Christoph Pueschner / Diakonie Katastrophenhilfe
"Wir sollten mehr Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen"
Gibt es zu viele Zuwanderer in Deutschland? Fragen an Ulrich Lilie, seit Juli 2014 Präsident der Diakonie Deutschland, der in Berlin ansässigen bundesweiten Dachorganisation evangelischer Diakonie-Einrichtungen.
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
11.02.2015

chrismon: Der Zuzug von Migranten ist von 2012 auf 2013 um 13 Prozent gestiegen. Trauen Sie sich dennoch, für eine großherzige Aufnahme von Flüchtlingen zu plädieren?

Ulrich Lilie: Ja, selbstverständlich. Allenfalls ein Fünftel der Zuwanderer kommen sind Flüchtlinge. Aus dem kriegsgebeutelten Syrien zum Beispiel stammte sogar nur etwa ein Prozent aller Zuwanderer. Das kann überhaupt nicht zu viel sein. Warum nehmen wir nicht mehr Menschen aus Syrien auf?

2013 nahm die Zahl der Syrer in Deutschland um 10 000 Menschen zu – eine Verdopplung. Wie viele hätte Deutschland aus humanitären Gründen jährlich zusätzlich aufnehmen können oder sollen?

Rund 76000 Syrer haben einen Antrag gestellt, zu ihren Verwandten nach Deutschland zu kommen. Deutschland nimmt zwar in Europa bei den absoluten Zahlen der Aufnahmen den ersten Platz ein. Relativ zur Bevölkerungszahl liegt aber Schweden an der Spitze. Deutschland sollte schon wegen seiner Bevölkerungszahl eine Vorreiterrolle einnehmen. Wir von der Diakonie sagen: Deutschland sollte aus humanitären Gründen mindestens 50 000 Menschen zu den bisherigen aufnehmen. Doch auf diese Forderung gab es vonseiten der Politik bislang kein positives Echo. Da müsste ganz schnell etwas passieren.

Warum so dringend?

In den Flüchtlingslagern hat sich im Winter die Lage dramatisch verschlechtert.

Welchen Rechtsstatus hätten dann diese weiteren 50000 Migranten?

Sie bekommen einen humanitären Aufenthaltstitel. . Im Asylverfahren haben wir bei den Menschen, die aus Syrien kommen, übrigens eine Schutzquote von nahezu 100 Prozent. Das zeigt ja, dass sie aus berechtigten Gründen zu uns kommen.

Ulrich Lilie zu Thomas de Maizière

"Die Kritik des Innenministers am Kirchenasyl verrät ein bestürzend formales Verständnis des Rechtsstaates. Ein intaktes Gemeinwesen lebt weiß Gott eben nicht nur von Richterrecht und Rechtsordnung, sondern ebenso auch von Regulativen der Zivilgesellschaft. Selbstverständlich ist Kirche kein rechtsfreier Raum, aber Kirchen sind immer auch Schutzräume für Menschen in besonderen Notlagen gewesen. Das sollen sie nach Gottes Willen auch sein.

Bundesweit gibt es 200 Fälle von Kirchenasyl mit 359 Personen und einer Anerkennungsquote von über 75 Prozent. Damit kann von einer Unterwanderung von rechtsstaatlichen Prinzipien nicht ernsthaft die Rede sein."

Was ist mit den Asylverfahren  – dauern sie zu lang?

Oft ja. Bei Ablehnungen sind die Behörden bemüht, möglichst schnell zu handeln. Wir sagen: Genauso schnell oder noch schneller sollten auch positive Entscheide zustande kommen. Es ist wichtig, dass die Migranten erfahren: Du hast hier sicheren Boden erreicht. Das ist auch die beste Voraussetzung für ihre Integration. Und lieber einem Menschen mehr eine Perspektive bieten als einem zu wenig.

Es gibt Vorschläge aus der SPD-Bundestagsfraktion, die berufliche Qualifikation der Einwanderung stärker zu berücksichtigen. Geht das auf Kosten der Flüchtlinge?

Das wäre falsch. Wir dürfen nicht nur nach dem Nutzen der Zuwanderer fragen. Das Grundrecht auf Asyl ist vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte wichtig und bemerkenswert. Das gilt es zu schützen. Da brauchen wir ein starkes Bündnis der Einsichtigen.

Müssen Kirche und Diakonie bei ihren Äußerungen zur Zuwanderung auch Vorbehalte in der Bevölkerung  respektieren – Stichwort Pegida?

Man darf es den Pediga-Leuten nicht überlassen, beim Thema Migration für das christliche Abendland zu sprechen. Das sollten Kirche und Diakonie tun. Wir haben die Tatsache einfach zur Kenntnis zu nehmen, dass jährlich ungefähr eine Million Menschen in Deutschland zuwandert, die meisten sind freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger. Darunter sind auch ganz viele beruflich qualifizierte Menschen, das darf man nicht vergessen. Deutschland profitiert sehr von diesem Austausch. Die Konzentration der Pegida auf muslimische Zielgruppen ist höchst einseitig.

Aus Eritrea, Somalia, Iran, Afghanistan, Pakistan oder Irak kommen sehr viele Zuwanderer. Warum sind so viele muslimische Länder dabei?

Viele Konflikte werden in ehemaligen Kolonien ausgetragen, in denen Muslime die Mehrheit der Bevölkerung bilden. Da geht es auch um fragwürdige Grenzen aus der Kolonialzeit. Und es geht um islamistischen Terror der IS, unter dem Muslime allerdings ebenso  wie Christen leiden. Diese Gewalt macht weder vor Staats- noch vor Konfessionsgrenzen halt. Und deshalb darf es bei der Aufnahme in Deutschland keine Rolle spielen, ob Muslime oder Christen von Gewalt betroffen sind. Es kommen aus muslimischen Ländern jedoch oft gerade Christen, wie zum Beispiel aus dem Irak.

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Ich komme aus dem Morgenland
und heiße Ali F.
Ich suche eine Freundeshand
und einen guten Chef.
 
Ich habe nichts und habe doch
studiert bei mir zu Haus.
Ich schlief in einem Kellerloch,
doch dieses brannte aus.
 
Ich lebte ständig in Gefahr,
denn Freund und Feind war gleich.
Ich schlug mich durch, ein halbes Jahr,
zu euch, oft tränenreich.
 
Ich bin nun hier und leide Not
an Körper wie an Geist.
Seht mich als Mensch, nicht als Exot.
Ich fühle mich verwaist.
 
Ich komme aus dem Morgenland
und heiße Ali F.
Ich suche eine Freundeshand
und einen guten Chef!
 
Werner Tiltz