Foto: Jürgen Bauer
"Ich will hoffnungsvoll sterben"
Sibylle Lewitscharoff spricht im Interview über die gute Nachricht des Christentums, wie sie religiös sensibilisiert wurde, und die Anbiederung an den Zeitgeist.
09.10.2014

Wann und wie sind Sie getauft worden?
Wann genau weiß ich nicht, aber wohl kurz nach der Geburt, also 1954, in der Heilig-Geist-Kirche in Stuttgart-Degerloch.

Wer hat Sie religiös sensibilisiert?
Meine fromme Großmutter, die bei uns im Haus lebte, ein äußerst freundlicher, gutherziger Mensch.

Wie erlebten Sie die evangelische Kirche in Ihrer Kindheit und Jugend?
Während der Kindertage war ich sehr fromm, betete auch gern, spazierte vergnügt mit der Großmutter in die Kirche. Prägend war aber nicht der Pfarrer, sondern die Großmutter, die so herrlich aus der Bibel erzählen konnte. Zweitliebstes Geschöpf war mein Rauhhaardackel. Selbstverständlich betete ich auch für ihn. Dann wurde alles anders. Der Vater erhängte sich. Die Großmutter starb. Schon vor der Konfirmation war mit der Frömmigkeit Schluss. Spartacus-Bolschewiki-Leninisten, ein komisches Splittergrüppchen, beherrschten fortan meinen Kopf und meine Seele. Erst sehr viel später, während des Studiums, kam es wieder zu einer Annäherung an die Bibel, überhaupt an religiöse Themen.



Welche Vorbilder haben Sie geprägt?
In religiöser Hinsicht nur meine Großmutter. Später dann Autoren der Moderne, bei denen die tastenden Versuche, zu ergründen, ob es einen Gott gibt oder nicht, und wenn ja, wo Er sich verbirgt, falls Er sich verbirgt, prägende Gestalt annehmen. Deshalb sind meine literarischen Säulenheiligen Franz Kafka und Samuel Beckett.

Was ist für Sie die gute Nachricht des Christentums?
Das Gebot der Nächstenliebe ist überragend. Die gute Nachricht ist natürlich auch: Es gibt ein Leben nach dem Tode, und erst dann wird uns ein immenser Erfahrungs- und Wissensschatz aufgetan und zuteil werden. Erlösung vom Kleinlichen und Gedrückten und Bösen meiner bisherigen Existenz, darauf hoffe ich. Hoffe natürlich auch, dass die Strafe nicht allzu streng ausfallen wird. Dass ich straflos davonkommen werde, daran glaube ich allerdings nicht. Es widerstrebt meinem Gerechtigkeitsgefühl. Meine liebenswürdige Großmutter wird allerdings ein gutes Wort für mich einlegen. Sie wähne ich umstandslos aufgenommen in die Schar der
Gerechten.

Wann ist Ihnen Ihr Glaube wichtig?
In Momenten extremer Vergnügtheit, wenn ich bei Schönwetter und angesichts herumhupfender Zwitscher-Spatzen dankbar gen Himmel blicke und versucht bin, die Hände zu falten, beglückt und gerührt über das schöne Leben, das mir geschenkt wurde. Umgekehrt aber auch, versunken in die Schwärze, wenn mich meine Krankheit stärker packt, ich nachts nicht schlafen kann und um Trost flehe.

Welche Bedeutung hat Ihr Christsein im Alltag?
Das Gebot der Nächstenliebe gilt. Schwächung der immerzu sprungbereiten Aggressionen.

Wann beten Sie?
Selten.

Was bewirkt, dass Sie sich von Ihrer Religion distanzieren?
Ich distanziere mich nicht von meiner Religion. Ich distanziere mich allenfalls von verwilderten haltlosen Formen der Predigt und des Gottesdienstes, der permanenten Anbiederung an den Zeitgeist.

Was sollte die Kirche Ihrer Meinung nach sein?
Strenger. Konzentrierter.

Was nicht?
Plappernd. Zu kitschigen seifigen Klängen die Klampfe rührend.

Wenn Sie in den Gottesdienst gehen: Was ist Ihnen wichtig? Was stört Sie?
Bei einer guten Predigt blühe ich auf. Und es gibt gottlob noch immer hervorragende Organisten. Good-will-Gefasel während der Predigt, das von der Bosheit und Verderbtheit des Menschen nichts wissen will und sich in seichtem Scheintrost ergeht, lässt mich insgeheim das Messer wetzen.

Wie wollen Sie sterben?
Hoffnungsvoll. Freundlich. Versöhnt.

Interview: Elke Rutzenhöfer

Sibylle Lewitscharoff debütierte 1994 mit einem Prosaband zu einer alten chassidischen Legende, »36 Gerechte«, es folgten die Erzählung »Pong«, die Romane »Montgomery«, »Consummatus«, »Apostoloff« und »Blumenberg«; zuletzt der Kriminalroman »Killmousky« (2014): Die 1954 in Stuttgart geborene Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff wurde für ihr Werk vielfältig ausgezeichnet, zuletzt 2013 mit dem Georg-Büchner-Preis. Im März 2014 löste ihre »Dresdner Rede« »Von der Machbarkeit. Die wissenschaftliche Bestimmung über Geburt und Tod« eine heftige Debatte über künstliche Befruchtung und Leihmutterschaft aus.

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Hier gibt sich Frau Lewitscharoff als zwar in der Jugend enttäuschte, später aber doch zurückgekehrte Christin, die auf den barmherzigen Gott hofft, auf dass er sie nicht zu streng beurteilen möge. Nach ihrer Dresdner Rede, bei der sie das von ihr angeblich doch so hoch gehaltene Gebot der Nächstenliebe mit Füßen getreten hat, als sie in künstlicher Befruchtung gezeugte Kinder als "Halbwesen" diffamiert hat, war sie noch nicht mal "Frau" genug, sich der Kritik ernsthaft zu stellen. Mehr als eine halbherzige Zurücknahme wurde es nicht und nichts lag ihr ferner als kritische Briefe zu beantworten. So jemand muss schon sehr auf die Nächstenliebe seiner Mitmenschen hoffen.

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Vernunft und Verantwortungsbewusstsein für Gemeinschaft und Gemeinschaftseigentum "wie im Himmel all so auf Erden", also OHNE wettbewerbsbedingt-hierarchische Symptomatik, damit Mensch zum Ebenbild als ganzheitliches Wesen Mensch wird und ..., das hat sie offenbar nicht im Sinn gehabt.

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