DIETER-SCHLEICHER
Ja, gibt es. Kann für die Täter aber auch zum Blindgänger werden, erklärt ein Kunstwissenschaftler
Tim Wegner
11.11.2014

chrismon: Kunst und Terrorismus – was haben die miteinander zu tun?

Sebastian Baden: Bilder von Terrorismus und Terror gehören zur politischen und auch christlichen Ikonografie – und damit zur Kunstgeschichte. Während der Französi­schen Revolution wollten die Jakobiner, dass sich Darstellungen von den Hinrichtungen mit der Guillotine verbreiten. Auch beim sogenannten IS, dem Islamischen Staat, ist dieses Ausstellungsprinzip zu erkennen: Terroristen stellen Bilder und Videos von Hinrichtungen und Gefechten ins Internet. Geschütz und Kamera haben eine gleichrangige Funktion: Die Waffe verschießt Granaten, die Kamera Propaganda. Von Golgatha über das Schafott bis zu Youtube: Es gab und gibt eine öffentliche Plattform für Machtdemonstrationen, nur die Medien sind andere.

Was soll die IS-Propaganda erreichen?

Der IS will sich ein Herrschaftsgebiet untertan machen, auch mit Hilfe der Bild- und Video­propaganda. Terrorismus ist, wenn eine Gruppe versucht, sich gewaltsam Zugang zur Herrschaft zu verschaffen. Terror beginnt, wenn die Herrschaft errichtet ist – um sie zu festigen. Das macht der IS derzeit.

Scheint den Terroristen leider zu gelingen.

Glaube ich nicht. Tötet der IS Geiseln, beruft er sich letztlich darauf, es seien „Ungläubi­ge“. Diese Legitimation ist viel zu schwach in einer Religion, die multikulturell geprägt ist und die immer Umgang mit Menschen anderen Glaubens hatte.

Wie sollen Medien mit diesen Videos und Bildern umgehen?

Niemand sollte Hinrichtungs­videos einfach so über soziale Netzwerke verbreiten. Aber Fern­sehsender und Onlineredaktio­nen sollten sie – kommentiert und auszugsweise, ohne die eigentliche Hinrichtung – zeigen, so dass die Täter dadurch entzaubert werden. Problematischer ist, dass manche Medien Jeeps mit hochgestreckten MGs auf ihren Titelseiten hatten. Damit ist dem IS eher geholfen, denn dessen Bildsprache ist aufregend inszeniert und unterstützt die Botschaft: „Jeder kann zu uns kommen und kämpfen, wir geben euch eine Identität und Ehre.“ Man könnte salopp sagen: „So zu kämpfen, macht euch cool.“

Erklärt das, warum „ganz normale“ Menschen zu Terroristen werden?

„Normal sein“ ist heute eine Stigmatisierung. Aber wer sich schwarze T-Shirts mit der Aufschrift „Djihadi“ oder „Mujaheddin“ anzieht, provoziert. Mit Heavy-Metal-Shirts, deren Anmutung sie kopieren, klappt das nicht mehr. Nehmen Sie Deso Dogg, den Berliner Rapper, der sich dem IS angeschlossen hat. Mit seinem Gesang war er nur in einer Subkultur aufgefallen. Durch seine ­Radikalität ist ihm der ultimative Tabubruch gelungen. Immer wieder wurden aus Küns­t­lern Terroristen. Holger Meins etwa war ­Filmemacher, ehe er der RAF beitrat.

Was wollen Sie in zehn Jahren mit Ihrem Hinweis auf Zusammenhänge zwischen Terrorismus und Kunst bewirkt haben?

Der Kunstkritiker Boris Groys hat einmal gefordert, dass wir auch Terrorismusbilder der „Kunst­kritik“ unterziehen müssen. Darum lehre ich Kunstwissenschaft und bin im „Netzwerk Terrorismusforschung“ aktiv. Bildkom­pe­tenz ist gerade in einer unästhetischen Demokratie wichtig.

Wie bitte?

Radikale können sich in Posen ge­bärden – eine parlamentari­sche Versammlung nicht. Es gibt den Bildüberlegenheitseffekt, Bilder sind stark! Die Gefahr des Missbrauchs geht ja nicht nur von Islamisten aus. Die Rechtsterroristen des NSU um Beate Zschäpe haben auch zynische Videobotschaften verfasst und sich dafür den „rosa­roten Panther“ angeeignet. Man muss die Manipulation offenlegen.

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