Marcel Klovert
Sie ist eine philippinische „Maid“ und wohnt hinter der Küche einer reichen Familie in Singapur. Er ist Schweißer und teilt sich ein Zimmer mit elf anderen Arbeitern. Marta und Nonito sind seit 16 Jahren verheiratet. Ihre Ehe findet am Wochenende statt: in einem Zelt am Strand
11.11.2014

Samstagabend, halb acht, ein Villenviertel in Singapur. Leise gurgelt der Swimmingpool im Garten. Auf der Veranda läuft Bayern 3, „Hey sister, do you still believe in love, I wonder?“, singt Avicii. Marta (Namen von der Redaktion geändert) steht in der Küche und schneidet Petersilie. Ihr lockiges schwarzes Haar hat sie hochgebunden, sie arbeitet still und zügig. Wäscht Töpfe und Schüsseln ab, räumt Messer weg, verknotet den Müllbeutel, deckt den Thunfischsalat zu. Sie hat Feierabend, wenn alles erledigt ist. Um kurz vor halb neun wischt sie ein letztes Mal über die steinernen Arbeitsplatten, verschwindet in ihrem Zimmer neben der Waschmaschine, zieht sich ein frisches T-Shirt an, packt das Zelt, die Decke, die Pappe für den Boden zusammen. Ihr Mann Nonito wartet schon. Morgen ist Sonntag.  
Marta ist 48 Jahre alt und arbeitet seit mehr als 20 Jahren im Stadtstaat Singapur als „Maid“, als Haushaltshilfe. Sie hat nur sonntags frei, wie ihr Mann. Er ist 59, ein Schweißer in der petrochemischen Industrie. Beide kommen von den Philippinen. Sie sind seit 1989 ein Paar und haben noch nie zusammengewohnt. Nonito lebt in einem Heim für ausländische Bauarbeiter. Ein ­Zimmer, sechs Stockbetten, zwölf Männer. Jeden Samstagabend holt er Marta ab. Sie fahren an die East Coast, um dort zu zelten.

Sonntags ist Abschied. Da packen sie wieder ein. Bis zum nächsten Samstag.
„Soll ich deine Tasche tragen?“ Sie laufen über den dunklen Parkplatz zum Strand. Er geht mit kurzen, festen Schritten, sie federt leicht auf und ab, löst das Zopfgummi, lacht, schüttelt die Haare. „Trag mich!“ Sie überqueren mit ihrem Gepäck den Radweg und steuern auf den Grillplatz zu. „Guten Abend, alle zusammen“, ruft Nonito. Auf einer Wiese stehen zwei wuchtige Betontische, einige Betonhocker, eine Straßenlaterne, ein Müllcontainer. „Willkommen zu Hause“, witzelt die schwangere Anna. „Dies sind unsere Villen. Wir haben sogar ein natürliches Schwimmbad.“ Sie deutet aufs Meer und die Zelte, die unter knorrigen Bäumen stehen. Am Horizont blinken die Frachter und Öltanker wie eine Christbaumkette.

Der Traum vom Haus am Meer

Nonito und Marta lernten sich am Flughafen von ­Sanaa im Jemen kennen. Er war Mitte 30, hatte wilde ­Locken und einen Schweißerjob in Saudi-Arabien. Sie war Anfang 20 und putzte die Villa eines jemenitischen Ministers. Er fand sie wunderschön. Sie hatte ein bisschen Angst vor ihm. Marta verliebte sich in die Briefe und Kassetten, die Nonito ihr in den folgenden Jahren schickte, er konnte so gut singen.

Halb elf, Marta fädelt das Gestänge durch die Schlaufen am Zelt. „Okay, hoch!“ Sie rollen die braune Pappe auf dem Boden aus und legen eine Decke darauf. „Manchmal ist Nonito sauer, weil er das Zelt allein aufbauen muss“, sagt Marta. „Wenn du einfach dasitzt und mit Freunden quatschst“, sagt Nonito. Dann lacht sie, weil er so ungeduldig ist.

Sie heirateten 1998 in Manila. Schnell und heimlich, nur ihre Mutter war gekommen. Sie wollten ihr hart Erspartes nicht für eine Party ausgeben. Marta träumt von einem kleinen Haus im Grünen, mit Gemüsegarten, ohne Pool. „Ein normales Haus“, sagt sie. „Am Meer wäre schön“, sagt Nonito.

Nonito dreht seinen Plastikbecher mit warmem Bier in den Händen. Er beachtet die Ratte nicht, die unter dem Betontisch hindurchhuscht. Es ist bald Mitternacht. „Das sind freundliche Ratten, die beißen nicht“, sagt Marta. Nonito muss morgen früh in ein neues Wohnheim umziehen, ans andere Ende der Insel. „Vielleicht habt ihr da eine Waschmaschine“, tröstet Kamal aus Bangladesch. „Aber sie werfen alles zusammen!“ Nonito zieht die Nase kraus. „Weißes wird braun wie Schokolade und stinkt nach Schweiß. Ich wasche meine Klamotten lieber weiter in der Dusche.“

1982 Nigeria, 1990 Kuwait, 1993 Saudi-Arabien. 1994 wieder Nigeria, 1996 Katar. 1999 Taiwan, seit 2001 Singapur. Nonito schweißt Tanks, Ventile und Leitungen für die Öl- und Gas­industrie. Er verdient umgerechnet 820 Euro netto im Monat. Das Wohnheim ist gratis. Es sieht aus wie ein Knast. Außentreppen und Gänge sind vergittert. Besucher und Laptops sind verboten. Letztes Jahr sprang ein Chinese aus dem dritten Stock. Es war frühmorgens. Nonito wartete unten auf den Bus. Der Chinese war sofort tot.

Singapurer Einwohner zelten jede Woche von Samstag auf Sonntag an der East Coast in Singapur
Morgens um sieben, der Himmel ist zart weiß-blau, und das Meer schimmert silbern, die ersten Rennradfahrer sausen die East Coast auf und ab. Ein Mann mit getönter Brille sitzt vor seinem Zelt und hört Metallica.  „Never cared for what they do“, gröhlt es über den Strand. Eine Frau in buntem Sari hängt Wäsche über eine Parkbank. Marta schläft noch. Nonito ist schon weg.  

###autor### Sie haben sich erst einmal gestritten. Sie waren ausgegangen, um Karaoke zu singen. Eine fremde Frau wollte Nonitos Nummer. Marta wurde eifersüchtig. „Du bist so hässlich, und trotzdem ­laufen die Frauen dir hinterher“, schimpft sie. Nonito grinst. Er hat einen breiten Mund, eine platte Nase und O-Beine. Doch er kann singen und tanzen, und wenn er lacht, leuchten seine Augen.

Um acht Uhr kommt Marta aus dem Zelt. Ihr Haar ist zerzaust, das Gesicht zerknautscht, sie sieht noch mehr aus wie ein Mädchen. In Schlabbershorts und Badelatschen läuft sie zum Markt. Über die Autobahnbrücke, zwischen Wohnblocks hindurch, über den Kinderspielplatz. Heute gibt es Fisch und Gemüse in Kokosmilch. Ein philippinisches Rezept. Unter der Woche macht sie Lasagne, Muffins, Ananaskuchen für ihre deutsche Familie. Sie kocht europäisch, asiatisch, international. Für sich selbst kocht sie selten. Es gab Zeiten, da saß sie mit ihrer Familie an einem Tisch. Sie waren wie Freunde. Ihre jetzige Chefin möchte das nicht. Sie zieht ein reines Arbeitsverhältnis vor.

Marta und Nonito unterstützen ihre Familien

Marta steht an der Betontafel und schneidet Kürbis. Ein paar Freundinnen, Maids wie sie, spielen auf einer Plane zwischen den Zelten Karten. Windböen fegen durch die Kokospalmen am Strand. Nonito ist noch nicht zurück. Audrey, 29, lehnt an der Tischkante. „Wir kennen unsere Grenzen“, sagt sie. „Nur eine schlechte Maid nutzt es aus, wenn ihre Arbeitgeber gut zu ihr sind.“

Martas Arbeitstag beginnt meist vor dem Frühstück und endet nach dem Abendessen. 365 Euro bekommt sie im Monat. ­Sie teilt sich die meisten Aufgaben selbst ein, feste Pausenzeiten hat sie nicht. Sie hat schon bei Chinesen, Kanadiern, Briten, Amerikanern, Australiern, Deutschen und Indern im Haus gearbeitet. Sie hat so viele fremde Betten gemacht, fremde Böden gewischt, fremde Babys aufgezogen. Sie ist fast 50, und manchmal ist sie sehr müde. „Wenn ich müde bin, werde ich emotional“, sagt sie. Sie weint ab und an, wenn sie abends mit ihrem Mann telefoniert. „Nonito, ich sterbe“, sagt sie. „Unsinn, du stirbst nicht!“, brummt Nonito. „Geh früh schlafen.“

Marta und Nonito verstauen ihr Zelt am Sonntagnachmittag an der East Coast, Singapur
Marta (links) und andere philippinische Maids essen gemeinsam zu Mittag am Sonntag an der East Coast, Singapur
Das Meer ist taubengrau und aufgewühlt. Schwere Tropfen fallen vom Himmel, zwischen den Zelten bricht Hektik aus. Marta bringt die Töpfe in Sicherheit. Linda, Audrey und die anderen Maids und Bauarbeiter binden eine Plane zwischen den Bäumen fest, der Wind zerrt daran, sie lachen und rufen. Als das Regendach endlich hält, ist der Regen vorbei.

Rund 580 000 Ausländer arbeiten in Singapur als Haushaltshilfen oder auf dem Bau, ein gutes Zehntel der Bevölkerung. Die meisten kommen aus Indonesien, Malaysia und den Philippinen. Viele schicken alles Geld, das sie entbehren können, an ihre Familien und kehren irgendwann mit leeren Händen heim. Marta überweist jeden Monat etwas an ihre Mutter. Die war früher selbst eine Maid, in Saudi-Arabien. Martas Vater baute Reis an. Nonitos Mutter verkaufte Fisch, sein Vater war Tischler. Auch er unterstützt seine Familie. Aber sie sparen auch. „Für unsere Zukunft.“

Zum Mittagessen gab es süße Würste, Reis, gebackene Ente und Martas Fisch in Kokosmilch. Sie ist in der Dusche verschwunden, sich hübsch machen. Die WC-Anlage liegt neben dem Grillplatz. Ein orangefarbener Kachelbau, ein paar Duschkabinen, Waschbecken, ein Spiegel, vor dem sich Frauen schminken. „Sonntag ist der einzige Tag, an dem wir das können“, sagt Audrey. Sie trägt einen knappen, rosafarbenen Hosenanzug, roten Nagellack und orangefarbene Ballerinas. Die starken Farben passen gut zu ihrem weichen, braunen Teint. „Viele Singapurer denken, wir sind ­Pros­tituierte und treffen am Strand unsere Kunden“, sagt sie.

Marta und Nonito hätten gern Kinder gehabt, aber es hat nicht geklappt. Sie sind die Ältesten in der Clique, die sich am Strand trifft. Vor fast zehn Jahren fanden sie heraus, dass man am Wochenende an der East Coast zelten darf. Sie kauften ein Zelt, fuhren an den Strand und staunten: Wie soll man in diesem Ding übernachten? Der Verkäufer hatte die Stangen vergessen. Sie legten sich unter einen Baum.

Sechs Tage lang muss Martas und Nonitos Liebe warten

Nonito ist zurück. Er füllt einen Plastikbecher mit Gin und Cola. Es ist fast vier, und er erzählt vom neuen Wohnheim. Der Schlafsaal ist ein bisschen größer. Die Geräte am Eingang scannen nicht mehr seine ID-Karte, sondern seinen Fingerabdruck. Er braucht jetzt eineinhalb Stunden bis zur East Coast. „Sonst ist alles wie vorher.“ Marta zupft Grünzeug fürs Abendessen. Sie trägt eine Bluse mit Punkten und pinken Lippenstift. „Sing etwas für mich, Dada“, bittet sie. „Das inspiriert mich, wenn ich koche.“ Nonito steht auf, um sein Tablet zu holen. Er klickt auf die Karaoke-Version von Robbie Williams’ „Angels“ und singt mit tiefer, warmer Stimme: „Does an angel contemplate my fate? And do they know the places where we go when we’re grey and old?“ Marta sitzt daneben und lauscht. Sie haben sich an die Schatten gewöhnt, die nachts über die Zeltwand huschen, die Stimmen, die Schritte, das Johlen der Jungs, die neben den Zelten noch Fußball spielen, wenn die meis­ten Pärchen schon zu Bett gegangen sind. „Du siehst sie, aber sie sehen dich nicht“, sagt Marta.

Nonito klopft mit einem selbst gelöteten Hammer die harte Schale einer Seemandel auf. Ihre Kerne schmecken süß und nussig. Was magst du an Marta, Nonito? „Eh?“ Er zieht die buschigen Augenbrauen hoch und schaut sie von der Seite an. „Sie ist fürsorglich, liebevoll – und süß“, sagt er schließlich. „Süßkartoffel gefällig?“, fragt Marta und streckt ihm die Knolle hin, die sie ge­rade schält. Die Sonne steht tief.

Er arbeitet, seit er 13 ist. Erst half er seinem Vater, dann lernte er das Schweißen in einer Werft in Manila. Nächstes Jahr, wenn er 60 wird, läuft seine Arbeits­er­laubnis ab. Alte Arbeiter will Singapur nicht. Es sei denn, die Firma bittet ihn, länger zu bleiben. Nonito hofft darauf. „Wenn ich nicht mehr arbeiten kann, habe ich das Gefühl, ich sterbe bald.“ Wenn er gehen muss, geht sie auch, sagt Marta. Sie würde in Manila gern Trainingskurse für Maids geben. Er könnte junge Schweißer ausbilden. Doch sie haben auch Angst. Auf den Philippinen lässt sich schwer Geld verdienen. Nonito gründete schon einmal ein Unternehmen und verlor alle Ersparnisse.

Es ist fast dunkel, das Meer ist wieder still, die Lichter der Öltanker leuchten schon. Vier Pärchen stehen um den Betontisch, auf dem es aus den Töpfen dampft. Sie neigen die Köpfe zueinander, essen ohne viele Worte. Die meisten Zelte sind verstaut. Gleich trennen sie sich. Steigen in Busse und U-Bahnen. Kehren zurück in ihre Schlafsäle und Zimmer. Schlüpfen zurück in ihre Rollen. Marta wird zur Haushaltshilfe, Nonito zum Schweißer. Ihre Liebe muss warten. Sechs Tage lang. Dann ist wieder Sonntag.

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