Zabaleen, Kairo, 25.10.2014: Uebersicht auf Teile des christlichen Viertels Zabaleen in Kairo. Auf den Daechern teilweise klar zu erkennen sind die gestappelten Muellsaecke. Photo by Pascal Mora
Pascal Mora
Im Reich des Mülls
In einigen Stadtteilen von Kairo sammeln und recyceln koptische Christen die Abfälle der Stadt – gründlicher als jede städtische Müllabfuhr. Die Stadtverwaltung hat die Sammler und Verwerter, die zu den ärmsten Bewohnern zählen, lange diskriminiert. Doch jetzt tut sich etwas
Foto: Jacob Russell
09.04.2015

Mit schnellen Schritten geht Amin Adel Shaker durch die Straßen von Garden City. Außer ihm ist an diesem Samstag kaum ein Mensch in dem Kairoer Nobelviertel unterwegs. Amin läuft vorbei an der amerikanischen und der britischen Botschaft, an den Luxushotels entlang der Corniche. Die herrschaftlichen Fassaden hinter hohen Zäunen und Bäumen beachtet er kaum. Sein Revier sind die düsteren Innenhöfe, die Feuertreppen, die Abstellkammern.

Mit einem Bastkorb über der Schulter betritt der 26-Jährige eine mehrstöckige Villa. Die Eingangshalle ist mit weißem Stein ausgelegt, eine breite Flügeltreppe führt in die oberen Stockwerke. Amin lässt sie links liegen und verschwindet durch eine schmucklose Tür. Dahinter verbirgt sich ein kleiner Hof, in dem sich die Müllsäcke der Hausbewohner stapeln. Einige sind aufgeplatzt. Thunfischdosen und leere Milchpackungen liegen auf dem Boden, Pizzakartons und Bananenschalen. Mit stoischem Blick befördert Amin den Müll in seinen Korb, trägt ihn hinaus zu seinem hellblauen Pick-up und wirft die Säcke auf die Ladefläche.

Sofort geht es weiter. Im nächsten Gebäude kommt der Müll aus einem Schacht. Kaum ein Bewohner hat sich die Mühe gemacht, ihn in Säcke zu packen. Mit bloßen Händen schaufelt Amin den Abfall in seinen Korb. „Aua“, sagt er und schreckt zurück. Er zieht eine Spritze hervor. Sein Zeigefinger blutet. Amin kümmert sich nicht weiter darum. „So etwas passiert ständig“, sagt er und zeigt seine vernarbten Hände. Handschuhe will er trotzdem nicht tragen. „Unbequem“, sagt er.

Kairos Müllentsorgung wird zur Erfolgsgeschichte

Amin ist ein Zabal, ein Müllmann. Damit gehört er zu den vermutlich 60 000 koptischen Christen, die für die Abfallentsorgung der ägyptischen Hauptstadt zuständig sind. Schätzungen zufolge sammeln Amin und seine Kollegen 6000 bis 9000 von insgesamt 14 000 Tonnen Müll, die täglich in Kairo anfallen. Männer wie Amin haben keinen Vertrag mit der Stadt. Die Abfallentsorgung ist durch Tradition geprägt, nicht durch Gesetze.

Kairos Müllentsorgung

###drp|i1OOXxf52XLHcPe9Kyt5Efcs00095000|i-40|Pascal Mora|Garden City, Kairo, 25.10.2014 Der Müllkorb von Amin Adel Shaker, 26.  ### Ihre Geschichte beginnt Anfang des 20. Jahrhunderts. Muslime aus Dachla, einer Oase im Westen des Landes, zogen nach Kairo. Die ­Wahiya, „Menschen der Oase“, zahlten den ­Bauherren Geld dafür, dass sie Müll abholen durften. Die Gebühr für ihre Dienste bezahlten die Mieter. In den dreißiger und vierziger Jahren kamen neue Migranten aus Oberägypten, diesmal koptische Christen. Anders als Muslime dürfen sie Schweine züchten und können den organischen Abfall als Futter verwerten. Das System der Müllentsorgung änderte sich: Fortan sammelten die Christen den Müll ein, die Wahiya wurden Mittelsmänner, die sich mit den Bauherren einigten. Die Christen bekamen von da an den Namen Zabalin: „Menschen des Mülls“.

2003 wäre die informelle Vereinbarung fast zu einem Ende gekommen. Damals engagierte die Regierung große Unternehmen, die sich um den Müll kümmern sollten. Ziel war es, die Abfallwirtschaft der Hauptstadt zu professionalisieren. Die Zabalin waren dabei nicht eingeplant. Ein Fehler, wie die Regierung seitdem einräumen musste. Denn die Unternehmen wollten die Kairoer Müllversorgung nach europäischen Standards organisieren. Sie stellen Mülltonnen in den Straßen auf. Doch die Einwohner Kairos warfen den Müll weiterhin in die Treppenhäuser, wie sie es von jeher gewohnt waren. Schleichend kehrte die Abfallwirtschaft zu ihren Ursprüngen zurück.

Im Vergleich zur Müllentsorgung in Großstädten anderer Entwicklungsländer sei das System in Kairo eine Erfolgs­geschichte, sagen Wissenschaftler. Im Jahr 2006 bezeichnete die Fachzeitschrift „Habitat International“ es als „eine der effizien­testen Ressourcenwiedergewinnungen der Welt“.

2009 wurde das System Opfer der Politik. Während der weltweiten Epidemie von H1N1, besser bekannt als Schweinegrippe, ordnete das Landwirtschaftsministerium die Tötung von über 300 000 Schweinen an – obwohl es keine Hinweise gab, dass die Tiere die Krankheit tatsächlich verbreiteten. Viele Ägypter glauben, dass der damalige Präsident Hosni Mubarak mit der Schlachtung vor allem die Islamisten beschwichtigen wollte, seine größten Kritiker, die Schweine noch mehr hassten als den ägyptischen Diktator.

Die Strategie ging nach hinten los. Hunderte wütende Zabalin protestierten gegen die Schlachtungen. Sie weigerten sich, den organischen Müll einzusammeln, und warfen ihn in die Straßen. Ohne Schweine hatte der Lebensmittelabfall keinen Wert für sie. Die mangelnde Hygiene und die sozialen Unruhen waren Teil der immer größer werdenden Unzufriedenheit, die im Januar 2011 in der Revolution gipfelte.

Für Amin und seine Brüder war es in jener Zeit schwer, nach Garden City zu gelangen. „Schlimmer aber war, dass viele Menschen weggezogen sind“, sagt Amin. Zehn ägyptische Pfund, rund 1,18 Euro, sammelt er einmal im Monat von jeder Wohnung ein. Weniger Bewohner bedeutet: weniger Müll und damit we­niger Einnahmen. „Vor allem Ausländer haben den Stadtteil verlassen“, sagt Amin. Woran er das erkannt habe? „Dass weniger leere Whiskeyflaschen und Thunfischdosen im Müll waren.“

Amin ist stolz, ein Zabal zu sein. „Ohne uns“, sagt er, „würde Kairo im Dreck ersticken.“ Seit seinem sechsten Lebensjahr macht Amin den Job. Eine Schule hat er, ebenso wie seine Brüder und die meisten Müllsammler in Kairo, nie besucht. „Wir sind Müllmänner“, sagt er, „und wir werden es immer sein.“

Über die Stunden stapeln sich immer mehr Plastiksäcke auf Amins Pick-up. Die Seiten der Ladefläche hat er mit Pappkartons ausgekleidet, damit mehr darauf passt. „Den Müll richtig zu stapeln ist eine Kunst“, sagt er. Für Außenstehende grenzt es an ein Wunder, dass kein Sack herunterfällt, als Amin den Wagen am späten Nachmittag durch den hektischen Verkehr der ägyptischen Hauptstadt manövriert.

Die Zabalin recyceln extrem effizient

Es dämmert bereits, als Amin Manshiet Nasser erreicht, ein Stadtteil im Osten Kairos. Die Bewohner nennen Amins Viertel auch Garbage City, auf Deutsch: Müllstadt – oder schlicht Zabalin. Die allermeisten Müllsammler leben hier. Die mehrstöckigen Apartmenthäuser aus Beton und Backstein sind – wie in vielen Stadtvierteln Kairos – ohne Baugenehmigung entstanden.

Theresa Breuer

###drp|KWmATz2sxS5UPgmS00kBiXTz00095018|i-38||### Theresa Breuer begann während ihrer Recherche in Kairo, den Müll zu trennen, um den ­Zabalin Arbeit abzunehmen.

Foto: Jacob Russell

Männer, Frauen und Kinder wühlen sich in engen Gassen durch den Inhalt riesiger Plastiksäcke. Tote Ratten liegen auf den un­asphaltierten Straßen. Es stinkt nach Abgasen, Exkrementen und fauligen Essensresten.

Amin fährt in eine schmale Seitenstraße, wo sein Haus steht. Dort warten bereits sein jüngerer Bruder und sein Vater. Sie­ ­helfen Amin beim Entladen. Vor dem Haus stapeln sich Plastiksäcke und offen herumliegender Müll. Im unteren Stockwerk sitzen die weiblichen Familienmitglieder zwischen Müllsäcken und sortieren den Inhalt nach Plastik, Glas, Metall, Papier, Stoff und organischen Abfällen. Im hinteren Teil des Hauses grunzen Schweine. Die Population erholt sich nach der Massenschlachtung 2009 langsam. Zwar gilt die Haltung weiterhin als illegal, ­die Regierung toleriert sie aber. Heute sollen wieder zwischen 50 000 und 80 000 Schweine in Kairo leben.

Pascal Mora

###drp|y2ER3jYCLLu_Kow69_zJ22AF00095015|i-38||### Pascal Mora hat nach dem Fotografieren dieser Geschichte einige der Protagonisten immer wieder gesehen, sammelten die Zabalin doch den Müll vor und in seinem Haus zusammen.

Wenn Amins Familie ein paar Hundert Kilo eines Materials beisammen hat, kommen jene Familien, die sich auf die Wiederverwertung spezialisiert haben. Die Zabalin in Kairo recyceln rund 80 Prozent des Mülls. Kunststoff wird in Granulatoren zerkleinert, verschweißt und an chinesische Unternehmen verkauft, die daraus Badeschlappen und Fußmatten herstellen. Aus altem Papier entstehen Zeitungen, Stoff geht an Textilfabriken.

Nun versucht die Regierung, das System mit den Zabalin zu formalisieren. Der Mann, der sich die Umsetzung zur Aufgabe gemacht hat, heißt Ezzat Naem Gendy. Er ist Chef des Müllsammlerverbands und Leiter von „Spirit of Youth“, einer einflussreichen sozialen Initiative. 1200 Menschen habe er bislang dazu bewegen können, sich in 85 Unternehmen zusammenzuschließen, sagt ­er. Künftig sollen sie ihr Geld über die Regierung bekommen, die eine feste Gebühr für die Müllentsorgung über die Stromrechnung einziehen will. Auch an der Bildung der Müllsammler will er arbeiten. In der „Recycling School for Boys“ sollen die Müllmänner von morgen lesen und schreiben lernen. „Nur so können sie Verträge mit der Stadt abschließen, die ihnen Rechts­sicherheit geben“, sagt Ezzat Naem Gendy. In anderen Müllvierteln Kairos bietet das Hilfswerk der koptischen Christen, CEOSS, unterstützt von Brot für die Welt, Kinderbetreuung, Schulunterricht und auch für die Erwachsenen Alphabetisierungskurse an.

Was noch halbwegs funktionstüchtig aussieht, wird auch gekauft

Was die Zabalin nicht recyceln, kaufen Frauen wie Um Wael. Zielstrebig läuft die 48-Jährige an diesem Samstag mit schwarzem Kopftuch und langem schwarzem Kleid durch die Straßen von Garbage City. Seit 20 Jahren kauft sie hier ein, zweimal die Woche. Der Geruch und die Schweine machen der Muslimin schon lange nichts mehr aus. Mit einem Sack über der Schulter geht sie von Haus zu Haus. „Habt ihr etwas für mich?“, ruft sie die Häuserwände hinauf. Gelegentlich winken die Bewohner sie herein. Um Wael sagt, sie kaufe alles, was halbwegs funktionstüchtig aussieht. In den folgenden Stunden verschwinden in ihrem Beutel Plastikgeschirr, Kassetten mit ägyptischen Schlagern, sogar gebrauchte Klobürsten.

Die Waren verkauft sie auf dem Souk el-Goma weiter, dem Freitagsmarkt in Kairo. Hier kaufen die Ärmsten der Stadt ein, von Badewannen über gebrauchte Hochzeitskleider bis hin zu ­abgetragenen Schuhen. Wie jeden Freitag hat Um Wael eine große Decke auf dem Markt ausgebreitet. Darauf liegen Plastikspielzeug, Rollen für Bürostühle, Einzelteile von Klimaanlagen und Thermoskannen. „Wie viel dafür?“, sagt ein Mann und deutet auf einen abgewetzten Gürtel. „Vier Pfund“, entgegnet Um Wael. Zwei Pfund hat sie in Garbage City dafür bezahlt.

Der Mann probiert den Gürtel an. Er passt. Dann fällt sein ­Auge auf eine Batman-Figur, von der die Farbe abblättert. „Für meinen Sohn“, sagt er. Der Mann reicht Um Wael das Geld und steckt die Waren in seine Tasche. In einigen Jahren wird der Kreislauf des Mülls von neuem beginnen. Wenn der Sohn des Mannes zu alt sein wird, um mit Superhelden zu spielen, wird er die Figur wegwerfen. Einer von Amins Kollegen wird sie in einem düsteren Treppenhaus einsammeln. In Garbage City wird sie eine Familie aus einem Müllbeutel fischen, und eine Frau ­ wie Um Wael wird sie wieder verkaufen.

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