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Die Wunden der Apartheid sind immer noch tief. Heilung und Annäherung geschieht in Südafrika in kleinen, manchmal ungewöhnlichen Schritten
19.11.2013

„Ich war wütend und zutiefst gedemütigt! Ich wollte jeden Weißen, der mir in die Quere kam, umlegen.“ Der Pfarrer kämpft sichtlich mit den Emotionen, als er von seinen tiefen Verletzungen zu Apartheidszeiten erzählt. Wir sind ein kleiner Kreis von Pastoren aus verschiedenen Kulturen und Kirchen, die sich alle lutherisch nennen, und nehmen an einem dreitägigen Workshop mit dem Titel „Healing of ­Memories“ teil. Heilung der Erinnerung – ­genau das passiert, wenn der Kollege sein Inneres nach außen kehrt, das erste Mal nach dreißig Jahren, wie er erzählt. Er sagt auch: „Noch heute ist eine Mauer in meinem Herzen.“

Drei Wochen später sitze ich im kleinen Gruppenraum hinter der Inner-City Kirche St. Michaels in Durban, wo ich als Pfarrer arbeite. Unser Kirchenvorstand trifft sich mit den Vorstehern der benachbarten lutherischen Gemeinden, zum Aufwärmen und ersten Kennenlernen machen sie eine Art Speeddating: In zwei langen Reihen sitzen sie sich am Tisch gegenüber. Alle paar Minuten rutscht die eine Reihe einen Platz weiter, so dass dabei das direkte Gegenüber  wechselt und jeder jedem einmal gegenüber sitzt. In einer ersten Runde ­sollen die Teilnehmer sich gegenseitig ihre Namen und dessen Bedeutung verraten, in weiteren geht es ums Lieblingsessen, um Familienstand, um den Beruf und zum Schluss um die Hoffnungen für die eigene Gemeinde. Dafür ist auch am meisten Zeit vorgesehen.

Die Köpfe rücken nahe zueinander, damit sich die jeweiligen Partner in dem Stimmengewirr verstehen. Ich schaue zu und denke: Das Bild ist für Südafrika wirklich außergewöhnlich. Weiß, schwarz, jung, alt, arbeitslos, wohlhabend, revolutionär, konservativ – solche Begegnungen sind in unserem Land noch viel zu zu ­selten. Sie sind aber so wohltuend und geben Hoffnung für die Zukunft. Mir fällt der Psalmvers und der daraus abgeleitete Liedtext ein: „Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen!“ Das wird hier gerade wahr. Was für ein Geschenk, im Geschäft des Mauer-Überspringens zu sein! Und das noch im Format des Speeddatings.

 

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