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Ehrenmorde sind selten – und mit guter Prävention sind manche Taten zu verhindern, sagt die Juristin
Tim Wegner
23.02.2015

chrismon: Wie viele "Ehrenmorde" werden in Deutschland verübt?

Carina Agel: Über die Häufigkeit kann man nur spekulieren, weil "Ehrenmorde" statistisch nicht als solche erfasst werden. Nach einer Studie des Max-Planck-Instituts gibt es jährlich etwa drei Fälle. Ich habe in meiner Doktorarbeit 22 Fälle aus Hessen analysiert, die sich zwischen 1982 und 2010 ereigneten.

Was ist Ihr Ergebnis?

16 der 22 Fälle stellten sich am Ende als "Ehren­morde" heraus. Einige andere waren „normale“ Tötungen in Paarbeziehungen, die nicht die Merkmale eines so genannten Ehrenmordes aufwiesen.

Welche Merkmale sind das?

"Ehrenmorde" passieren in patriarchalisch strukturierten Familien, in denen die traditionellen Ehrvorstellungen über Generationen weitergegeben werden, wie zum Beispiel, dass Frauen vorehelicher Sex verboten wird. Die Opfer sind meistens Frauen. Eine entscheidende Bedeutung kommt bei diesen Taten der ­Familienehre zu; der Täter sieht nie nur seine eigene Ehre als verletzt an. Den Entschluss zur Tat fasst meistens die Familie und kein Einzeltäter.

Die eigene Frau, die eigene Schwester töten – macht man das freiwillig?

Oft werden die Täter von der Familie für die Tat bestimmt, es kommt aber auch vor, dass sie die Tat aus eigener Überzeugung be­gehen. In einer Akte lag der Brief eines Mädchens, das einen Mordversuch des Bruders überlebt hatte. Sie schrieb, ihr Bruder sei selbst ein Opfer der Familie. Manchen Männern wurde gedroht: „Wenn du die Tat nicht begehst, mache ich es – und bringe dich auch um.“ Bei dieser Notlage potenzieller Täter kann die Prävention ansetzen.

Damit es in zehn Jahren keine Ehrenmorde mehr gibt?

###autor### Diese Hoffnung habe ich. "Ehrenmorde" sind die ultimative Zuspitzung eines vorherigen Konfliktes. In all meinen Fällen wussten die Frauen von der Gefahr. Anlaufstellen wie spezielle Schutzeinrichtungen müssen noch bekannter werden. Es gibt bereits gute Prävention: Die Polizei in Hessen beschäftigt Migrationsbeauftragte, die mit Familien sprechen, in denen es Probleme gibt, und mit ihrer Kultur vertraut sind. Oder das Berliner Projekt „Heroes“: Schüler mit Migrationshintergrund bekommen eine Ausbildung und diskutieren mit Gleichaltrigen über ihre Ehrvorstellungen.

Haben Sie Bedenken, Vorurteile zu verstärken?

Ja, deshalb betone ich immer, dass Familien, in denen so genannte "Ehrenmorde" begangen werden, nur einen extrem kleinen Teil der in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund ausmachen. Außerdem darf man nicht vergessen, dass es sich bei "Ehrenmorden" um ein selten auftretendes Phänomen handelt. In Deutschland gibt es pro Jahr 2100 Fälle von Mord und Totschlag. Geht man von drei "Ehrenmorden" aus, läge der Anteil bei 0,14 Prozent. Aber wenn es gelingt, die Probleme anzugehen, die in Familien vor einem "Ehrenmord" auftauchen, wäre viel gewonnen.

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