Mark Tilewitsch trotz Krankheit gutgelaunt auf der Couch seiner Moskauer Wohnung
Mark Tilewitsch trotz Krankheit gutgelaunt auf der Couch seiner Moskauer Wohnung.
Foto: Oksana Yushko
Mark Tilewitsch
Soldaten der Roten Armee befreiten Deutschland - und zahlten einen hohen Preis dafür. Unter ihnen auch: Mark Tilewitsch
Tim Wegner
28.04.2015

Mark Tilewitsch, 92, liegt auf der Couch im Arbeitszimmer seiner Moskauer Wohnung, er ist sehr schwach. Aber er lächelt. Besuch aus Deutschland, wie schön! Die Erfahrungen, die er als junger Mann mit Deutschen gemacht hat, waren grauenvoll. Er war wenige Tage nach dem Überfall durch Deutschland verletzt und ohnmächtig in Gefangenschaft geraten – „ich hatte gerade die Schule abgeschlossen, und auf einmal war ich in den Händen der SS.“ Noch dazu als Jude und als stellvertretender „Politruk“ für die politische Schulung der Soldaten – das wurde, sagt Tilewitsch, wer höhere Schulbildung hatte. Die Wehrmacht ließ Politkommissare noch auf dem Gefechtsfeld absondern und „erledigen“. Ein Freund riss ihm geistesgegenwärtig das Abzeichen vom Ärmel.

Danke, Viktor!

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Vor 70 Jahren gab sich das faschistische Deutschland endlich geschlagen. Das Kriegsende war nicht schön für die meisten Deutschen. Und es war eine Befreiung, für die die Soldaten der Roten Armee einen hohen Preis zahlten. Zum Artikel.

Zweimal versuchte er, aus Gefangenenlagern in Deutschland zu fliehen, um dem Tod durch Hunger und Schwerstarbeit zu entgehen. Zur Strafe kam er 1943 ins KZ Sachsenhausen bei Berlin. Dort waren im Herbst 1941 bereits 13 000 Sowjetsoldaten ermordet worden – die SS-Männer bekamen zur Belohnung drei Wochen Urlaub in Sorrent spendiert. Tilewitsch war klar: „Aus dieser Hölle kommst du nur durch den Krematoriumsschornstein raus.“ Dazu die Angst, als Jude verraten zu ­werden. Er war zwar nicht beschnitten, da ­seine Eltern Atheisten waren, aber er hatte ­früher nie ein Geheimnis daraus gemacht. Die Mitgefangenen verrieten ihn nicht. Zu seinem Erstaunen zerbrachen sich deutsche Kommunisten und Antifaschisten, die zu etwas besseren Bedingungen im KZ eingesperrt waren, sogar den Kopf, wie sie wenigs­tens einigen Rotarmisten helfen könnten. Sie schafften es, dass Mark Tilewitsch von der tödlichen Schwerstarbeit beim Entladen von Zement wegkam und einem Elektrikerkommando zugeordnet wurde.

Selbstlos solidarische Menschen retteten ihn auch am letzten Tag, im April 1945, als die SS die Gefangenen auf einen Todesmarsch mit täglich 20 bis 40 Kilometern zwang. Tilewitsch kaut Baumrinde gegen den Hunger, plötzlich verlässt ihn jede Kraft, Blut fließt ihm aus Nase und Mund. Das ist das Ende, denkt er. Da schleppen und schleifen ihn zwei Kameraden über Stunden bis zu dem Waldstück, wo sie nächtigen sollen. Im Morgengrauen sieht er lauter Soldaten mit rotem Stern an der Mütze. Er weint vor Glück.

Sein bester Freund erlebte den Sieg nicht mehr. Der viel ältere, hochgebildete und lebensfrohe Major Jossif Koslows­ki hatte im KZ dafür gesorgt, dass die Männer jeden Tag was zu ­lachen hatten. Kurz vor Kriegsende ­ermordete die SS ihn und etwa 100 weitere ­sowjetische Offiziere. Tilewitsch studierte Journalismus, fand aber lange Jahre keine Arbeit – „in Kriegsgefangenschaft gewesen zu sein, war ein kolossaler Makel“. Endlich stellte ihn Russlands größte Automobilzeitschrift an, „Sa ruljom“ („Am Steuer“). Diese Jahrzehnte, ach, sagt Tilewitsch, die seien wie ein einziger Tag an ihm vorbeigerauscht. Das Telefon klingelt, Tilewitsch bekommt den Hörer gereicht, er lächelt, er schäkert.

 

Mark Tilewitsch ist am 7. August 2017 in Moskau gestorben.

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