Axel Martens
Bastian Sick und Piet Klocke über unvollständige Sätze, unsinnige Apostrophe – und Wörter, auf die man lieber nicht verzichten soll
Portrait Anne Buhrfeind, chrismon stellvertretende ChefredakteurinLena Uphoff
Hedwig Gafga, Autorin
18.01.2013

chrismon: Haben Sie sich auf Piet gefreut oder auf den Piet?

Bastian Sick: Wenn die Frage ist, ob man Namen mit Artikeln gebraucht oder nicht, dann muss ich sagen: Ich habe mich auf Piet gefreut. Denn wo ich aufgewachsen bin, ist es unüblich, Namen mit Artikeln zu gebrauchen. Das gibt es in Süddeutschland und auch in NRW – und in Kindertagesstätten. Die Kitas sind angewiesen auf den Artikel, bei all den Vornamen, denen man das Geschlecht nicht mehr ansieht. Wie Yael, Sidney oder Kim.

Vielleicht hatten Sie sich eher auf Herrn Klocke gefreut. Aber in den Medien duzt man sich neuerdings fast immer.

Piet Klocke: Wir übernehmen alles aus Amerika, auch unbesehen.

Sick: Oder aus Schweden. Ikea trägt viel zur allgemeinen Rudelduzerei bei. Denn in Schweden gibt es kein Sie. Es gibt da nur das Ehren-Sie, und das ist dem König vorbehalten. Was nun dazu führen müsste, dass wiederum alle Kunden gesiezt werden, weil ja der Kunde bekanntlich König ist. Aber eben vielleicht nicht bei Ikea. Da ist der Kunde dann doch nur der Wagenschieber.

Auch Google duzt uns.

Klocke: In der Cloud duzt man sich auch. Am liebsten vor Verkaufsgesprächen. Kann man aber nicht bezahlen, wird gesiezt!

Herr Klocke, was ist eigentlich so lustig daran, Sätze nicht zu Ende zu sprechen?

Klocke: Das weiß ich gar nicht! Es gibt sehr viele Leute, die in dieser Kurzform kommunizieren. Man hat ja kaum noch Zeit für lange Ausführungen. Außerdem macht es Spaß, selbst zu komplettieren.

Im Fernsehen machen Sie das immer.

Klocke: Ich weiß, aber letztlich zählen auch hier die Inhalte.

Nur, was ist so lustig an den Dingen, die Sie beide machen – an falschem oder richtigem Deutsch oder daran, Sätze einfach ­abzubrechen?

Klocke: Ich vermute, ich verarbeite meinen Lateinunterricht.

"Mein Grundsatz: Scheitern als Weg!"

 
Wir können etwas von Ihnen lernen. Mögen Sie sich oder mögen Sie einander?

Klocke: Ich bin schon vergeben.

Sind Unterscheidungen wie „sich“ und „einander“ wichtig?

Sick: Sie sind bedeutungsvoll. Das zeigt sich, wenn es zu Missverständnissen kommt, wie in dem Beispiel vom Wahlkampf 2002. Nach dem Rededuell Gerhard Schröder gegen Edmund Stoiber sagte ein Sprecher: „Beide Kandidaten erklärten sich für unfähig, das Land zu regieren.“ Ja, warum treten die denn überhaupt an? Hätte der Sprecher gesagt: „Die Kandidaten erklärten einander für unfähig, das Land zu regieren“, dann wär’s klar gewesen.

Klocke: Heinz von Foerster, mein Lieblingskybernetiker, hat einmal gesagt: Nicht der Sprecher, sondern der Zuhörer bestimmt den Inhalt des Gesagten. Auf der Bühne assoziiere ich permanent. Deshalb muss ich bei meinen Geschichten und Vorträgen in ­kürzester Zeit entscheiden, welche der diversen Assoziationen ich nehme. Angst vor dem Risiko darf da nicht aufkommen. Mein Grundsatz, nicht nur auf der Bühne: Scheitern als Weg!

So hieß eines Ihrer Programme. Herr Sick, Sie nennen die Fälle im Titel Ihrer Bücher, den Dativ, den Genitiv...

Sick: Hinter den Fällen steckt ja auch eine philosophische Idee. Akkusativ kommt von „accusare“ „anklagen“. Man beklagt jemanden. Dativ kommt von „dare“ „geben“. Ich gebe dir... Der Dativ ist ein sehr viel direkterer Fall, Akkusativ ist schon abstrakter. Und der Dativ ist älter.


 
Die Fälle zu unterscheiden, ist sicher wichtig. Aber ist es nicht ziemlich wurscht, ob ein Apostroph richtig gesetzt ist?

Sick (springt auf und holt mehrere Fotos herbei): Ich zeige Ihnen ein paar Fälle, wo mir der Apostroph nicht wurscht sein kann, weil er Rätsel aufgibt. Zum Beispiel hier: „Das McDonald’s-Team für Sie unterweg’s“. Da wird das adverbiale Endungs-S apostrophiert. Man fragt sich, warum.

Ja. Aber ist es schlimm?

Sick: Mir geht es um die Gedankenlosigkeit, das ist der Punkt. Gedankenlosigkeit macht Lücken, falsche Apostrophe, falsche Auseinanderschreibungen. Man findet den Apostroph inzwischen längst nicht nur beim Genitiv, sondern auch beim Plural: „Steak’s“, „Pizza’s“, sogar „Nudel’n“ habe ich gesehen.

Komisch, dass die Menschen so gern darüber lachen, wenn sie in Ihre Show kommen.

Sick: Weil das gebildete Menschen sind, die selbst nicht fassen können, wie viel Unsinn in der Welt da draußen verzapft wird. Ich konzentriere und verdichte diesen Unsinn zu einer Unsinnswolke, und wenn die schwebt und wabert, dann ist es lustig.

Herr Klocke, Sie reden oft Sätze nicht zu Ende. Sie nehmen ­Leute aufs Korn, die das auch nicht tun. Ist das eine Stärke oder eine Schwäche?

Klocke: Ich nehme niemanden aufs Korn. Das ist mein eigenes Ding, und es passt zusätzlich noch blendend in unsere Zeit. „The Age of Display“ nenne ich sie in meinem Buch. Wir alle müssen immer schneller mit allem durch sein. Die Informationen haben heute eine derartige Geschwindigkeit, dass ich mich manchmal frage, ob die dazu passenden Ereignisse eigentlich schon...?!

"Ich sammle, frage und wundere mich"


Sie schreiben sich das nicht vorher auf, anders als viele andere Kabarettisten.

Klocke: Ich improvisiere größtenteils. Gebe mir eine Strecke von A nach B vor, so hat mein Gehirn Ausgangs- und Zielpunkt. Da kann es schon mal vorkommen, dass ich auf dem Weg von ­Hamburg nach Istanbul plötzlich über Paris oder Moskau fahre. Das kann wie gesagt schiefgehen. Man verläuft sich ja gern mal.

Sick: Ich kann nicht einfach hin und her springen, weil ich mit Technikern zusammenarbeite, die Bilder oder Musik einspielen.  Das ist eine durchgetaktete Präsentation.

Herr Klocke, Sie erkennen schnell das Potenzial von Wörtern, oder?

Klocke: Das Prinzip jedes künstlerischen Vorgangs: Man lässt Filter weg. Ich muss die Wörter, die Zusammenhänge schnellstmöglichst erkennen, ihnen nicht die Fahrtgeschwindigkeit nehmen und sie möglichst gewähren lassen, offen sein.

Sick: Wie arbeiten Sie? Das wüsste ich gern.

Klocke: Also, nicht gern. Ich bin ein fauler Typ. Aber Sammeln ist meine Leidenschaft. Ich setze mich nur bei Auftragsarbeiten hin und nehme mir streng ein Thema vor. Mein Gehirn ist zu schnell gelangweilt, dann fängt es an zu träumen. Ich sammle, frage und wundere mich. Das kindliche Staunen, ein Gerüst ­meiner Arbeit.

Und dann notieren Sie.

Klocke: Ja, das muss ich machen. Mir fällt oft sehr viel ein, aber nach zehn Minuten hab ich alles wieder vergessen. Es bringt dann nichts, mich zu konzentrieren. Manchmal, wenn ich den Ge­danken kein Interesse mehr entgegenbringe, kommen sie ganz von selbst wieder angetanzt. Die wollen halt auch nicht allein sein!

Sind die Lehrer früher an Ihnen verzweifelt?

Klocke: Überhaupt nicht, ich war ein stinklangweiliges, braves Kind.

Wann hat sich das denn geändert?

Sick: Ist er doch immer noch. Brav, meine ich.

Klocke: Bei mir verstecken sich Chaos und Anarchismus hinter meinem pädagogischen Äußeren. Ich bin ein innerlicher Cowboy. Das hat Vor- und noch mehr Nachteile.

Und bei Ihnen?

Sick: Ich war ein recht guter Schüler, aber nicht der Primus. Wenn man zehn ist, weiß man es noch nicht besser als die Lehrer.

Wollten Sie mal Lehrer werden?

Sick: Ja. Mein Vater und mein Großvater waren Lehrer, in der mütterlichen Linie gibt es Pastoren. Was soll man da anderes ­werden als Pastor oder Lehrer? Während des Studiums merkte ich, dass es auch noch andere Berufe gibt, die nicht in der Kirche oder in der Schule stattfinden.

Klocke: In der Schule haben mich Sport und Kunst interessiert.  Wie sehr Sprachen, Philosophie und Deutsch mich und mein ­Denken aber beeinflusst haben, das habe ich erst später erkannt. Bin halt Spätzünder.

Sie machen sich beide lustig über das, was wir nicht so gut können...

Sick: Oder was wir selbst nicht so gut können. Meine Bücher beruhen allesamt auf irgendwann mal selbst gemachten Fehlern.

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Herr Sick, könnten Sie sich in jemanden verlieben, der Fehler in Deutsch macht?

Sick: Ich lebe mit einem Niederländer zusammen, der sich mit den deutschen Fällen überhaupt nicht anfreunden kann und manchmal haarsträubende, aber entzückende Konstruktionen bildet.

Klocke: Haben die Niederländer das Apostroph auch?

Sick: Ja, die kennen das Problem auch. Die haben den Apostroph zum Beispiel im Plural. Auto’s. Warum auch immer.

DEN Apostroph?

Sick: Ja, es heißt DER Apostroph. Jedenfalls haben das die ­Griechen mal so entschieden. Heute sagen viele Leute „das“, weil es ja nur so ein Häkchen ist. Kann man ja auch verstehen.

Ärgern Sie sich über solche Fehler?

Sick: Nein! Aber ich nehme meine Arbeit ernst. Das muss ich. Ich nehme das Thema Sprache ernst, ich nehme mein Publikum ernst, aber vielleicht mich selbst nicht immer.

Herr Klocke, nervt Sie es, wenn Leute Fehler machen?

Klocke: Nö, überhaupt nicht! Ich mache ja ständig welche.

Sprachentwicklung ist ja auch Evolution. Man könnte aus ­Fehlern lernen und sie dann nicht mehr machen – oder ein ­Fehler, zweimal gemacht, bildet Stil: „Lass ma Kino gehen...“

Sick: Vieles, was wir heute für korrekt ansehen, ist tatsächlich durch ein Missverständnis entstanden. Viele Wörter hatten ­früher eine ganz andere Aussprache oder Bedeutung. Maulwurf – das hat nichts mit Maul zu tun, es ist ein Tier, das „Muld“ wirft, das ist ein altes Wort für Erde. Es findet sich heute noch im Mullverband. Oder der Rosenmontag, der hat nichts mit Blumen zu tun, das war der „rasende Montag“.


"Lasst uns die Wörter behalten!"


Herr Klocke, Sie machen doch gern Quatsch. Wenn Sie zum Beispiel den Patientenparkplatz beim Tierarzt entdecken . . .

Klocke: Was ist daran Quatsch? Ich erinnere mich noch genau, wie ich an einer Tierarztpraxis vorbeischlenderte und das Schild „Patientenparkplatz hinter dem Haus“ las. So einfach und fantasieanregend ist unsere Realität! Ich nehme derlei Dinge nur auf.

Sick: Ich habe auch ein Schild einer Tierarztpraxis in meiner Sammlung. Da gibt es Sprechzeiten für Reptilien und Amphibien.

Humor ist ganz schön schwierig...

Klocke: Ich wurde vor kurzem von einer Schülerzeitung gefragt, wie man Comedian wird. Ich hasse diesen Begriff! Niemand ­würde über Loriot sagen, er sei Comedian gewesen! Das riecht mir zu sehr nach Massenware, nach Schwemme, nach Ausverkauf. Das hat Humor, der uns ein Mittel sein kann gegen die Unbill des Lebens, gegen seine Zumutung, wirklich nicht verdient. Ich liebe guten Mutterwitz, mag keine Scherze auf Kosten anderer, hasse Zynismus als Grundtendenz. Meiner Meinung nach kann man Humor nicht studieren. So habe ich geantwortet.

Sick: Im Volksmund heißt es deshalb: Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Trotz des Schmerzes und der Tragik.

Herr Sick, Sie finden die Lutherstadt Wittenberg grotesk.

Sick: Oh nein, natürlich ist Wittenberg eine schöne Stadt und eine Lutherstadt. Aber dass sie von allen nur noch als Lutherstadt Wittenberg bezeichnet wird, das hat etwas Zwanghaftes. Und wenn die Bahn den Artikel weglässt: Nächster Halt Lutherstadt Wittenberg. Das klingt wie ein Doppelname. Aber „Lutherstadt“ ist ja nur ein Zusatz, eine Auszeichnung, nicht Teil des Namens. Ich rege mich nur darüber auf, wenn Städte immer so einen Beinamen brauchen. Universitätsstadt, Wissensstadt, Messestadt, es gibt so viele Attribute, dass es schon wieder beliebig wird.

Herr Sick, Sie schlüpfen bei Ihren Auftritten auch in eine Rolle – als Besserwisser, oder? Das mögen die Leute ja auch.

Sick: Na ja. Ich spiele eher die Rolle eines Ratgebers oder Ex­perten. Wie ein Arzt, der ja auch ein Experte ist und Ihnen sagt, was Sie tun sollen. Dafür zahlen Sie sogar noch. Wenn Ihnen aber jemand sagt, das Komma ist nicht richtig, dann ist er ein Besserwisser. Wer an der Sprache herumkrittelt, krittelt an der Persönlichkeit herum. Wer das tut, ist ein Besserwisser, ein Oberlehrer, ein Klugscheißer, ein Rittmeister mit der Reitpeitsche...

Offensichtlich lassen wir uns ja doch gerne peitschen...

Sick: Das gehört offenbar zum deutschen Wesen. Wir sind ein Volk von Selbstgeißlern. Aber das ist eine andere Geschichte. ­Wir leben ja eigentlich in entspannten Zeiten. Vor hundert Jahren hatten Schüler sehr viel mehr auszuhalten. Wer da etwas verbockt hatte, der wurde vor der ganzen Klasse vorgeführt, gedemütigt...

Klocke: Heute geht man ins Dschungelcamp.

Sick: Ja, heute bekommt man vielleicht eine eigene Fernsehshow.

Gibt es ein Wort, auf das Sie auch verzichten können?

Klocke: Bei mir ist es gerade das Wort Nachhaltigkeit. Das ist längst im Überangebot!

Sick: Ich möchte auf keines verzichten. Denn allein die Möglichkeit, diese Wörter zu bilden und mit ihnen etwas anzufangen, kennzeichnet den Reichtum unserer Sprache. Und jedes Verbot, jedes Ausschließen bedeutet das Verschenken einer Möglichkeit, und das ist schade. Jeder Einzelne ist gefordert, seine Wortwahl immer wieder zu überprüfen, gelegentlich zu modernisieren oder auch mal um etwas Antikes zu bereichern. Das Phrasendreschen und Nachäffen sprachlicher Moden ist ermüdend, aber dafür ­können die Wörter ja nichts. Lasst uns die Wörter behalten!

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Ein, wie ich finde, sehr entspanntes Interview mit diesen beiden "Sprachstrategen", Gratulation! Vor allem von Klocke hätte ich diesen intelligenten, frischen Witz nicht so erwartet, er überrascht. Im Fernsehen kommt er mir immer ein wenig zu altbacken vor. Ich ziehe meinen Hut!

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Ich gebe zu bedenken, ist tatsächlich „…die Gedankenlosigkeit…“ oder nicht eher die liberalisierte (Un)Kultur der deutschen Sprache „…der Punkt“? Nach meiner laienhaften Beobachtung (Geburtsjahrgang 1941) konnten immer schon - prozentual gesehen - nur sehr wenige Menschen richtig sprechen, lesen und schreiben. Und ich nehme an, dass dieser prozentuale Anteil rückläufig ist, weil die schulische bzw. gesellschaftliche Wertschätzung des richtigen Sprechens, Lesens und  Schreibens rückläufig ist. Mangelhafte Fremdsprachenkenntnis, Sprachen-Mix,  fehlerhafte Werbetexte und/oder journalistisch verkürzender Jargon (er/sie kann Kanzler) tun ein Übriges. Die elektronischen Zwischenstufen der Kommunikation fungieren als Multiplikatoren der sprachlichen Defizite, denn jetzt müssen viele Menschen schreiben, obwohl sie Grammatik und Rechtschreibung nie richtig gelernt haben.

In einer Bevölkerung, in der bis in die akademischen Kreise, in Zeitungen und Werbetexten… falsch gesprochen und geschrieben wird, breiten sich fehlerhafte Sprech- und Schreibweisen aus und manifestieren sich.

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