Yael Ronen; Regisseurin am Gorki Theater in einem Cafe in Neukoelln
Yael Ronen will zeigen, wie sie die Welt sieht - auf der Theaterbühne.
Mara von Kummer
Der jüdische Großvater floh nach Israel. Yael Ronen lebt lieber in Berlin. Dort bringt die Regisseurin große Gefühle auf die Theaterbühne
10.02.2015

Sie ist sogar hier im „k-fetisch“, einer Berliner Bar voller unkonventioneller ­Leute, eine Erscheinung. Da sitzt sie in bodenlangem schwarzem Kleid und Leder­jacke, korallenrote Blumen im blondlockigen Haar, an einem Tischchen, fast wie im Damenreitsitz, und bemüht sich ernst zu gucken. Denn wenn sie redet, liegt unter ihren Worten ein leicht glucksiger Klangteppich. 

Die Fotografin versucht jetzt, Vorhang und Licht zu drapieren, damit die Erscheinung etwas Theatrales bekommt. Yael Ronen ist ja Theaterregisseurin. Sie wurde in eine Theaterfamilie geboren. Und sie lebt Theater, als wäre es ihre Muttersprache, so sagt sie. Doch die Inszenierung ist gar nicht nötig. Denn erstens ist Yael Ronen auch so ein Charakter. Und zweitens holt sie, was sie auf die Bühne bringt, sowieso nicht aus dem Theaterfundus. Sondern aus ihrem Alltag und dem ihrer Schauspieler: aus den Betten, den Kriegen, dem Holocaust oder dem Abendessen einer jüdischen und einer palästinensischen Familie, die sich trotz besten Willens in ihren Klischees verheddern.

Die Stücke heißen: „Verworren“ (auf Hebräisch: „Plonter“), „Erotic Crisis“, „Common Ground“, „Hakoah Wien“ und „Dritte Generation“. Und man kann anhand ihrer Stücke sowohl die Biografie der 38-Jährigen als auch ihre Arbeitsweise beschreiben. Während des ersten Stücks „Plonter“ lernte sie ihren Mann kennen. Er ist Schau­spieler und aus einer christlich-­arabischen Familie in Haifa. Ihre eigene ist jüdisch-israelisch. Ihr Vater ist Intendant des Nationaltheaters in Tel Aviv, ihre Mutter Schauspielerin, ihr jüngerer Bruder Michael Schauspieler und Regisseur.

In „Hakoah Wien“ erzählen die beiden eine Geschichte von Enkel und Großvater. Der alte Herr stammt aus einer großbürger­lichen Wiener Familie, spielte Fußball in dem legendären jüdischen Verein SC ­Hakoah, wurde auf der Uni Zionist und beschloss 1936, in die Wüste zu gehen, um da eine neue Heimat mit aufzubauen: Israel.

Seinen Enkel aber zog es wieder zurück. Michael nahm, wie seine Schwester Yael später auch, die österreichische Staatsbürgerschaft an. Jetzt leben sie beide in Berlin. „Für meinen Großvater war die Rückkehr das Eingeständnis einer Fehlentwicklung“, sagt Yael Ronen und sogar jetzt lächelt sie. „Die nationalistische Politik unserer Regierung vertreibt die guten jungen Leute.“

In Berlin fühlt sie sich wohler als zurzeit in Israel, seit dem Gaza-Krieg. „In der Kita in Neukölln“, sagt sie, „spielt es keine Rolle, ob mein Sohn eine jüdische Mutter und einen arabischen Vater hat.“ Hier hat sie mittlerweile mehr israelische Freunde als in Tel Aviv. Sie wurde Hausregisseurin am Gorki-Theater, „meiner neuen Heimat“, nachdem sie mit dem Stück „Dritte Generation“ an der Schaubühne und auf Tourneen durch Europa Furore gemacht hatte.

In diesem Stück fetzen sich Schauspieler in Ronens Alter, darunter auch ihr Mann Yousef Sweid. Es sind israelische und amerikanische Juden, muslimische und christliche Araber und atheistische Ost- oder alternative Westdeutsche. Sie fetzen sich mit einer befreienden Offenheit, dass man lachen und heulen kann, als wäre es eine kathartische Vollreinigung. „Wenn wir das, womit wir uns beschäf­tigen, ehrlich machen – dann kann sich das sogar körperlich auf den Zuschauer übertragen“, sagt Yael Ronen.

In „Erotic Crisis“ gab es Schreie, des Entzückens und des Erschreckens, auf der Bühne und im Publikum. Ein paar Tage danach ist sie selbst noch etwas mitge­nommen. „Das Theater ist wie ein Darkroom, in dem du das Unterbewusste von 600 Menschen penetrieren kannst“, sagt sie. Und lacht laut.

Yael Ronen

"Ich will niemanden manipulieren, das wäre einfach, von der Bühne herab. Ich will die Menschen verstehen."

Sie nimmt sich keine fertigen Stücke vor. Sondern fragt ihr Ensemble: Welches Thema beschäftigt euch gerade? Und: Wenn das Theater ein Zauberstab wäre – was würdet ihr damit ändern oder heilen wollen? Dann bilden sie erst mal einen Schutzraum mit einer Atmosphäre, in der jeder in sich gehen und aus sich heraus­gehen kann.

Manchmal machen sie zusammen ­eine Reise, nach Israel beispielsweise oder nach Bosnien. Und dann bringen sie mit Improvisationen, Texten und Szenen ihre Gedanken und Gefühle auf die Bühne: Wie Genozid und Vertreibung noch drei Generationen später in den Menschen ­stecken. Wie der Sex funktioniert, in einer Beziehung zwischen Mann und Frau, mit und ohne Kind. Oder wie sich junge Schauspieler fühlen, die als Kinder vor dem Krieg auf dem Balkan nach Deutschland fliehen mussten und da ihren „Common Ground“ entdeckten. So heißt ihr Stück. Nach der ers­ten Aufführung gab es Tränen, echte, auf der Bühne und im Publikum – als fühlten sich die Menschen in dem dunklen Raum erkannt, vielleicht sogar erlöst. Kritiker nannten es „ein Theaterereignis“.

Yael Ronen sagt: „Kunst passiert – aber man sollte nicht versuchen, sie zu machen. Ich will nicht zeigen, wie ich die Welt sehe und ich will niemanden manipulieren, das wäre einfach, von der Bühne herab. Ich will die Menschen verstehen.“ Alles andere wäre ihr zu prätentiös. Doch etwas mehr als ernsthafte Hingabe braucht man schon. Gut tun außerdem: Souveränität, Intelligenz und Humor. Und jetzt zwinkert Yael Ronen, mit ihren aufgesetzten Winehouse-Wimpern, und schmunzelt.

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