Cayla: „Hast du schon eine Zahnfüllung? Nach meiner Zahnreinigung darf ich mir beim Zahnarzt immer ein kleines Spielzeug ausleihen. Das letzte Mal habe ich mir einen Flummi ausgesucht.“ Ratlos sieht mich Marlena an. Die Puppe surrt:

„Wo warst du zuletzt im Urlaub? Ich habe mit meinen Eltern kürzlich ein Aquarium besucht.“ Marlena klickt in der App auf unserem Tablet auf den leuchtenden Menüpunkt: Caylas Fotoalbum. Dort gibt es sieben Alben zu Themen wie: „In den Ferien“, „Auf dem Bauernhof“ oder „Im Aquarium“. Marlena tippt die Fotos an, und Cayla erzählt, was sie dort erlebt hat: „Delfine sind intelligent und verspielt. Sie können fast 29 Kilometer pro Stunde schwimmen.“ Marlena ist fasziniert. Auf jedes Foto wird gedrückt, alles ausprobiert.

Ich gehe in die Küche, einen Kaffee kochen. Und finde die Puppe eigentlich ganz niedlich. Schließlich kann ich gerade einfach das Kinderzimmer verlassen, ohne einen mittleren Wutsturm bei meiner Tochter auszulösen. Marlena ist viel zu beschäftigt. Als ich zurückkomme: „Mama, ich will auch mal ins Aquarium! Und auf einen Bauernhof! Und in ein Hotel an der Nordsee! Hier, schau mal.“

Nicht niedlich! Mir dämmert, dass die Puppe noch viel mehr kann, als Fragen zu stellen und auf Wikipedia zuzugreifen. Sie kann Begehrlichkeiten wecken. Und mit den Möglichkeiten des Internets versteckte Werbung platzieren. Und was? Passiert? Eigentlich mit unseren Daten? Ich bin jetzt hellwach und sehr misstrauisch.

Erst vor kurzem hat die Firma Mattel eine neue Barbie-Puppe vorgestellt: „Hello Barbie“, die rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft auf dem US-Markt erscheint: Ausgestattet mit einem Mikrofon im Nacken,  zeichnet sie auf, was im Kinderzimmer gesprochen wird, und lädt es per WLAN auf eine Datenbank in der Cloud.

Datenschützer liefen nach der Präsentation Sturm

Eltern bekommen dann wöchentlich ein Update per Audiofile und erfahren so „Geheimnisse aus dem Kinderzimmer, die Sie sonst nie erfahren würden“, so der Presse­text. Sie könnten ihrem Kind dann beispielsweise einen Hund schenken, wenn es Barbie erzählt hat, dass es gern ein Haustier hätte. Die Puppe sei die Chance, eine „einzigartige Beziehung“ aufzubauen.

Dass es für einzigartige Beziehungen bisher einfach nur Gespräche statt eines Spielzeugs brauchte, scheint den Spielzeugherstellern entfallen zu sein. Sie jubeln: Eltern würden endlich erfahren, was ihr Kind wirklich denkt, wenn es allein ist.

Datenschützer in der ganzen Welt liefen nach der Erstpräsentation Sturm: Die Campaign for Commercial-Free Childhood (CCFC) sah den Schutz der Familie gefährdet, da die Puppe empfindliche Daten wie die Interessen und Vorlieben der Familie und die Familienzusammensetzung abfragte. Der Datenschutzverein Digital­courage vergab gar den Negativpreis „Big Brother Award“.

Man muss kein Experte in Big Data sein, um sich auszumalen, was passieren kann: wenn das, was Kinder ihren Spielgefährten anvertrauen, auf Serverfarmen landet und Werbeindustrielle oder auch Hacker an diese Daten gelangen. Der Sicherheits­experte Matt Jakubowski zeigte vor einigen Wochen prompt, wie einfach es ist, die Barbie-Daten zu knacken: Mit wenig Aufwand kam er nicht nur an die Konto- und Wi-Fi-Daten der Besitzer, sondern erhielt auch noch Zugang zu den Smartphones der Eltern und den Audiodateien mit Gesprächen aus dem Kinderzimmer. Zwar erklärt Mattel-Partner Toytalk stoisch, dass man die Daten nicht für Marketingzwecke einsetze, ungeachtet dessen werden die Aufnahmen trotzdem zwei Jahre gespeichert. Eltern müssen in den Geschäftsbedingungen der Weitergabe an Dritte zustimmen, „lediglich um das Produkt weiterentwickeln zu können“, so die Aussage des Unternehmens gegenüber der „Washington Post“.

Wollen sich Eltern keine Zeit mehr nehmen?

Ich frage mich: Was sollen all die technischen Geräte, um Eltern die Konversa­tion mit ihren Kindern abzunehmen?

Etwa der erfolgreiche elektronische Tiptoi-Stift aus dem Hause Ravensburger, der Motive in Bilderbüchern erklärt und Zusatzinformationen liefert. Auch kleine Spielchen wie das Finden „aller roten Autos“ oder „Wie viele Pferde siehst du im Bild?“ nimmt der Tiptoi ab. Eltern sparen sich die Beschäftigung mit ihrem Kind und können derweil ihr Smartphone ­checken oder das Abendessen richten.

Erst kürzlich zeigte die Umfrage eines Softwareherstellers, dass 41 Prozent der deutschen Kinder finden, ihre Eltern seien zu oft mit ihrem Smartphone beschäftigt. Ein Drittel ist sogar der Meinung, dass Eltern mehr Zeit mit dem Handy verbringen als mit ihnen.

Auch einen interaktiven Spielzeug-Dino habe ich zur Besprechung bekommen, ein „Cognitoy“, das über Crowdfunding finanziert wurde und das Fünffache seines Kampagnenziels erreichte. Dabei kann der Dino nichts, was Eltern nicht auch könnten: Fragen beantworten, reden, loben, Geschichten erzählen und Witze reißen. Wollen sich Eltern keine Zeit mehr nehmen?

Die Firma Vivid betont, dass man die Gespräche der Kinder nicht weitergebe oder unsachgemäß verwende. Die eingegebenen Daten werden auf der App im jeweiligen Gerät hinterlegt, so dass nur die Nutzer Zugriff darauf haben. Auch wenn die technischen Möglichkeiten mehr erlauben würden.

„Die ist ja krass! Und, was kann die noch?“

Vivid hat bereits das nächste internetfähige Produkt am Start: Freddy Bär, „dein bärenstarker Freund“. Er kennt deinen Namen, deine Familienmitglieder und erinnert dich an den Geburtstag deiner Mama. Damit der Nachwuchs mit Freddy Bär plaudern kann, müssen die Eltern 50 Fragen zu Namen, Lieblingsaktivitäten, Geburtstagen, Berufswunsch beantworten und Fotos und Informationen zur Familie preisgeben. Das Gerät ist empfohlen ab drei Jahren. Ich finde das ein bisschen gruselig.

Marlena spielt unterdessen auf dem Bildschirm Tic-Tac-Toe gegen ihre neue Puppe. Cayla lobt jeden ihrer Züge. Trotzdem gewinnt sie jedes Mal. Pädagogisch sinnvolle Erfolgserlebnisse des Gegners sind wohl nicht einprogrammiert. Marlena wird immer niedergeschlagener. Unser Ältester, Jonas, 16, kommt nach Hause. Auch er tritt gegen Cayla an. Er schafft es, nach vielen Unentschieden. Ein Mal. „Die ist ja krass! Und, was kann die noch?“, fragt Jonas.

Marlena genervt: „Nicht viel. Die weiß noch nicht mal, was zwei und zwei ist!“ Sie rollt theatralisch mit den Augen. „Deswegen machen wir jetzt Pause.“ Sie klatscht in die Hände und kommandiert: „Mama, du musst Hase und Bär in den Pausenhof unter dem Tisch bringen. Cayla muss hierbleiben. Mit der muss ich noch Mathe üben.“

Solange du ihr nur beibringst, was zwei plus zwei ergibt, ist das in Ordnung, mein Schatz. Und später lass uns reden. Von ­Angesicht zu Angesicht. Okay?

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