Marco Wagner
Frauen und Männer - gleich oder nur ähnlich?
Das Grundgesetz hat 66 Väter und nur vier Mütter. Eine davon ist Elisabeth Selbert. Sie kämpft beherzt für die Frauenrechte
16.04.2013

Gäbe es Elisabeth Selbert nicht, hätten Männer vielleicht noch manche Jahre das Bankkonto ihrer Ehefrau auflösen, ihren Arbeitsvertrag kündigen oder allein über die Kindererziehung bestimmen dürfen. Aber als Mitte des 20. Jahrhunderts 66 Männer über eine Verfassung Deutschlands beraten, sitzt Selbert als eine von nur vier Frauen mit am Tisch. Sie erkämpft unbeirrt den Artikel des Grundgesetzes: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ und verhindert die schwammige Alternative: „Das Gesetz muss Gleiches gleich, kann aber Verschiedenes nach ­seiner Eigenart behandeln.“

Sie startet eine politische Blitzkarriere

Als Elisabeth Rhode 1896 in Kassel geboren wird, haben Frauen noch nicht einmal ein Wahlrecht. Doch sie hat Glück. Sie wächst als Beamtentochter in einer liberalen, tief religiösen Familie auf, hat gute Noten und darf eine Mittelschule besuchen. Aber am Ende ihrer Ausbildung bekommt sie, anders als die Jungen, kein allgemeingültiges Zeugnis. Ein bitteres Unrecht, wie sie sagt.

Nach dem Ersten Weltkrieg erlebt Elisabeth Rhode, wie Frauen reihenweise ihre Stellen verlieren, weil die Männer aus dem Krieg zurückkommen. Sie hat zwar Arbeit in einem Postamt, doch sie fühlt sich unterfordert. Am Postschalter lernt sie ihren späteren Mann Adam Selbert kennen, Buchdrucker und SPD-Politiker. Sie wird selbst Mitglied der SPD. Von Anfang an sind Frauenrechte ihr Thema. Während sich ihr Mann mit ihren Eltern um die zwei Kinder kümmert, startet Selbert eine politische Blitzkarriere. Sie holt mit 29 Jahren nach nur einem Jahr Selbststudium ihr Abitur als Externe nach, studiert als eine der ersten Frauen in Deutschland Jura und gründet eine eigene Rechtsanwaltskanzlei. Selbert beschreibt ihr Leben als „verrückten Tango“ zwischen Familie, Partei und Arbeit.

Für die Sozialdemokraten im Parlamentarischen Rat

Selberts Weg in den Parlamentarischen Rat, der im Mai 1949 das Grundgesetz beschließen soll, ist ungewöhnlich. Eigentlich ist sie Mitglied der SPD in Hessen. Dort wird sie bitter enttäuscht, man wählt andere Vertreter nach Bonn. Selbert hat gute Kontakte zum SPD-Frauenbüro, das sich für sie einsetzt. Sie darf den Landkreis Niedersachsen im Parlamentarischen Rat vertreten.
Ein Glück für alle Frauen. Denn die Version des Artikels 3, die 1948 in der ersten Lesung als parteiübergreifender Konsens vorgetragen wird, ist zum Haareraufen: „...das Gesetz... kann Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln“. Auch wenn Frauen wählen dürfen, garantiert der Satz noch nicht mal ansatzweise ein faires Familien- und Scheidungsrecht. Er bietet viel Interpretationsspielraum.

Selbert hatte bereits im Vorfeld erfolglos versucht, diese Formulierung abzuwenden. Jetzt stellt sie im Parlamentarischen Rat einen offiziellen Antrag, in dem der Satz „Frauen und Männer sind gleich­berechtigt“ steht. Der Protest ist groß. Die Männer warnen vor einem Rechts­chaos. Ihre eigenen Parteigenossen aus der SPD halten sich im Hintergrund. Selbert lässt sich nicht beirren, sie verweist auf die volkswirtschaftlichen Leistungen der Frauen in und nach zwei Kriegen. Und schließlich droht sie mit öffentlichen ­Protesten quer durch die Gesellschaft. Sie kündigt im Hauptausschuss des Rates sogar an, „dass in der gesamten Öffentlichkeit die maßgeblichen Frauen wahrscheinlich dazu Stellung nehmen werden, und zwar derart, dass unter Umständen die Annahme der Verfassung gefährdet ist“. Den Skeptikern, die vor allem aus den Reihen der CDU kommen, rechnet sie vor, dass auf 100 männliche Wähler 170 Frauen kommen. Ohne Erfolg. Der Antrag wird abgelehnt.

Sie reist mit ihren Vorträgen durchs Land - da wendet sich die Debatte

Selbert geht aufs Ganze. Ungewöhnlich für diese Zeit: Sie mobilisiert Gewerkschaften und Frauenvereine. Sie reist durchs Land und ruft Frauen auf, sich politisch einzumischen. Mit Erfolg. Waschkörbeweise landen Protestbriefe in Bonn. Bei der zweiten Lesung rudern alle Gegner zurück. Der Artikel wird ohne Gegenstimmen angenommen.

Dass Selbert, die erfolgreiche Anwältin, nicht als Bundesverfassungsrichterin vorgeschlagen wurde, schmerzte sie sehr. Im SPD-Bundesvorstand und im hessischen Landtag machte sie weiter Politik. Manche spätere Debatte über Frauenrechte und ­Resozialisierung nahm sie vorweg.

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