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Bloß nicht zu den Opfern stellen!
Hartnäckig brachte er NS-Täter zur ­Anklage. Nun ist eine Biografie über ­General- staatsanwalt Fritz Bauer erschienen – und über ­seinen Spagat als ­Jude und Deutscher
Ruthe Zuntz
30.01.2014

chrismon: Warum haben Sie eine Bio­grafie über den hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer geschrieben?

Ronen Steinke: Während meines Jura­studiums Anfang der 2000er Jahre stieß ich auf die Geschichte eines einsamen Staatsanwalts in Deutschland, der sich mutig dafür einsetzte, dass den Opfern des Nationalsozialismus Gerechtigkeit widerfuhr – gegen den eigenen Apparat. Niemand hatte diese Geschichte aufgeschrieben. ­Also beschloss ich, es selbst zu tun.

Die Historikerin Irmtrud Wojak veröffentlichte 2009 die erste Bauer-Biografie. Was bringt Ihr Buch Neues?

Ich setzte mich als Jurist mit Fritz Bauers Rechtsauffassung auseinander und er­forschte ausführlich seine jüdische Identität. Die war in der Literatur bisher nur eine Randnotiz, aber sie führt zum Kern seiner Person.

Was war jüdisch an Fritz Bauer?

Erstaunlicherweise eine Menge. Seine Eltern waren Mitglieder der jüdi­schen Gemeinde in Stuttgart, sein Groß­vater Vorsteher der Religionsgemeinde in Tübingen. Fritz Bauer selbst war Atheist, aber ein betont jüdischer. Er bewegte sich gern in der jüdischen Gemeinde, hielt Reden vor jüdischem Publikum. Und wenn er vom Sozialismus sprach, schaute er in die Thora. Einmal sprach er über den „Sozialen Gedanken des Alten Testaments“. Einmal zog er eine direkte Linie von den Propheten über Karl Marx zum Deutschen Gewerkschaftsbund.

Der Wendepunkt kam gleich nach Kriegsende 1945, also lange vor seiner Rückkehr 1949 aus dem schwedischen Exil.

Richtig. Bauer wollte heimkehren und Deutschland wieder aufbauen, er brannte vor Tatendrang. Dann erfuhr er von den Amerikanern: Jüdische Politiker können wir momentan nicht gebrauchen.

Fritz Bauer wollte am Aufbau eines demokratischen Deutschland mitwirken. Welchen Preis zahlte er dafür?

Den Preis der Selbstverleugnung. Bauer verschwieg fortan sein Judentum. Stattdessen betonte er sein Deutschtum. Nur in privaten Briefen zeigt er weiterhin Sympathie fürs Judentum. 1967, während des Sechstagekriegs, spendete er heimlich ­für Israel.

Wie deutsch war Fritz Bauer?

Er war ein assimilierter deutscher Jude, der immer den Traum lebte, man könne ein deutscher Jude sein, wie man deutscher Katholik oder deutscher Protestant sein kann. Für ihn war Religion eine private Angelegenheit. Er war ein deutscher Jude mit Betonung auf deutsch. Nach der zwölfjährigen Hitler-Zeit war Fritz Bauer überzeugt, Antisemitismus werde in Deutschland künftig gründlich diskreditiert sein. Doch bald stellte er fest, dass die Kluft zwischen jüdischen und nichtjüdischen Deutschen größer war denn je. Viele Menschen dachten: Juden müssten nach den Jahren der Ver­folgung Rachegefühle empfinden.

In Ihrem Buch nennen Sie ein Beispiel.

Ja, ein jüdischer Arzt kehrt aus dem Exil zurück und will in der gynäkologischen Klinik in Offenbach wieder als Frauenarzt arbeiten. Man sagt ihm, deutsche Frauen könne man einem solchen Arzt nicht anvertrauen. Man müsse befürchten, er gehe  mit dem Rachegefühl des KZlers zu Werke.

. . . und ein SPD-Oberbürgermeister stimmte dem zu.

Mehr noch: Die allermeisten Juristen, mit denen Fritz Bauer zusammenarbeitete, standen während der NS-Zeit auf der Täterseite. Deren Objektivität wurde nicht angezweifelt, die Objektivität von Fritz Bauer stand andauernd infrage. Man unterstellte ihm, dass er als Ankläger von persönlicher Rache getrieben sei, nicht vom Glauben an das Recht.

Überlegte Bauer zu kapitulieren und Deutschland wieder zu verlassen?

Nicht ernsthaft. Fritz Bauer hat für seine Mission gebrannt. Er hat sogar gebeten, im Rentenalter weiter arbeiten zu dürfen. Als Verfolgter durfte er dann seine Dienstzeit bis zum Alter von 67 verlängern.
 

"Wenn ich mein Büro verlasse, betrete ich Feindesland" - Fritz Bauer (1903-1968)

1956 wurde Bauer Generalstaatsanwalt. Unter ihm leitete die Staatsanwaltschaft Frankfurt Ermittlungen gegen frühere SS-Angehörige ein, so kam es zu den ersten drei Au­schwitz-Prozessen ­(1963–68). Bauer hielt sich auf Distanz zu den 200 KZ-Überlebenden, die als Zeugen auftraten. War er zu ängstlich?

Richtig ist, dass er sehr peinlich darauf achtete, auf Fotos nicht neben Auschwitz-Überlebenden zu stehen, auch nicht in einer Reihe mit berühmten jüdischen Frankfurter Bürgern. Natürlich hat das zu seiner Isolation beigetragen. Denn diese Menschen wären ihm mit Zuneigung begegnet, bei ihnen hätte er etwas Wärme erleben können. Aber diese Distanzierung würde ich Bauer nicht ankreiden. Er hatte ja ­erlebt, dass es seinem Engagement schadet, wenn man ihn als Betroffenen ausgrenzen kann.

Fritz Bauer verheimlichte, dass er dem israelischen Geheimdienst Mossad 1960 den entscheidenden Hinweis zur Festnahme von Adolf Eichmann, dem Orga­ni­sator des millionenfachen Mordes an den Juden, gegeben hatte.

Das bestätigt, wie isoliert Bauer in der deutschen Justiz war. Die Führungsschicht in Bundesnachrichtendienst, Bundeskriminalamt und in den Landeskriminalämtern bestand zum allergrößten Teil aus ehemaligen SS-Leuten. Fritz Bauer wusste, da würde er keine Ver­bündeten haben. Hätte er versucht, Eichmann nach Deutschland ausliefern zu lassen, hätte kein Weg am deutschen Botschafter in Buenos Aires vorbeigeführt. Der war auch ein alter Nazi und verkehrte obendrein in Nazikreisen, die mit Eichmann in Kontakt standen. Bauer hat die Lage realistisch eingeschätzt. Er hat mal gesagt: „Wenn ich mein Büro verlasse, ­betrete ich feindliches Ausland.“ Er musste sich über deutsche Gesetze hinwegsetzen. Sich als deutscher Beamter an einen ausländischen Geheimdienst zu wenden, war natürlich illegal. Wenn das herausgekommen wäre, wäre er sofort seine Position losgeworden.

Wie unterschied sich Fritz Bauers juristische Auffassung von der seiner Generation?

Im Au­schwitz-Prozess wollte er sich nicht damit befassen, welcher Au­schwitz-Aufseher an welchem Tag wen geschlagen, tot geprügelt oder in eine Gaskammer gestoßen hat. Details hätten ihn von der Hauptsache abgelenkt. Denn die lautete: Es gab eine Maschinerie, die von vornherein darauf getrimmt war, möglichst viele Menschen möglichst effizient zu ermorden. Das war nicht eine Kette einzelner persönlicher Ausfälle sondern eine monströse Regelmäßigkeit. Jeder, der dafür sorgte, dass diese Maschinerie effizient funktioniert hat, ist mitschuldig an den Morden.

Auch wenn es nur um die Ausgabe von Häftlingskleidung ging?

Ja. Fritz Bauer klagte sogar solch einen SS-Mann an. Isoliert betrachtet hatte seine Tätigkeit nichts mit Mord zu tun. Fritz Bauer argumentierte aber: Eine isolierte Betrachtung lenke davon ab, dass auch die Ausgabe von Kleidung Menschen enthuma­nisieren sollte, damit man sie leichter ermorden konnte. Bei den Tätern wurden so Hemmschwellen abgebaut.

Erst im Prozess gegen den gebürtigen Ukrainer John Demjanjuk sahen die Richter ein, dass untergeordnete Ränge in einem Vernichtungslager Teil der Nazi-Mordmaschine waren. Er wurde 2011 als ers­ter nichtdeutscher NS-Befehlsempfänger verurteilt. Welche Urteile verhängten die Richter in den Auschwitz-Prozessen?

Es gab ein paar Freisprüche, was ich nicht pauschal kritisieren möchte. Die verur­teilten Täter kamen teilweise mit Strafen von wenigen Jahren davon. Selbst der ­Adjutant des Lagerkommandanten im ­Vernichtungslager Auschwitz, also die Nummer zwei in der SS-Hierarchie, kam als Gehilfe mit wenigen Jahren Haft davon.

Und Fritz Bauer konnte die Richter nicht überzeugen?

Nein. Er ging in Revision, hatte aber auch in der nächsten Instanz keinen Erfolg. Im Gerichtssaal konnte er sich nicht durch­setzen, aber in der Gesellschaft bewirkte er viel. Bauer hatte das Schweigen durch­brochen. 20 000 Menschen sahen sich den Auschwitz-Prozess an, darunter viele Studenten. Im Prozess kam endlich zur Sprache, was in der Familie, in der Schule und an den Universitäten unter den Tisch gekehrt wurde.

Wurde Fritz Bauer in Deutschland angemessen geehrt?

Nein. Bis in die 1990er Jahre war er fast vergessen. Dabei gab er ein Beispiel für Zivilcourage in der Justiz. Er war sich immer bewusst, dass über dem geschriebenen Recht noch Wichtigeres steht: die Menschenrechte, das Gewissen. Fritz Bauer hat auf die Versäumnisse seiner Kollegen aufmerksam gemacht, auch deshalb haben sie nicht gern an ihn erinnert. Kurz nach seinem Tod 1968 hat der Gesetzgeber eine plötzliche Verjährungswelle ermöglicht. Viele Verfahren gegen NS-Verdächtige wurden eingestellt. Heute erinnern neben dem Fritz-Bauer-Institut in Frankfurt am Main vor allem Straßennamen an ihn. Fritz-Bauer-Platz 1 ist die Adresse der Braunschweiger General-staatsanwaltschaft. Es gibt Fritz-Bauer-Straßen in Frankfurt, Stuttgart und in der nordrhein-westfälischen Kreisstadt Heinsberg.

Hat Israel Fritz Bauer für seine Verdienste bei Eichmanns Festnahme gewürdigt?

Erst nach seinem Tod. Zu Lebzeiten hätten die Israelis seine Position als Beamter in Deutschland gefährdet.

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