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„Theoretisch eine tolle Idee...“
... aber praktisch wird es immer kompliziert, wenn die Politik jungen Müttern und Vätern mehr Zeit für ihre Kinder verspricht. Reförmchen bringen da gar nichts, sagt der Sozialwissen­­schaftler Stefan Sell
Gabriele MeisterLisa Strieder
30.01.2014

chrismon: Manuela Schwesig, die Bundesfamilienministerin, hat vorgeschlagen, junge Mütter und Väter nur noch 32 Stunden arbeiten zu lassen und ihr Gehalt aus Steuermitteln aufzustocken. Was halten Sie davon?
Stefan Sell: Zumindest theoretisch halte ich das für eine richtige und tolle Idee, weil sie das zentrale Problem anspricht: Arbeitgeber neigen nämlich immer noch dazu, Arbeitszeitverkürzung auf ein „Frauenthema“ zu reduzieren. Wenn sie können, stellen sie Männer ein, weil das Risiko geringer ist, dass sie ausfallen oder pünktlich gehen müssen, um ihr Kind abzuholen. Wenn sich jetzt beide Eltern kümmern, ist das „Risiko Kind“ gleichmäßig verteilt. Diskriminierung ist nicht mehr so leicht möglich – und später bekommt die Frau so viel Rente wie ihr Mann.

Warum ist der Vorschlag von Frau Schwesig dann nur theoretisch eine gute Idee?
Ich glaube nicht, dass er einen großen Effekt haben würde: Momentan arbeiten nur ein Prozent der Eltern beide in reduzierter Vollzeit. Frau Schwesigs Vorschlag ist vom Tisch; würde er aber umgesetzt, beträfe es am Ende wahrscheinlich trotzdem nur zwei Prozent der Eltern. Es gibt zu viele Anreize, die Frauen trotz allem daran hindern, mehr zu arbeiten: Ehegattensplitting, Minijobs und die kostenlose Krankenversicherung. Solange man das nicht abschafft, wird sich das neue Modell kaum spürbar auswirken.

Die Große Koalition will stattdessen das Elterngeld ausweiten. Ist das sinnvoller?
Nein. Das sind verständliche Optimierungsversuche in einem bestehenden System. Elterngeld plus heißt: Man kann künftig das Elterngeld strecken, von 14 auf 28 Monate, und gleichzeitig bis zu 30 Stunden arbeiten. Der positive Effekt, dass sich beide gleichermaßen ums Kind kümmern, geht hier fast vollständig verloren.

2010 haben fast 20 Prozent weniger Frauen Vollzeit gearbeitet als noch 1991. Gleichzeitig wünscht sich fast die Hälfte der Frauen in Teilzeitbeschäftigungen mehr Arbeit. Wie erklären Sie sich diese Diskrepanz?
Das kann ich nur vermuten. Insgesamt arbeiten mehr Frauen als früher, aber eben nicht auf Vollzeitstellen: Weil es diese Stellen in ihrer Umgebung nicht mehr gibt oder die benannten finanziellen Anreize sie davon ab­halten. Auch das Familienbild spielt eine Rolle. In Gesprächen erlebe ich oft, dass junge Leute heute konservativer eingestellt sind als in den 1980er Jahren. Die Familie ist ihnen wichtig, gleichzeitig sind sie gut qualifiziert und deshalb hin und her gerissen. Davon abgesehen befürchte ich – so ideologisch wünschenswert eine gleiche Arbeitsverteilung wäre –, dass es eine anthropologische Disposition gibt, die Männer tendenziell davon abhält, sich mehr um kleine Kinder zu kümmern. ­Zumindest arbeiten viel mehr männliche Er­zieher in Jugendheimen als im Kindergarten.

Wenn junge Leute heute konservativer sind als ihre Elterngeneration in den 1980ern: Warum sind dann damals so viele Mütter zu Hause geblieben?
Das hatte vor allem mit den ökonomischen Verhältnissen zu tun: Die 70er und 80er Jahre waren eine historische Ausnahme: Dass man als alleinverdienender Facharbeiter ein Haus bauen konnte, war vorher und hinterher nie wieder möglich. Noch in der Weimarer Republik haben die Frauen mehr gearbeitet als heute, einfach weil sonst das Geld nicht gereicht hätte. Nur das höhere Bürgertum war davon ausgenommen. Nach dem Krieg wollte man diesen Luxus mehr Leuten ermöglichen, was aufgrund wirtschaftlich ­goldener Zeiten ja auch bald funktioniert hat. Heute haben gerade kleinere Ein­kommen ­real an Wert verloren. Außerdem sind die ­Ansprüche gestiegen: Manche ­Leute denken, sie bräuchten ständig ein neues Smartphone.

Wie müsste Ihrer Meinung nach eine gerechte Familienpolitik aussehen?
Wir müssen weg von immer neuen Reförmchen, die eine Grundsatzdebatte verhindern. Ich würde Krankenversicherungsvorteile, Minijobs und Ehegattensplitting abschaffen und ein Kindergrundsicherungsmodell einführen: Wenn Eltern wenig verdienen, bekommt das Kind bis zum 18. Geburtstag ­­550 Euro pro Monat, bei höherem Einkommen gibt es Leistungen in Kindergeldhöhe. Das würde auch von Kinderarmut Bedrohten ­gerecht werden, die vom Elterngeld am ­wenigsten profitieren. Darum geht es. Dass Akademiker mehr Kinder bekommen, erreicht man mit dem Elterngeld nämlich sowieso nicht. Außerdem muss das Renten­-sys­tem an die neuen, flexibleren Arbeits- ­und Auszeiten angepasst werden. Wer heute wegen Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen wenig arbeitet, kann von der Rente später nicht mehr leben.

Der Grundgedanke hier den Eltern ein Schritt entgegen zu kommen, finde ich schon sehr wichtig, denn eine finanzielle Absicherung über einen bestimmten Zeitraum ist vorhanden. Wie das am Ende tatsächlich ankommen wird, wird die Zeit zeigen.

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"Es gibt zu viele Anreize, die Frauen trotz allem daran hindern, mehr zu arbeiten: Ehegattensplitting, Minijobs und die kostenlose Krankenversicherung" und die Liebe zu ihren Kindern.
Eine Liebe die sie dazu veranlaßt ihre Kinder nicht über 40h die Woche einer unterfinanzierten Verwahrung hinter hohen Zäunen, die kaum über "satt und trocken" hinausreicht, zu überlassen. Daß eine Fremdbetreuung, damit alle Erwachsenen malochen können, für Familien das non plus ultra sein soll, daran habe ich meine begründeten Zweifel. Dazu braucht man nur die unterbezahlten und mit immer mehr Erziehungsaufträgen ohne Stundenausgleich belasteten Erzieherinnen zu fragen.
Natürlich zahle ich, genauso wie sonst meistens die Mutter, einen Preis für die Zeit mit dem Kind, aber einen Preis zahlen die vollzeitarbeitenden Eltern auch. Die Paare die sich anders entscheiden oder entscheiden müssen, werden ihre Gründe haben.
Sowas nennt sich Güterabwägung und dabei lege ich, genauso wie die Eltern die sich anders entscheiden, wenig Wert auf die Bevormundung durch die Drückerkolonnen einer sogenannten "Sozialpolitik", die als Blinddarm an der Wirtschaft hängt.

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Ich - eine Erzieherin, die seit 2 Jahren im Krippenbereich tätig ist - kann dem Kommentar von Herrn Obermann nur beipflichten. Bei diesem Modell, welches allen einen Anspruch auf einen Krippenplatz garantiert, bleiben ALLE auf der Strecke: die Mütter (und oftmals auch die Väter), die in den Einrichtungen Beschäftigten und vor allem die Kinder.
Bei den Anforderungen, die die Wirtschaft an ihre Arbeitnehmer_innen stellt, ist es eine Quadratur des Kreises, Familie und (Vollzeit)-Arbeit unter einen Hut zu bringen.
Ich werde diese Arbeit nicht mehr lange machen können und wollen, weil ich es nicht aushalte, zu sehen, wie die Kinder im Alter von 1 bis 3 Jahren leiden, dass sie teilweise bis zu 10 Stunden ohne ihre wichtigste Bezugsperson auskommen muss.
10 Kinder unter 3 J. über einen Zeitraum von bis 10 Stunden in einem Raum, ist keine artgerechte Haltung!
Ich halte es auch gesundheitlich nicht mehr aus: immer wieder stundenlang weinende Kinder zu trösten, zu beruhigen, abzulenken...(was bedeutet sie auf dem Arm oder Schoss zu halten), ständig auf dem Boden herumzukriechen, auf den Ministühlchen sitzen, immer nah dran an Viren und Keimen, der ständig hohe Lärmpegel und dann immer unter Druck: keine Zeit für Vor- und Nachbereitung der erforderlichen pädagogischen Aufgaben (Elterngespräche, -abende uvm., geschweige denn für Pausen, ja an vielen Tagen kommt man kaum zur Toilette - und das alles für ein vergleichsweise kleines Gehalt).
Ich halte mich für eine "emanzipierte" Frau, die immer dafür plädiert hat, dass auch Frauen berufstätig sein können - aber so, wie es in Deutschland läuft, so geht es für die große Mehrheit der Arbeitnehmerschaft einfach nicht (gut).
Ich mache mir grosse Sorgen darüber, wie aus diesen Krippenkindern gesunde und leistungsfähige Menschen werden sollen!

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