Kaja Grope
Alkoholikerin? Ich doch nicht!
Doch, war sie. Seelisch abhängig. Und der Weg aus der Sucht erwies sich als lang und steinig
Tim Wegner
23.04.2014

Katrin Kerpen*, 49:

Ein Alkoholiker ist einer, der täglich trinkt und verwahrlost unter der Brücke lebt. Dachte ich. Ich trank ja nicht täglich. Ich machte viel Sport, ich hatte Freunde und einen Job als stellvertretende Abteilungsleiterin in einem Großhandelsbetrieb.

Aber im Unterbewusstsein war mir klar, dass das nicht normal ist, wie ich mit Alkohol umgehe. Wenn ich trank, dann tagelang, Freitag, Sonnabend, Sonntag. Meistens trank ich Sekt. Schon morgens, wenn ich noch Restalkohol hatte, habe ich einen aufgekippt, damit ich in diesem Zustand bleibe. Mit Genuss hatte das nichts zu tun.

Dann baute meine Firma Personal ab, auch mir wurde ge­kündigt. Nach 15 Jahren! Eine Welt brach für mich zusammen. Einen Monat lang gab ich richtig Kanne. Dann sagte ich mir: ­Entweder du säufst dich zu Tode, oder du räumst jetzt dein Leben auf. Also ging ich zur Suchtberatung, von da zum körperlichen Entzug und dann noch für vier Monate zur Therapie in die evangelische Fachklinik Freudenholm. Da geht es um den psychischen Entzug vom Alkohol.

Die Gruppen- und Einzelgespräche waren sehr anstrengend. Ich hatte mich vorher kaum mit mir selber auseinandergesetzt – sonst hätte ich ja nicht so lange weitergemacht. Ich habe nach außen gelebt, hatte immer viel an den Backen. Jetzt aber musste ich nachdenken: Was will ich in meinem Leben ändern, damit ich den Alkohol nicht mehr brauche? Wie sorge ich besser für mich?

Viele werden gleich in den ersten Monaten nach der Therapie rückfällig. Ich wollte unbedingt trocken bleiben. Innerlich hatte ich lauter Alarmanlagen an, die blinkten, wenn ich an Menschen oder in Situationen geriet, die mir nicht guttaten. Dann ging ich da gleich weg. Ich zählte jeden Tag, den ich trocken überstand. Schließlich hatte ich ein Jahr geschafft – tschakka, das ist doch schon mal was! Von da an zählt man die Jahre. Aber in meiner Selbsthilfegruppe war auch einer, der immer noch jeden Tag ­zählte: „Ich bin jetzt 1253 Tage trocken.“
Inzwischen hatte ich auch wieder Arbeit, alles lief gut – da fing das an, dass ich immer öfter in schwarze Löcher stürzte und nicht mehr rauskam. Es waren Depressionen. Die Hölle.

Ich hätte mich totgetrunken

Man denkt ja: Wenn man die Sucht los ist, ist man gesund und glücklich, weil das größte Problem weg ist. Dabei fangen die ­Probleme jetzt erst an. Denn die Sucht ist nur die Spitze des ­Eisbergs. Erst wenn du nicht mehr trinkst, wird klar, welche Baustellen du eigentlich hast. Ganz ehrlich: Wenn ich vorher gewusst hätte, was da noch alles kommt und wie viel Kraft mich das ­kostet, dann hätte ich mich totgetrunken.

Es war eine schlimme Zeit. Ich sagte mir: Du musst was tun, sonst springst du von der Brücke. Also ließ ich mir Antidepressiva verschreiben, ich machte eine Verhaltenstherapie und vor kurzem auch noch eine analytische Psychotherapie. Und schrittweise verstand ich, dass ich mit dem Alkohol immer was weggemacht ­habe, mit dem ich nichts mehr zu tun haben wollte.

Ich hatte schon als Kind andauernd sterben wollen, weil ich nicht ertrug, wie mein Vater mich behandelte. Er hat alle seine Kinder verhauen und angeschrien, aber auf mich hatte er einen besonderen Brass. Ich hatte das Gefühl, dass ich es nicht verdient habe, auf der Welt zu sein.

Es war ein harter Weg - und er hat sich gelohnt

Deshalb muss ich heute sehr viel dafür tun, dass ich emotional im Gleichgewicht bleibe. Aber ich schaffe das immer besser. Es war ein harter Weg bis hierher, und er hat sich gelohnt. Dass ich ein Gespür für mich bekommen habe, dass ich mich selber ­achte, dass ich heute Veränderung positiv sehe, dass ich ganz viele ­Ängs­te nicht mehr habe – das ist doch der Hammer, wie ich gewachsen bin! Mein Leben ist jetzt so reich.

Jetzt ist es elf Jahre her, dass ich das letzte Mal Alkohol getrunken habe. Manchmal, wenn es mir schlechtgeht, denke ich daran, wieder zu trinken. Aber ich weiß genau: Es bringt mir nichts. Es geht mir 10 000 Mal besser ohne Alkohol. Eigentlich passte dieser Alkohol sowieso nie zu mir. Denn ich fühle mich besser, wenn ich klar im Kopf bin und alles wahrnehmen kann. Übrigens kann ich mittlerweile auch bei anderen Leuten erkennen, ob ­die Genusstrinker sind oder mit dem Alkohol was wegdrücken.

Protokoll: Christine Holch

* Name von der Redaktion geändert

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