Tinka und Frank Dietz
In ihrer Heimat werden syrisch-orthodoxe Christen unterdrückt. Viele bauen sich dafür hier eine Zukunft auf – so wie die Exil-Gemeinde in Hamburg-Harburg. chrismon hat sie beim Wettbewerb Gemeinde 2013 mit einem Förderpreis ausgezeichnet.
Gabriele MeisterLisa Strieder
21.06.2013

Sie kennen mich nicht, ich kenne sie nicht. Manche älteren Gemeindemitglieder der syrisch-orthodoxen St.-Maria-St.-Shmuni-Gemeinde sprechen kaum Deutsch – ich spreche kein Aramäisch. Ganz offensichtlich gehöre ich nicht hierher, und es gäbe Gründe, mir mit Skepsis zu begegnen. Aber kaum habe ich den Gemeindesaal betreten, macht sich ein älterer Herr Richtung Küche auf, um eine Tasse Tee für mich zu besorgen.

Ich hätte erwartet, dass mich jemand nach meinem Personalausweis fragt oder wenigstens nach einer Visitenkarte. Im Vergleich zu ihren Heimatländern Syrien, Türkei und Irak führen syrisch-orthodoxe Christen in Deutschland zwar ein sorgloseres Leben. Aber beobachtet werden sie auch hier, davon kann man ausgehen. Trotzdem: Schwarztee statt Misstrauen.

Als ich am nächsten Tag zum Sonntagsgottesdienst wiederkomme, herrscht unten im Gemeindesaal geschäftiges Treiben: Frauen waschen Weintrauben und schmieren Brötchen für das anschließende Frühstück. Oben im Kirchsaal hat der Gottesdienst bereits begonnen. Obwohl viele Leute kommen und gehen, herrscht eine erstaunlich ruhige, feierliche Atmosphäre. Die meiste Zeit ist nur der orientalisch anmutende liturgische Gesang zu hören – Mädchen mit weißen Kapuzen­umhängen wechseln sich mit dem Pfarrer und drei Diakonen ab. Aus all den aramäischen Wörtern höre ich ab und zu ein „Halleluja“ heraus. Wenn einer der Messdiener durch die Bankreihen geht und das Weihrauchfass schwenkt, stehen die Besucher auf und bekreuzigen sich.


Wir sind stolz, die Sprache Jesu zu sprechen, sagt Pfarrer Dogan
Nach zwei Stunden ist der Gottesdienst vorbei, Zeit für Pfarrer Moses Dogan, endlich ein wenig zu verschnaufen. Der 38-Jährige mit dem schwarzen Bart und der Priesterkappe auf den raspelkurzen Haaren leitet die Gemeinde seit ihrer Gründung vor fünfeinhalb Jahren. Er wird dafür nicht bezahlt, er tut das ehrenamtlich. Trotz Familie und Vollzeitjob bei Mercedes im Schichtdienst. Die Kirche – früher eine Lagerhalle – ist erst vor anderthalb Jahren fertig geworden. Alle haben beim Umbau geholfen, bis die Wände des Kirchsaals mit unzähligen Ranken und Blumen aus weißem Kalkstein verziert waren und der Boden mit Marmor ausgelegt war. Das Engagement der Gemeindeglieder tröstet darüber hinweg, dass noch immer kein Geld für Personal da ist.

„Es ist schlimm, das zu sagen, aber unser Zusammenhalt ist auch wegen unserer Geschichte so groß“, sagt ­Manuel Afram, ein sportlicher Mann mit hellem Anzug und Brille. Die meisten der schätzungsweise 90 000 syrisch-orthodoxen Christen in Deutschland sind Flüchtlinge und ihre Nachkommen. In Syrien, der Türkei und im Irak werden sie seit Jahrhunderten unterdrückt. Zettel im Schaukasten der Kirche informieren über die jüngsten Ereignisse – die Enteignung des 1600 Jahre alten Klostergeländes von Mur Gabriel in der Türkei und die Entführung des griechisch-orthodoxen und des syrisch-orthodoxen Erzbischofs von Aleppo.

Auch Afram weiß, wie es ist, verfolgt zu werden. Deshalb möchte er ­seinen richtigen Namen nicht in der Presse lesen. Vor seiner Geburt ist seine Mutter aus der Türkei nach Syrien geflohen, weil das Assad-Regime Christen weitgehend in Ruhe ließ. Einige Jahre lebte sie in Frieden, bis Nachbarn drohten, ihre Söhne umzubringen. Afram hätte sie beleidigt, sein Bruder einen Unfall verursacht. Aframs Bruder verbrachte zwei Monate im Gefängnis – unschuldig, wie er meint. Dann floh die Familie nach Deutschland.

Eher deutsch oder eher aramäisch? Sich über die eigene Identität klarwerden, ist für syrisch-orthodoxe Kinder nicht immer einfach. Sonntagsfrühstück in der Gemeinde
„Wir können nur hoffen und immer wieder für Frieden beten“, sagt Pfarrer Dogan. Das tut er in jedem Gottesdienst – einmal hat er dazu auch Juden und Muslime eingeladen. Natürlich führte das zu Diskussionen in der Gemeinde, aber letztlich war Dogans Mut stärker. „Unsere Türen sind immer offen“, sagt er. „Wir sind doch Christen!“

Dogan ist der Austausch auch wegen der Jugendlichen in seiner Gemeinde so wichtig. Sie sollen in Deutschland in Frieden aufwachsen – ohne Angst vor Nachbarn. „Wir sehen, dass sie längst in der deutschen Gesellschaft integriert sind. Trotzdem ist es für sie nicht immer einfach, sich über die eigene Identität klarzuwerden“, sagt er.

Deshalb hat er einen Lehrer engagiert, der dreimal die Woche Aramäischunterricht anbietet.  „Wir sind stolz, die Sprache Jesu zu sprechen. Sie verbindet uns, auch wenn wir in unterschiedlichen Ländern geboren wurden“, sagt Dogan.

Damit auch der deutsche Teil der Identität nicht zu kurz kommt, besucht er mit den Jugendlichen Konfirmandengruppen in der Nachbargemeinde und lädt zum Gegenbesuch ein. „Ich träume davon, Treffen mit Jugendlichen aus ganz Europa zu veranstalten“, sagt er. „Das Geld, das wir beim chrismon-Wettbewerb gewonnen haben, könnte ein Anfang sein“.

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