09.10.2014

Drei Monate nach meiner Geburt bin ich in Meerbusch-Büderich getauft worden. Früh haben mich sicher meine Eltern und meine Großmutter mütterlicherseits religiös sensibilisiert, später meine Frau. Meine Großmutter war als Bäuerin in einem kleinen Dorf im Oberbergischen als Mutter vieler Kinder und mit der Verantwortung für den Hof (der Großvater betrieb ein kleines Bauunternehmen) mit ­einem sehr lebenszugewandten Realitätssinn und einer bemerkenswerten, liebevollen Lakonie ausgestattet. Von ihr habe ich viel gelernt, auch, dass die eigene Nase die ist, an die man sich als Erstes fassen sollte.

Meine Eltern sind beide gläubig, der Vater katholisch, die Mutter evangelisch. Es war für meine Mutter sicher nicht ganz leicht, darauf zu bestehen, dass die Kinder am katholischen Niederrhein evangelisch erzogen werden. Meine Frau hat unter anderem Theologie studiert, bei Dorothee Sölle – da ist in der Folge Haltung gefragt, Auseinandersetzungen eingeschlossen. Das hält frisch.

Die evangelische Kirche in meiner Kindheit erlebte ich als ausgesprochen prägend. Meine bisherige Biografie erscheint mir rückwirkend ohnehin als eine Stationenreise von »Begegnungen mit bemerkenswerten Menschen«, wie Georges I. Gurdjieff das einmal genannt hat. Dazu gehören in meiner Kindheit und Jugend zwei außergewöhnliche Pfarrer in Meerbusch: Hans Hütt und Karl-Hans Schmidt-Arendse. Bei ihnen habe ich Grundlagen gelernt, die mir geholfen haben, mir ein eigenes Bild von der Welt zu machen, das waren: aufmerksam lesen, sich formulieren und zuhören können. Außerdem konnte man in Freizeiten Gemeinschaft erfahren, das war immer auch ein Ringen um Gemeinsames bei unterschiedlichsten Auffassungen, die da aufeinander trafen. Und: Beide waren extrem geduldig, aber auch streitbar.

Dazu kamen als Vorbilder: Dietrich Bonhoeffer, Die Weiße Rose, Heinrich Heine, Kurt Tucholsky, Jean-Luc Godard, Rainer Werner Fassbinder und Joseph Beuys, dem man als Person und dessen Kunstwerken man in meiner Jugendzeit am Niederrhein an jeder Ecke begegnen konnte. Und: Friedhelm Mennekes. Dem katholischen Theologen und Priester, der eine Zeit lang die Kunststation St. Peter in Köln betrieb, verdanke ich die Formulierung der Einsicht, was Kunst und Kirche verbindet: »Nichts treibt den Glauben so sehr wie der Zweifel.«

Die Bergpredigt hat mich sicher am meisten geprägt. Dass es sich lohnt, die Feinde und den Nächsten zu lieben wie sich selbst, finde ich noch immer eine der bemerkenswertesten und ungeheuerlichsten Aufforderungen. Was für eine Einsicht! Alles andere leitet sich für mich daraus ab: Gerechtigkeitssuche, Demut, Wahrhaftigkeit und Barmherzigkeit. Ich fühle mich ausgesprochen »evangelisch«. Es gibt ein Leben vor dem Tod! Mein Glaube ist mir nicht nur in der Not wichtig. Ich finde, dass er durch die dadurch erworbenen Grundhaltungen, die auch immer wieder neu befragt werden, mein Leben doch entscheidend prägt. Das wird mir aber jetzt erst durch das Nachdenken darüber klar.

Wir wurden in einer Barockkirche in Oberwallmenach im Taunus in Begleitung der Familie und von sehr vielen Freunden getraut. Es gab auch ein sehr, sehr schönes Fest im Anschluss in einer mehrgeschossigen Scheune, von einem Obstgarten umgeben, auf dem Land. Das hat in der Folge viele Anwesende animiert, ebenfalls zu heiraten, übrigens auch kirchlich. Wir haben unsere Tochter mit großer Überzeugtheit taufen lassen.

###mehr-extern### Von der Kirche distanziere ich mich nur, wenn ich den Eindruck habe, dass es ihr an Engagement, Einsicht und Offenheit fehlt. Dabei ist es so einfach, wie man an Beispielen von Personen sieht, die ich kennengelernt habe. Bernd Klingbeil-Jahr zum Beispiel macht in der Friedenskirche in Bremen eine außergewöhnlich engagierte Arbeit. Und den ehemaligen Landesbischof der Braunschweigischen Landeskirche Friedrich Weber finde ich auch einen bemerkenswert offenen und sich kümmernden Gottesmann. Distanz entwickele ich, wenn ich den Eindruck habe, dass sich Personen wichtiger nehmen als die Sache.

Die Kirche sollte offen sein. Ein Ort der Veränderung. Den Menschen zugewandt. Und nicht starr, besserwisserisch, belehrend. Wichtig ist mir im Gottesdienst die Gemeinschaft und eine gute Predigt. Störend empfinde ich das ritualisierte Nichts, Inhaltslosigkeit.

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