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Eines für alle
Drei Religionen - und ein gemeinsames Lehr- und Bethaus, mitten in Berlin? Die einen finden das visionär und wunderbar, die anderen sagen: komplett abwegig. Immerhin ist schon die Idee ein guter Grund, über Trennendes und Verbindendes zu reden.
Tim Wegner
21.11.2013

Der Alexanderplatz, bunt und lebendig, ist nur einen Kilometer entfernt. Aber der Petriplatz ist eine öde Steppe. Auf der achtspurigen Gertraudenstraße donnern Lkw vorbei, es ist laut und zugig. In ein paar Jahren wird es hier aber ganz anders aussehen. Ein neues Stadtviertel soll entstehen mit edlen Geschäfts- und Wohnhäusern. Und mittendrin, mitten in Berlin: ein neues Gotteshaus. Doch „Gotteshaus“ ist ein zu gewöhnlicher Begriff für ein Projekt, das so spektakulär wie umstritten ist. Das neue Haus wird keine Kirche sein, auch keine Moschee oder Synagoge. Sondern alles in einem. Juden, Christen und Muslime wollen hier unter einem Dach beten. Das gibt es so noch nicht in Deutschland und auch sonst nirgendwo.

Kühn sei das Projekt, visionär, genau richtig für Berlin – sagen die einen, die Architekten, Feuilletonisten und Senatsmitglieder, die sich gerne mitreißen lassen von außergewöhnlichen Ideen. Aber es gibt auch die anderen, die Zweifler und Kritiker. Sie enga­gieren sich in Kirchen-, Moschee- und Synagogengemeinden und wissen, wie schwierig es ist, die drei Religionen miteinander ins Gespräch zu bringen. Sie halten das Konzept für abgehoben und einen Neubau für überflüssig. Schon jetzt stehen Kirchengebäude leer, weil die Gläubigen fehlen. 

Bislang gibt es das multireligiöse Bet- und Lehrhaus St. Petri nur als Idee und als Entwurf der Berliner Architekten Kuehn Malvezzi. Sie haben 2012 den internationalen Architekturwettbewerb für das neue Haus gewonnen. Vorsitzender des Preisgerichts war der renommierte Architekt Hans Kollhoff. Der Siegerentwurf lässt sich nicht als Kirche, als Synagoge oder Moschee einordnen. Das Fundament zeichnet den Grundriss der früheren Petrikirche nach und setzt sich nach oben als massiger kubischer Körper aus hellem Backstein fort. In der Mitte erhebt sich ein 32 Meter hoher rechteckiger Turm.

Ein Sommerabend in Berlin. Fünf Minuten vom Petriplatz entfernt steht die überdachte Ruine der Parochialkirche. An einem langen, etwas erhöhten Tisch im Chorraum sitzen der Schriftsteller Martin Mosebach, der Architekt Hans Kollhoff und der evangelische Pfarrer Gregor Hohberg. Über den Tisch ist eine weiße Leinendecke gebreitet, die Herren tragen Anzüge. Die Stimmung ist feierlich und auch angespannt.

„Ich sehe eine Burg oder ein Pharaonengrab“, sagt Martin ­Mosebach und betrachtet den Siegerentwurf im Bildband vor sich auf dem Tisch. „Nichts deutet auf Religion hin. Wie soll man in so einem Gebäude Gottesdienst feiern?“ Mosebach ist ein gläubiger Mensch, katholisch und konservativ. Formlosigkeit ist ihm ein Graus, Formlosigkeit in einem sakralen Gebäude oder im Gottesdienst hält er für Gotteslästerung.

„Ich sehe archaische Grundformen“, sagt Gregor Hohberg. Er sehe auch etwas Geheimnisvolles, das die Menschen neugierig machen könnte. Hohberg, 45, schmal, smart, ist Pfarrer der fusio­nierten Gemeinde St.-Petri-St.-Marien und der eigentliche Motor des Projekts. Der Petriplatz gehört zu seiner Gemeinde. 2006 ­haben Archäologen Reste von mehreren Kirchen gefunden, die hier einmal standen. Die älteste wurde im 12. Jahrhundert gebaut. Mit ihr begann die Entwicklung des Städtchens Cölln, das später mit Berlin die Doppelstadt Cölln-Berlin bildete. 1964 sprengte die DDR-Regierung die Ruine der jüngsten Petrikirche.

Die Religionen können der Berliner Gesellschaft auch heute wichtige Impulse geben. Davon ist Pfarrer Hohberg überzeugt. Sie können für Toleranz werben und dafür, dass Entscheidungen für das Zusammenleben nicht nur nach wirtschaftlichen Fakto­ren getroffen werden; sie können darauf achten, dass Schwache nicht an den Rand gedrängt werden. Deshalb beschlossen Hohberg und seine Kirchengemeinde 2008, ein neues Gotteshaus zu errichten. Es ist auch eine Art Kampfansage an den wie Hohberg sagt „immer aggressiver auftretenden Laizismus“. Das neue Haus soll den säku­laren Berlinern zurufen: Hier sind wir Religiösen, im Zentrum der Stadt, kommt, setzt euch mit uns auseinander! „Hier müssen Juden, Christen und Muslime zusammenstehen, wenn sie etwas erreichen wollen“, sagt Hohberg.
 
Lala Süsskind war 2008 Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und ließ sich von Hohberg begeistern. Später schlossen sich die liberalen Rabbiner Tovia Ben-Chorin und Walter Homolka mit dem Abraham-Geiger-Kolleg an. Die Suche nach muslimischen Partnern war schwierig. Moscheegemeinden lehnten ab, weil sie nicht mit Juden gemeinsame Sache machen wollen, anderen war es unheimlich, sich so offen für alle im Zentrum der Stadt zu präsentieren. Bei manchen Vereinen hatten die jüdischen Partner Bedenken. Schließlich kam man mit dem Forum für Interkulturellen Dialog (FID) zusammen. Der Verein gehört zur Bewegung des türkischen Predigers Fethullah Gülen, der von den USA aus ein weltweit wachsendes Netzwerk von Schulen und Universitäten unterhält. Im FID versammeln sich junge, fromme und selbstbewusste Männer und Frauen, die meisten haben einen Hochschulabschluss. 2011 gründeten die Partner den Verein ­„Bet- und Lehrhaus Petriplatz Berlin“. 2015 soll gebaut werden.

Der Petriplatz, historische Keimzelle von Berlin. Foto: Paul Langrock/Zenit/laif
Es war nicht einfach, die unterschiedlichen Bedürfnisse architektonisch zu integrieren, sagt Gregor Hohberg. Denn Juden, Christen und Muslime wollen in dem neuen Haus zwar unter einem Dach, aber in drei getrennten Räumen beten. Die Juden brauchen zusätzlich eine Fläche auf dem Dach, um eine Hütte fürs Laubhüttenfest aufzustellen; Moschee und Synagoge müssen nach Osten ausgerichtet sein. Noch wichtiger als die drei Bet­räume ist für Hohberg der mittlere, vierte Raum mit der turmhohen Kuppel. Hier sollen sich die Gläubigen mit den Besuchern austauschen, die von draußen reinkommen, hier soll es Diskussions­abende geben, soll aus dem Austausch etwas Gemeinsames, Neues, nicht Vorhersehbares entstehen. Doch wie? „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Muslim von Mohammed abrückt oder ein Christ von Jesus Christus“, sagt Martin Mosebach. Sollen sie auch nicht, entgegnet Hohberg. Und sich doch öffnen für die ­anderen. „Ich bin evangelischer Pfarrer. Dass Jesus Christus, der Gottmensch, am Kreuz gestorben ist, das ist eine unumstößliche Wahrheit für mich. Jeder ist überzeugt, dass das, was er glaubt, die Wahrheit ist.“

Juden, Christen und Muslime eint der Glaube an einen einzigen Gott. Aber ist es derselbe Gott? Da gehen die Meinungen schon auseinander. Gregor Hohberg meint nein. Man könne die unterschiedlichen Gottesbilder und Wege nur hinnehmen. „Die Wahrheitsfrage können wir nicht entscheiden. Die beantwortet Gott“, sagt Hohberg. Deshalb wollen sie in dem neuen Haus ja auch in getrennten Räumen beten. „Wenn ich ernst nehme, dass Jesus der Weg, die Wahrheit und das Leben für alle Menschen aller Zeiten ist, muss ich doch nicht behaupten, dass nur die geschichtliche Gestalt Jesu von Nazaret einen Weg zum Vater er­öffnet“, schreibt der Theologe Klaus von Stosch, auf dessen Schriften sich Hohberg theologisch beruft. Gut möglich, dass sich Gott auch den „religiös Anderen“ offenbart habe und dass Christen aus den Offenbarungen an die Juden und Muslime ­lernen können. Umgekehrt natürlich auch.

Pfarrer Gregor Hohberg, Rabbiner Tovia Ben-Chorin und Imam Kadir Sanci hielten auf dem Petriplatz eine Friedensandacht. Foto: Gerald Dietrich
Der Entwurf der Architekten sieht vor, dass Moschee, Kirche und Synagoge auf einer Ebene liegen, damit keine Hierarchie entsteht. Bei der Größe der Räume herrscht „Volumenparität“. Und doch lässt sich nicht verdecken, dass es sich um ungleiche Partner handelt, die über unterschiedliche personelle Ressourcen und Einflussmöglichkeiten verfügen. Die evangelische Kirchengemeinde kann auf einflussreiche Förderer in Politik und Gesellschaft zählen. Die jüdische Gemeinschaft ist anerkannte Minderheit und weiß, sich durchzusetzen. Intellektueller Nachwuchs wächst aber erst seit kurzem heran. Der Islam hat ein miserables Image und wenig Einfluss. Die staatliche Anerkennung fehlt, auskunftsfähige Theologen sind rar.

Imam Kadir Sanci vom FID, 35, klein, Schnauzbart, hält erstmal einen kleinen Vortrag über die Wahrnehmung des Islam in Deutschland. Es ist ein paar Tage nach dem Diskussionsabend mit Mosebach und Hohberg, zu dem Sanci nicht kommen konnte. In seinem Büro zählt er auf: 80 Prozent der Deutschen denken beim Stichwort Islam an die Benachteiligung der Frau, 70 Prozent an Fanatismus, 60 Prozent an Gewalt. Mit dem Petri-Projekt sollen diese „Verzerrungen“ korrigiert, soll der Islam realistisch präsentiert werden, also so, dass klar wird, dass gewaltbereite Fanatiker nur eine kleine Minderheit sind. Wenn das Image besser wird, hofft Sanci, trauen sich die Deutschen vielleicht eher, mit Muslimen zu sprechen. Vielleicht wächst dann auch das Vertrauen der Politiker in die islamischen Verbände und sie werden irgendwann anerkannt – mit allen Rechten, die den Kirchen selbstverständlich zustehen.

Die Beteiligung am interreligiösen Dialog ist für das FID aber mehr als eine Imagekampagne. Der Verein hat sich von Anfang an die Verständigung von Muslimen, Christen und Juden in die Satzung geschrieben und arbeitet mit dem jüdischen Abraham-Geiger-Kolleg zusammen. Reaktionäre Mus­lime beschimpfen das FID dafür im Internet. „Wie kann man bloß mit Nicht-Muslimen gemeinsame Sache machen?“ Im Koran stehe, dass Juden und Christen „Ungläubige“ seien. Sanci winkt ab. Was im Koran steht, müsse man im historischen Kontext ­sehen, die Fundamentalisten hält er für theologisch unterbelichtet.

Am Petriplatz will er das Freitagsgebet abhalten, die fünf täglichen Gebete werde er nicht schaffen, er unterrichtet an der Uni Potsdam. Man wolle in der Community auch den Eindruck vermeiden, dass am Petriplatz eine neue Moscheegemeinde entsteht – um nicht woanders Beter abzuwerben. Denn nicht nur Kirchengemeinden schrumpfen, auch manche Moschee und manche Synagoge ist zu groß geworden. Fest steht für Sanci: Es gibt genügend Probleme, die Muslime, Christen und Juden gemeinsam angehen sollten.

Im mittleren Raum mit der turmhohen Kuppel sollen sich Gläubige mit Besuchern treffen (Computersimulation). Foto: Kuehnmalvezzi

„Es gibt so viel zu tun, wir müssen gar nicht die großen Wahrheitsfragen besprechen.“ „Du kannst die Zukunft nur vorhersagen, wenn du sie selbst gestaltest“, steht auf einer Holztafel über dem Eingang zu Rabbiner Walter Homolkas Büro. Diesem Motto getreu hat er schon viel erreicht, was anfangs belächelt wurde. Kaum jemand hätte gedacht, dass er es schaffen würde, gegen den Widerstand konservativer Kräfte in der jüdischen Gemeinschaft das Abraham-Geiger-Kolleg zu gründen, an dem progressive Rabbiner ausgebildet werden. Kürzlich hat er dem Land Brandenburg den deutschlandweit ­ersten jüdisch-theologischen Studiengang abgetrotzt. Er weiß, wie man Politiker und Behördenmitarbeiter bearbeiten muss, um die eigenen Anliegen durchzusetzen. Für die Bemühungen der Muslime hat er viel Sympathie, ab und zu gibt er ihnen Tipps. Vieles im Verhältnis von Islam und deutschem Staat erinnert ihn an die Schwierigkeiten der Juden in Preußen im 19. Jahrhundert. Auch ihnen wurde die Anerkennung verweigert, auch sie wurden unter Druck gesetzt, sich zu assimilieren. Juden und Muslime seien einander viel näher als Juden und Christen, sagt Homolka. Beides sind Gesetzesreligionen, in der Ethik und im Alltag ist vieles ähnlich, von der Beschneidung bis zu den Speisevorschriften. „Ich kann mir vorstellen, dass der Koran auch für Juden als Heilige Schrift gelten kann“, sagt er. Sein Verhältnis zu den Christen ist geprägt von Misstrauen. Die katholische Anrede der Juden als „ältere Brüder“ kann er nicht mehr hören, ein echtes Interesse an der Auseinandersetzung nicht erkennen. 

Am Anfang überzeugte ihn das Petri-Projekt nicht. Jetzt passt es gut in seine Pläne. Vom Petriplatz ist es nicht weit zur Humboldt-Universität. In das neue Haus soll die Studentengemeinde des Geiger-Kollegs einziehen, die angehenden Rabbiner sollen die Gottesdienste halten. So konkret wie Homolkas Pläne sind die der beiden anderen Partner nicht. Für sie existiert das Gebäude bislang vor allem in der Theorie.

Das neue Haus sei nicht eingebunden in ein normales Gemeindeleben, sondern eine Art „Disneyland“, sagt Erika Godel. Sie ist in der Evangelischen Akademie Berlin für den interreligiösen Dialog zuständig. In Berlin gebe es vielleicht vier Dutzend Menschen, die sich ernsthaft für das Gespräch der Religionen einsetzen, sagt sie. „Wenn es die Massen gäbe, die so ein Projekt wollen, wäre das toll. Aber hier wird das Pferd von hinten aufgezäumt.“ Fragt man Christen, Muslime und Juden in Berlin nach dem Projekt, fällt auf, dass die Skepsis wächst, je mehr die Menschen vor Ort in einer Gemeinde engagiert sind und ­wissen, wie groß die Probleme sind und wie mühsam es ist, auch nur mit der Moschee, der Kirche oder Synagoge in der Nachbarschaft zusammenzuarbeiten. Um Muslime für den Dialog zu gewinnen, müsse man in die Moscheegemeinden gehen, sagt eine Muslima. Außer Erika Godel will sich allerdings kein Kritiker mit Namen zitieren lassen. Denn sollte das Projekt ein Erfolg werden, wollen sie es nicht gewesen sein, die es schlechtgeredet haben.

Das neue Haus werde ein „programmatischer Ort“ sein, prophezeit Rabbiner Homolka, ein „Laboratorium des Zusammenlebens“. Im März will der Petri-Verein eine Spendenkampagne starten, international und auf allen, auch digitalen Kanälen. Wie viel Geld nötig ist, will keiner sagen. Jedenfalls weniger als die 35 bis 40 Millionen Euro, die es monatlich koste, den Berliner Pleiteflughafen zu betreiben, hatte Gregor Hohberg gesagt.

Ich finde das Projekte sehr interessant und werde sicher mal dorthin gehen, wenn es fertig ist und ich in Berlin bin.

Man hätte das Projekt aus meiner Sicht aber besser erstmal an einem neutralen und bescheidenen Ort starten sollen und erst bei großem Interesse der Gläubigen dann viel Geld in die Hand nehmen sollen, um eine derart aufwendige Architektur hinzustellen.

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