Frauke Thielking
Ein Aufruf zum Kirschenklau in Nachbars Garten? Nein! Es ist ja auch erst Februar, nicht Kirschenzeit, sondern Fastenzeit. Fasten bedeutet: sich entscheiden, etwas Neues zu wagen. Das Motto in diesem Jahr: "7 Wochen ohne Vorsicht"
18.01.2013

Francesco Bernardone, geboren 1182, war der Sohn einer ­reichen Kaufmannfamilie im mittelitalienischen Assisi. Vater Pietro hat schon alles in Sachen Erbfolge geregelt. Aber der Junge ist  lieber Chef einer Gang reicher Jugendlicher, die das Geld ihrer Eltern in Saus und Braus verjubeln.

Irgendwie merkt er, dass es so nicht bleiben kann. Aber in die Fußstapfen des Vaters treten und ein ehrbarer Tuchhändler ­werden will er auch nicht. Er möchte berühmt werden – als Draufgänger und Soldat. Das geht gründlich schief. Nach einem Feldzug in Süditalien, den er abbricht, trifft er auf dem Rückweg einen Aussätzigen, steigt vom Pferd und umarmt ihn. Eine unglaubliche Aktion, ein absolutes Tabu. Es sollte der Wendepunkt seines Lebens werden. Er will es mit den Armen und Kranken teilen, den mindesten Brüdern, in denen ihm Jesus begegnet.

Der alte Bernardone ist außer sich, als er von diesen neuesten Ideen seines Sohnes erfährt. Er verlangt, dass er mit dem Quatsch aufhört und endlich wird, was er von ihm erwartet: Juniorchef im Tuchgeschäft. Ja, er schleppt das Fränzchen sogar vor Gericht.  „Alles, was du bist, hast du von mir“, schreit er ihn an, „also ändere dich und mach was Vernünftiges.“ Und auf dem Marktplatz der Stadt vor Hunderten von Leuten, ändert der junge Kerl alles. Langsam entkleidet er sich, bis er nackt vor seinem Papa steht. „Die Kleider kannst du wiederhaben. Aber mein Vater ist ab heute nicht mehr Pietro Bernardone, sondern der Vater im Himmel.“ Spricht’s und geht davon.

So beginnt die Geschichte einer der größten Figuren der Kirchengeschichte, die den Reichtum der Seele und des Glaubens sucht und dafür in irdischer Armut leben will.

Mitgefühl riskieren - ohne Angst vor Umwegen


Die Zeitgenossen, das ist verbürgt, hielten Francesco für einen Verrückten, lachten ihn aus. Seiner Neigung zu unkalkulierbaren Risiken blieb er treu. Etwa, als er 1219 ins Heilige Land reist, um die Heimat Jesu ­kennenzulernen. Er wird dabei Zeuge der Gewalttaten christlicher Kreuzritter. Er predigt ihnen, den Krieg zu beenden und von den Grausamkeiten abzulassen. Ihre Antwort: schallendes Gelächter. Da beschließt er, alleine und unbewaffnet zum arabischen Heer zu gehen. Entgegen aller Erwartung wird er nicht gefangen genommen oder gar getötet. Nein, der ­Sultan Al-Kamil empfängt den Bettelmönch und unterhält sich mit ihm über den Glauben. Und er gibt ihm ein Friedensangebot an das Heer der Kreuzfahrer mit, schenkt ihm ein Signalhorn. Die Schlacht allerdings kann Franziskus nicht verhindern.

„Riskier was, Mensch! Sieben Wochen ohne Vorsicht“, lautet das Motto der Fastenaktion 2013. Das ist keine Aufforderung zum Verrücktspielen, sondern zu mehr Menschlichkeit. Riskieren heißt nicht: verantwortlungslos rumspinnen. Das Wort kommt aus dem Italienischen und heißt „etwas wagen“.

Das althochdeutsche Wort „fasten“ wiederum bedeutet: sich entscheiden, etwas beschließen. Die Fas­tenzeit bezieht sich auf die 40 Tage, die Jesus in der Wüste verbrachte, ehe er sich für den Weg entschied, an dessen Ende Kreuzigung und Auferstehung liegen.

Wer in den sieben Wochen zwischen Aschermittwoch und Ostern beschließt, etwas zu wagen, erwartet keinen materiellen Gewinn wie in einem Börsenspiel. Es geht nicht um gewagte Käufe und Verkäufe mit materiellem Erfolg, sondern um Einsätze wie Kommunikation und Hilfsbereitschaft, wie Liebe und Ehrlichkeit, die sich in mehr Lebensglück, in Erfüllung und Gemeinschaft verwandeln oder einfach nur ein Stückchen Widerstand gegen Ungerechtigkeit darstellen. Das Risiko, sich zu äußern, auf andere zuzugehen, birgt die Gefahr in sich, alleine dazustehen oder gar zurückgestoßen zu werden. Aber wenn niemand auf das hört, was ihm die Stimme von Glaube, Hoffnung und Liebe empfiehlt, und niemand seine Angst überwindet, etwa mit dem Martin Luther zugeschriebenen Satz „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“, haben die Rücksichtslosen und Starken leichtes Spiel.

Und dabei geht es auch um kleine Dinge, um Mut im Alltag, um Zivilcourage. Etwa, wenn eine Schülerin aufsteht und dagegen protestiert, dass einer ihrer Klassenkameraden – den sie im Übrigen eigentlich nicht leiden kann – zu schlecht benotet worden sei.

Den Jungs, die nebenan auch nach Mitternacht noch Geburtstag feiern, muss man nicht anonym die Polizei schicken. Man könnte bei ihnen klingeln und sagen: ’tschuldigung, geht es ein bisschen leiser, ich habe morgen einen schweren Tag. Risiko. Die ­Kollegin ist anderer Meinung als die Chefin und spricht es aus, ebenso höflich wie bestimmt. Risiko. Zwei Beispiele von vielen.

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„Sieben Wochen ohne“ waren etwas Besonderes. Die Verbindung, die Sie vom Fasten zur Mutübung herstellen, erscheint mir weder schlüssig noch im Gewande Ihrer Argumentation seriös. Appelle, ein entschiedener bzw. mutigerer Mensch und Christ zu werden, begegnen mir das ganze Jahr über. „Sieben Wochen ohne Vorsicht“ brauche ich nicht. Da sind 6 Wochen Selbsterfahrungsgruppe unter kundiger Leitung sicher hilfreicher.
„Schade um das Verlassen der schlüssigen originalen Spur!“ sagt der alte Fachmann
Hermann Eberhardt
und verweist im übrigen auf seine ausführlichere eMail

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Sehr geehrter Herr Brummer,
“Sie ernten auch Kritik? – Klar, es legen auch Menschen unseren Fastenkalender aus der Hand und sagen: “So einen Mist wie diesen habe ich schon Jahre nicht mehr gelesen.” “
In der Tat, so ist es!
Der Fastengedanke ist nun schon etliche tausend Jahre alt. Trauen Sie diesem Gedanken wirklich so wenig zu, dass Sie ihn krampfhaft dem “modernen Denken” anpassen müssen? “Verzicht ist out; neuer Schwung ist in!”
Die Kampagnen “sieben Wochen ohne” verzichten seit einigen Jahren leider vollkommen auf diese gute Tradition des bewussten sich Beschränkens auf Konsum gewohnter Genuss- und Lebensmittel. Statt dessen werden ethische Impulse unter diesem Label verkauft, die mit der Fastentradition überhaupt nichts mehr zu tun haben, sondern im Gegenteil auf erneute Anstrengung hinauslaufen. Nicht um den zeitweisen Rückzug aus der Verflochtenheit mit den Dingen dieser Welt geht es mehr, um sich selbst neu zu finden (siehe das 40-tägige Fasten Jesu zu Beginn seiner Wirkenszeit), sondern um die Aufforderung, Gewohnheiten im Alltag zu ändern. – Das scheint offenbar besser im Trent zu liegen, als der alte Gedanke, zu verzichten, auszusteigen, um sich neu entdecken und neu einsteigen zu können.
Sicherlich, ethische Impulse sind wichtig und gut. Aber muss man das auf Kosten der Verständlichkeit machen? Müssen dafür gute und wichtige Traditionen so verhunzt werden? Auf die Art versteht jedenfalls von meinen Konfirmanden niemand, was mit Fasten gemeint sein soll.

Mit weiterhin entsetztem Kopfschütteln!
Christoph Thürnau-Warnecke, Pastor in Bremerhaven

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Ich möchte mich meinen Vorrednern von Herzen anschließen. Ich bin 29 Jahre alt und habe seit meiner Kindheit die Fastenzeit mitgemacht. In meiner Familie haben wir jedes Jahr gemeinsam beschlossen, auf was wir verzichten wollen und die sieben Wochen versucht für die Rückbesinnung auf das Wesentliche zu nutzen. Die "Fasten"aktionen der letzten Jahre finde ich wirklich furchtbar an den Haaren herbeigezogen. Im Kirchenjahr hat alles seine Zeit, und vor Ostern wollen wir es wie Jesus halten, uns zurückziehen, uns besinnen, zur Ruhe kommen. Die neue Masche uns mit dem "ohne" eigentlich ein "mit" zu verkaufen, empfinde ich als äußerst unpassend für die Fastenzeit.

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Ich möchte mich hier gerne im positiven Sinne über die Aktion "Sieben Wochen ohne" äußern. Ich finde es eine sehr schöne Alternative/Ergänzung zum "normalen" Fasten. Mit dem Fasten als Verzicht auf bestimmte Lebensmittel konnte ich noch nie wirklich etwas anfangen. Was für einen Sinn (außer vielleicht für die eigene Gesundheit oder das Körpergewicht) soll das haben? Was hat bitte mein Nächster davon, wenn ich in den 7 Wochen vor Ostern freiwillig hungere? In dieser Aktion, die zur Besinnung auf Werte und bestimmte Verhaltensweisen aufruft sehe ich viel mehr Sinn. Warum nicht mal sieben Wochen lang, wie letztes Jahr auf Ausreden verzichten? Warum nicht dieses Jahr sieben Wochen lang mehr Mitgefühl wagen? Vielleicht wird ja sogar aus dem begrenzten Experiment eine dauerhafte, positive Veränderung. Ein dauerhaftes und beständiges Rückbesinnen auf christliche Werte und Nächstenliebe. Davon würde unsere Gesellschaft doch weitaus stärker profitieren als von dem zeitweiligen Verzicht auf Süßes, Fleisch und Alkohol. ;-)

Natürlich kann das mit dem Fasten jeder halten wie er persönlich möchte. Es ist eine persönliche Entscheidung ob und worauf man in der Passionszeit verzichten möchte. Wer auf traditionelle Weise fasten will, soll das tun. Wer mit dieser Aktion "sieben Wochen ohne" nichts anfangen kann, muss nicht mitmachen. Aber schaden kann doch diese Aktion nun wirklich nicht, oder?

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