Rodi Said/Reuters
Wir müssen helfen!
Mehr als eine Million Menschen sind auf der Flucht, getrieben von panischer Angst vor dem Krieg im Irak. Heinrich Bedford-Strohm war dort. Er sagt: Sie brauchen Essen. Geld. Und Gebete
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
12.10.2014

chrismon: Sie waren vor wenigen Wochen im Nordirak, haben dort Flüchtlinge aus der Ninive-Ebene getroffen. Was hat Sie an deren Berichten besonders bedrückt?

Heinrich Bedford-Strohm: Ich habe Menschen gesehen, die in Rohbauten und unter Brücken übernachten. Ich habe Räume in Kirchengemeinden gesehen, in denen sich Menschen nachts dicht an dicht drängen und, um sich tags bewegen zu können, ihre Matratzen an den Wänden auftürmen. Menschen campieren um die Kirchen herum. Ich habe riesige Flüchtlingslager gesehen, die von der UN und von Hilfsorganisationen wie der Diakonie Katastrophen­hilfe finanziert werden. Ein Flüchtlingslager der Jesiden mit 40 000 Menschen wurde in kurzer Zeit von Menschen aus einem sehr viel kleineren jesidischen Ort aus dem Nichts gestampft. Dort fehlt es an vielem, nicht zuletzt an Toiletten.

Mehr als eine Million Menschen sind auf der Flucht vor den Milizen des IS („Islamischer Staat“), die weite Teile des Landes unterworfen haben. Auch Teile des Nordirak werden von ihnen beherrscht, der Krieg ist allgegenwärtig. Wie zeigt sich das im Alltag der Bevölkerung?

Die Menschen haben Angst, zum Teil panische Angst. Ganz besonders leiden Frauen und Kinder. Manche Familien sagten: Wir wollen nur noch raus aus dem Land. Wir sind in den letzten Jahrzehnten schon mehrfach geflohen – und immer wieder folgte uns die Gewalt. Wir haben kein Vertrauen mehr, dass es besser wird. Andere wollen zurück in ihre Dörfer in der Ninive-Ebene, die vom IS erobert waren, aber inzwischen wieder frei sind. Doch die Dörfer stehen leer, niemand traut sich zurück. Zurückgehen würden sie nur, wenn sie wirklich sicher sein könnten.

Viele aus Mossul geflohene Christen wollen auch später nicht zurück in ihre Heimat. Warum nicht?

Etliche Christen sind enttäuscht, dass sich ihre muslimischen Nachbarn nicht für sie eingesetzt haben, als sie vom IS verfolgt wurden, oder dass sie sogar dieser ­Gruppierung beigetreten sind. Das sollten wir aber nicht als unab­änderliche Tat­sache hinnehmen, sondern auf die Muslime ­setzen, die Versöhnung wollen und auf die Christen zugehen. So hat der Rat der kurdischen Religionsgelehrten, mit dem wir gesprochen haben, ­eine Erklärung heraus­gegeben, nach der die Mitgliedschaft im IS unvereinbar mit dem Islam ist und als Sünde gebrandmarkt wird.

Von ursprünglich 1,6 Millionen Christen lebt heute nur noch ein Zehntel im Land. Wie steht es um ihre Zukunft?

###autor### Es wäre extrem traurig, wenn die ­Christen endgültig das Land verließen, denn sie ­leben dort seit 1800 Jahren. Es ist jetzt das erste Mal, dass in Mossul kein christlicher Gottesdienst mehr gefeiert wird.

Die Menschen im Irak und in Syrien ­brauchen Hilfe, sehr viel Hilfe – vor allem angesichts des bevorstehenden Winters. Was kann man im Nordirak tun und was hier in Deutschland?

Das Allerwichtigste im Blick auf die mate­rielle Ausstattung: Die Hilfsorganisa­tionen brauchen Geld, um für den Winter Kleidung zu beschaffen und um für Unter­künfte im Winter zu sorgen. Auch Nahrungsmittel müssen zur Verfügung gestellt werden. Daneben ist mindestens ebenso wichtig, dass wir die Menschen, von denen viele verzweifeln, nicht ver­gessen. Sie brauchen unser Gebet. Das wünschen sich die Menschen im Irak von uns ausdrücklich.

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