Marco Wagner
Auswandern? Das wäre feige Flucht
Der Journalist und Pazifist Carl von Ossietzky wurde zu einem unbeirrbaren Kritiker der illegalen Aufrüstung Deutschlands
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
18.06.2013

Im Herbst 1935 trifft im KZ Esterwegen ein Präsidiumsmitglied des Internationalen Roten Kreuzes auf einen gebrochenen Mann. Schon ins Lager hineinzukommen, war für den Besucher Carl Burckhardt schwer gewesen. Dann darf er den Häftling sehen. Er beschreibt ihn später als „zitterndes, totenblasses Etwas, ein Wesen, das gefühllos zu sein schien, ein Auge geschwollen, die Zähne anscheinend eingeschlagen.“ – „Ich bin am Ende“, sagte der Häftling, der scharfzüngige Journalist und Regimekritiker Carl von Ossietzky.

Es hätte nicht so weit kommen müssen, wenn „Oss“ dem häufigen Drängen seiner Freunde und Kollegen aus der Redaktion der „Weltbühne“ gefolgt wäre, ins Ausland zu gehen. Doch daran zeigte er kein Interesse. Das hatte mit seiner Familie zu tun – seine Frau war alkoholkrank. Sich vor den Nazis in Sicherheit zu bringen, kam aber auch in seinem Denken nicht vor. Er wollte sich für seine politischen Ideale mit Leib und Seele einsetzen. „Der Oppositionelle, der über die Grenze gegangen ist, spricht bald hohl ins Land hinein“, hatte er Jahre zuvor gesagt. „Wenn man den verseuchten Geist eines Landes wirkungsvoll bekämpfen will, muss man dessen allgemeines Schicksal teilen.“

Verdun machte ihn zum unerbittlichen Kriegsgegner

Ossietzky war Pazifist. Das hatte eine  Vorgeschichte. Seit 1908 war er Mitglied in der Deutschen Friedensgesellschaft. 1916 hatte er einrücken müssen, war „Armierungssoldat“ an der Westfront geworden. Dort baute er Stellungen und Schützengräben. Anfänglich kriegsbegeistert, machte Verdun ihn, den eher schüchternen, manchmal eigenbrötlerischen Intellek­tuellen, zum unerbittlichen Kriegsgegner.

1926 wurde er Redakteur, bald danach Chefredakteur der bürgerlich-linken „Weltbühne“. Mit seinem Namen verbanden sich in der Öffentlichkeit gleich zwei Enthüllungsgeschichten: 1927 hatte er publik gemacht, dass das abgedankte
Kaiserhaus beim Aufbau einer Freiwilligenarmee, der „Schwarzen Reichswehr“, beteiligt war, nach den Versailler Verträgen strikt verboten. Diese Geschichte brachte ihm viel Aufmerksamkeit ein. Er arbeitete wie besessen. Um seine Frau und seine junge Tochter Rosalinda kümmerte er sich kaum. Rosalinda saß ungezählte Abende zu Hause schweigend ihrem schreibenden Vater gegenüber, auf dem Tisch vor ihnen  Teekanne, Schildkröte, Papier, Bleistift.

Er hätte sich leicht der Haft entziehen können

Besonderen Ärger brachte Ossietzky 1929 eine andere Enthüllung ein: dass der Reichstag Geld für den ebenfalls illegalen Aufbau einer Luftwaffe zur Verfügung stellt. Zweieinhalb Jahre dauerte es, bis es zum Verfahren wegen Landesverrats kam. Er und ein Kollege wurden zu 18 Monaten Haft verurteilt. Er hätte sich leicht der Haft entziehen können, wenn er umgehend ins Ausland geflohen wäre. Doch Ossietzky zog, begleitet von Journalisten und Friedensaktivisten, demonstrativ ins Gefängnis nach Tegel. Durch eine Amnes­tie kommt er vorzeitig frei. 

Im Frühjahr 1933 warnen ihn Freunde erneut. Sie haben etwas läuten gehört vom bevorstehenden Reichstagsbrand, ohne genau zu wissen, was von den Nazis geplant war. Ossietzky weigert sich auszureisen. Bereits in der Nacht nach dem Brand am 27. Februar werden Oppositionelle verhaftet. Am frühen Morgen wird auch Carl von Ossietzky abgeholt.

Vor Görings Augen zerreißt er die Verzichtserklärung

Ein knappes Jahr ist er im SA-Konzentrationslager Sonnenburg bei Küstrin – Journalisten aus aller Welt behalten ihn im Blick, wollen ihn besuchen. Wahrscheinlich auch deshalb wird er ins Gestapo-Gefängnis (KZ) Esterwegen im Emsland verlegt. Häftling 562 wird zur Arbeit im Moor gezwungen. Bald leidet er an einer offenen Tuberkulose. Ob ihm die Bakterien gespritzt wurden, ist unklar. Spät, zu spät, im Mai 1936, wird er ins Staatskrankenhaus der Polizei nach Berlin gebracht.

Über Monate macht die deutsche Regierung Druck auf die norwegische, um zu verhindern, dass Ossietzky der Friedensnobelpreis verliehen wird. Das Komitee lässt sich nicht beirren, verleiht ihm im November 1936 den Preis rückwirkend für das Jahr 1935. Reichstagspräsident ­Hermann Göring sucht Ossietzky persönlich auf, um ihn zu überreden, auf den Preis zu verzichten. Die vorbereitete Verzichtserklärung, die ihm Göring in die Hand drückt, zerreißt Ossietzky vor seinen Augen. Seine Begründung: „Ich war Pazifist, und ich werde Pazifist bleiben.“

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