Magdalena Jooss
Vom Glück, Türen zu öffnen
Lang war er hochbezahlter Ingenieur bei Siemens, jetzt führt er einen Schlüsseldienst
17.06.2014

Hans-Georg Daniel, 57 :

Zur ersten Tür, die ich als Schlüsselnotdienst geöffnet habe, nahm ich als moralische Unterstützung meinen Sohn mit. Ich war ein bisschen nervös, die Tür war schwierig aufzukriegen. Zuvor hatten es die Hausbesitzer mit Hilfe ihrer Nachbarn selbst probiert und dabei das Schloss endgültig zerstört.

Als ich die Tür endlich geöffnet hatte, war das ein gutes Gefühl. Wenn die Leute mich anrufen, sind sie oft in Panik, dann beruhige ich sie und mache sie mit dem Öffnen ihrer Tür glücklich.

Bis vor zwei Jahren hatte ich einen ganz anderen Beruf: ­Diplomingenieur. 25 Jahre habe ich bei Siemens in führenden Positionen gearbeitet, Karriere gemacht und sehr gut verdient. Ich war ein Arbeitstier, zehn, zwölf Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Ich konnte da was bewegen, und das Betriebsklima war toll. Dann verkaufte Siemens den Telekommunikationsbereich. ­

Mir war klar: Das Ding geht zu Bruch

Es gab eine Umstrukturierung nach der anderen. Der Kunde stand überhaupt nicht mehr im Mittelpunkt. So machte mir die Arbeit keinen Spaß mehr. Mir war klar: Das Ding geht zu Bruch. Ich war 55, als sie Personal reduzierten und mir ein Angebot machten: zwei Jahre Transfergesellschaft und eine Abfindung. Aus meiner Sicht war das okay, ich hatte ja gut verdient und Rücklagen gebildet. Eigentlich war ich sogar froh, als es vorbei war.

Auf meine fast 40 Bewerbungen danach bekam ich nur Ab­sagen: Ich sei zu alt. In meiner Gehaltsklasse bekommt man sehr ehrliche Antworten. Die Betreuerin bei der Transfergesellschaft sagte irgendwann zu mir: „Herr Daniel, ich glaub, das wird nichts mehr.“ Da war ich auch schon drauf gekommen. Aber meine Devise war immer: Wer nicht kämpft, hat schon verloren. Ich wollte mich selbstständig machen. Das kann man ja in jedem Alter.

Ich konnte mir ein Beerdigungsunternehmen vorstellen oder einen Schlüsselnotdienst. Meine Frau sagte: entweder das Beerdigungsunternehmen oder ich. Da war die Entscheidung einfach. 25 Jahre Ehe schmeißt man ja nicht einfach so weg.

Jetzt haben wir einen Familienbetrieb: Meine Frau macht die Post, Buchhaltung, Termine. Unsere beiden Kinder helfen beim Türöffnen mit. Ich musste erst viel Neues lernen, über Bilanzierungen, Verträge, Internetauftritt. Das ist ja das Interessante an der Selbstständigkeit: Man ist von A bis Z verantwortlich. Ein bisschen Schlösser aufmachen konnte ich schon vorher. Aber für eine Schlüsseldienstfirma reichte mein Wissen nicht. Das Wichtigste beigebracht hat mir ein verurteilter Einbrecher, auf den ich im Internet gestoßen war. Seine Spezialität: Türen öffnen, ohne Spuren zu hinterlassen. 450 Euro haben mich zwei Tage Lehrgang bei ihm gekostet, die waren gut investiert. Denn als Schlüsseldienstmonteur muss ich Türen öffnen können, ohne sie zu zerstören. Ich mache immer Festpreise, nach einer Tabelle der Handwerkskammer, gestuft nach tagsüber, nachts, feiertags. Wenn Kunden bei mir anrufen, sage ich ihnen genau, welche Kosten auf sie zukommen.

Manche Kunden sperren sich immer wieder aus

Jede Tür ist anders, das bringt Abwechslung. Wie ein kleines Sudoku. Ich habe auch Kunden, die mich immer wieder anrufen. Die sperren sich öfter aus. Denen baue ich einen Knaufzylinder ein, da kann man den Schlüssel nicht mehr von innen stecken lassen und Pflegedienste kommen immer rein. Im Winter habe ich weniger Einsätze, aber April und Mai sind gute Monate: Die Leute gehen in kurzen Hosen und ohne Jacke raus und lassen alles in der Wohnung liegen, auch den Schlüssel.

Gerade habe ich eine zweite Firma gegründet, da ist meine Tochter Geschäftsführerin. Wir wollen eine Schlüsseldienstplattform online bringen, über die man Schlüsseldienste zu Festpreisen beauftragen kann. Dann muss kein Kunde in einer Not­situation überhöhte Preise zahlen, und auch kleinere Schlüsseldienste können an Aufträge kommen.

Die meisten meiner gleichaltrigen Exkollegen haben keine ­neuen Jobs bekommen. Die gehen jetzt ihren Hobbys nach, einer ist mit dem Fahrrad über die Alpen gefahren. Sie verstehen nicht, warum ich das alles noch mal auf mich nehme. Aber nur fischen gehen oder Schach spielen, das ist nichts für mich. So wie mein Leben jetzt ist, bin ich glücklich.

Protokoll: Kristin Holighaus

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