Foto: Matthias Weber/epd-bild
Zufällig oft das Richtige
Nun steht die Losung für den 500. Reformationstag fest. Über die Herrnhuter Losungen und was für erstaunliche Dinge sie an manchen Tagen zu sagen haben
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
16.06.2014

„Ein Bestseller, den man auf den Bestsellerlisten vergeblich suchen wird“, schrieb die Tageszeitung „Die Welt“. Es müssen mehrere Millionen Menschen sein, die weltweit jeden Tag die biblischen Losungen aus Herrnhut lesen oder hören. Die Idee, jedem Tag des Jahres einen ausgelosten Bibelvers zuzuordnen, stammt von Nikolaus Ludwig Reichsgraf von Zinzendorf, Gründer der Herrnhuter Brüdergemeine. Sie verbreitete sich über die ganze Welt – ohne Marketing, einfach so.

Gerade wurden die Tageslosungen für 2017 gezogen – für das Jahr, in dem sich die Reformation zum 500. Mal jährt. Zwei Männer und zwei Frauen versammelten sich um einen Tisch im Sitzungssaal des Vogtshofs zu Herrnhut, eines barocken Prachtbaus an der Ausfallstraße nach ­Zittau. Vor der Losziehung baten sie um Gottes Segen. Weil man das Zufallsprinzip für ein Gottesurteil hält? „Gottesurteil ist ein großes Wort“, sagt Pfarrer Erdmann Becker, auch ein Herrnhuter. ­„Entscheidend ist, dass sich dieses Verfahren menschlicher Einflussnahme entzieht.“

Aus 1824 Losnummern werden jedes Jahr im Frühjahr die 365 Tageslosungen ermittelt. Und immer wieder gibt es merkwürdige Zufälle. So hatte ein Hamburger Anfang März 2001 bei der ­Brüdergemeine die Losungen zu den drei Geburtstagen seiner Kinder angefragt: ­Lukas Benjamin, Anneli Marie und Michel Chris­topher. Es stellte sich heraus: Für jeden der drei Geburtstage (29. Dezember 1995, 19. August 1998 und 19. Februar 2001) ­wurde stets derselbe Losungstext gezogen: Jesaja 54,5, „Dein Erlöser ist der Heilige ­Israels, der aller Welt Gott genannt wird“.

Noch so ein Zufall: „Der Herr macht arm und macht reich“ – aus 1. Samuel 2,7 stammt die Herrnhuter Tageslosung für den 2. Juli 1990. Es war der Tag nach der Währungsunion, als die D-Mark in der DDR eingeführt wurde, einige Monate vor der Wiedervereinigung. Der Vers wirkt wie ein lakonischer Kommentar.

Zwei Mal mussten die Herrnhuter ihre Losung ändern

Dabei werden die Losungen drei Jahre im Voraus ermittelt. Ein Herrnhuter Bruder zieht einen nummerierten Papierstreifen aus einer Glasschale, uralt und von Hand beschrieben. Ein anderer Bruder liest den ­dazugehörigen alttestamentlichen Vers vor. Später werden passende neutestamentliche Verse und Liedzeilen dazu gesucht. Im ­Sommer des Vorjahres kommt das Losungsbuch auf den Markt.

###mehr-extern###Das für 2014 erschien zweimillionenfach in 54 Sprachen. Hinzu kommt eine unbekannte Zahl von Internetabrufen: die Losungen als Startmenü, als App, als E-Mail und zum Einbauen auf der eigenen Website. Finnland hat die größte gedruckte Auflage nach Deutschland, wohl weil es dort keine Konkurrenzprodukte wie Abreißkalender mit frommen Sprüchen gibt. In Tansania sendet Radio Baraka FM täglich Andachten zu den Losungen.

Nur zwei Mal in ihrer 286-jährigen Geschichte wurden die Herrnhuter genötigt, Losungen zu ändern. Anfang 1946 passte der sowjetischen Militärregierung in der Ostzone der neu­testamentliche Vers für den 1. Mai nicht: „Durch den Glauben haben Männer Königreiche bezwungen, Gerechtigkeit gewirkt, Verheißung erlangt, sind kräftig geworden aus der Schwachheit, sind stark geworden im Streit, habender Fremden Heere darniedergelegt“ (Hebräer 11,33f).

Stattdessen verlangte sie einen Vers aus dem Prophetenbuch Haggai 2,4: „Sei getrost, alles Volk im Lande! Und arbeitet!“ Wer die Losungen kannte und aufmerksam war, wird die Zensur bemerkt haben: Hier hätte eigentlich ein neutestamentlicher Vers stehen müssen, keiner aus dem Alten Testament.

Den Vers für den 13. August 1961, Tag des Mauerbaus, konnten die Zensoren nicht mehr zurückhalten. Er lag ja längst in den Stuben der Abonnenten: „Es wird ein Durchbrecher vor ihnen heraufziehen, sie werden durchbrechen und durchs Tor hinausziehen, und ihr König wird vor ­ihnen hergehen und der HERR an ihrer Spitze.“ (Micha 2,13) Bis zur Erfüllung dieser Verheißung sollte es 28 Jahre und knapp drei Monate dauern.

Auch unschöne Geschichten lassen sich zu den Losungen erzählen. Ausgerechnet der größenwahnsinnige General Erich ­Ludendorff, Kaiser Wilhelms letzter Feldherr im Ersten Weltkrieg, hoffte vor seiner letzten Schlacht auf Bestätigung aus seinem Herrnhuter Losungsbüchlein.

Der schlichte Aufruf, Gutes zu tun

Dabei waren die Herrnhuter stets den Weisungen ihres Herrn treu geblieben, fühlten sich Menschen unabhängig von ihrer ­Nationalität verbunden, suchten in Konflikten auf friedfertige Weise den Ausgleich, erlitten lieber Unrecht, als zurückzuschlagen, und verabscheuten rohe Gewalt.

Dennoch, damals, am 14. Juli 1918, dem Vortag des letzten deutschen Durchbruchsversuchs an der Westfront, las Ludendorff in seinem Losungsbuch einen Vers aus dem 5. Buch Mose: „Du bist ein heiliges Volk dem Herrn, deinem Gott. Dich hat der Herr, dein Gott, erwählt zum Volk des ­Eigentums aus allen Völkern, die auf Erden sind.“ Der Vers war mittags Tischgespräch im Gefechtsstand nahe dem französischen Avesnes. Ein gutes Omen, fand der General. Er glaubte, mit „Volk“ könne nur das deutsche gemeint sein . . .

Als tags drauf die Deutschen ihre Feinde unter Trommelfeuer setzten, lautete der Spruch (Nehemia 9,31): „Nach deiner ­großen Barmherzigkeit hast du es nicht gar aus mit deinem Volk gemacht noch sie verlassen; denn du bist ein gnädiger und barmherziger Gott.“ Ob wenigstens dieser Vers den General auf die richtig Fährte brachte? Sein Durchbruchsversuch schlug fehl. Deutschland musste kapitulieren. ­­Der Versailler Vertrag erlegte den Deutschen große Entbehrungen auf. Und dennoch war es nicht ganz aus mit dem Volk – ­diesmal tatsächlich dem deutschen.
In Herrnhut wurde dieses Jahr der Vers für den 500. Reformationstag gezogen. So viel sei schon verraten: Am 31. Oktober 2017 kommt kein Vers über die Rechtfertigung des Sünders, keine Bestätigung der lutherischen Gnadentheologie. Sondern der schlichte Aufruf, Gutes zu tun.

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Der schlichte Aufruf, "Gutes zu tun", widerspricht dem "Evangelisch-Sein".
Wir müssen keine guten Werke + keine guten Taten vollbringen.

Die Kernthese besagt, dass sich der Mensch das Seelenheil nicht durch
"Gutes tun" verdienen kann, sondern aus Gottes Gnade geschenkt bekommt.

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