Thomas Meyer/Ostkreuz
Krieg der Generationen?
Rita Süssmuth geht nicht hin! Wolfgang Gründinger macht auch nicht mit. Die Beiden kämpfen lieber für eine Ausbildung für alle. Das ist die beste Altersvorsorge!
Tim Wegner
Tim Wegner
11.02.2013

chrismon: Frau Süssmuth, Sie wurden 1967 Mutter. Dachten Sie damals: „In was für eine Welt wird unsere Tochter da geboren?

Rita Süssmuth: Ich muss Sie enttäuschen – nein. Wir wussten bis zur Geburt nicht, ob es ein Mädchen oder ein Junge wird, von möglichen Krankheiten ganz zu schweigen. Wenn dann die Füßchen strampeln, überwiegt so sehr das Glück jungen Lebens, dass Sie sich dem Augenblick hingeben. Wir waren beide im Beruf, die Frage war eher, wie viel Zeit wir für das Kind haben. Wie schaffen wir es ohne schlechtes Gewissen, dass sie mit Hilfe der Großeltern gut aufwachsen kann? Meine Tochter sollte glücklicher aufwachsen als ich; ich hatte durch den Krieg und in der Nachkriegszeit viel Angst erleben müssen.

Herr Gründinger, Sie wurden 1984 geboren. Wovor hat Ihre ­Generation Angst?

Wolfgang Gründinger: Angst haben wir sicher nicht! Materielle Armut wie in der Nachkriegszeit kennen wir nicht. Ich hatte immer genug zu essen, eine warme Wohnung, als Teenager auch Internet – mehr braucht man eigentlich nicht. Wir haben Frieden in Europa, wir können mit Billigfliegern um die Welt reisen – wir haben es gut. Für sich persönlich sind daher viele optimistisch. Aber gesamtgesellschaftlich gesehen sind wir Pessimisten.

Wer ist eigentlich „Wir“, für wen sprechen Sie?

Gründinger: Ich spreche für niemanden, es hat mich schließlich niemand gewählt. Aber als jung würde ich, grob gesagt, alle unter 30 definieren. Ich gehöre so gerade noch dazu. Wir erleben eine wachsende Spaltung in Arm und Reich: Zehn Prozent der Bundesbürger besitzen 56 Prozent des Vermögens – die untere Hälfte nur zwei Prozent! Wir sehen ungelöste Umweltprobleme wie den Klimawandel. Auch der demografische Wandel wird nicht einfach zu bewältigen sein. Und seit ich politisch halbwegs bewusst denken kann, lese ich unentwegt: „Ihr müsst den Gürtel enger schnallen, der große Wohlstand ist vorbei.“ Ich frage mich dabei allerdings: Wer von uns soll denn den Gürtel enger schnallen?

Das Versprechen, dass Sie besser leben können als Ihre Vorgängergenerationen, gilt für Sie nicht?

Süssmuth: Moment! Ich habe nicht gesagt, dass ich meiner Tochter ein besseres Leben wünsche, aber ein glücklicheres. Wir dürfen das nicht nur materiell sehen.

Gründinger: Das finde ich auch. Zumal wir in Deutschland eine Mittelschicht haben, der es materiell gutgeht. Die haben schon ein Haus, machen drei Mal im Jahr Urlaub, haben iPhone und iPad – was soll da noch kommen? Meine Mutter war alleinerziehend; mein Vater war leider vor meiner Geburt gestorben. Soll sie etwa den Gürtel enger schnallen müssen? Jemand, der es ohnehin schon schwer genug hat? Obwohl meine Familie also nicht unbedingt zu den Begüterten gehört, bin ich alles in allem zufrieden aufgewachsen. Und vielen in meiner Generation reicht das – glücklich sein. Karriere nur um des Geldes willen? Von so einem Aufstiegsgedanken haben wir uns verabschiedet. Wir haben eine genaue Vorstellung, was wir wollen, und das machen wir auch dann, wenn wir weniger verdienen. Für ältere Menschen ist das eine Herausforderung. Neulich habe ich gehört, wie sich ein Manager beschwerte: „Junge, in deinem Alter habe ich nach einer Gehaltserhöhung gefragt, und du fragst nach Elternzeit? Ist die Wirtschaft so noch zu halten?“

Sie haben den demografischen Wandel erwähnt. Machen Sie dafür die Generation von Frau Süssmuth verantwortlich?

Gründinger: Ich kann doch Frau Süssmuth dafür nicht verantwortlich machen.

Süssmuth (lacht): Doch, wir haben nur eine Tochter!

Gründinger (lacht): Na gut, so gesehen!

Süssmuth: Aber immerhin vier Enkelkinder von dieser einen!

Heute ist erklärungsbedürftig, warum Menschen überhaupt noch Kinder bekommen

Gründinger: Statt anderen die Schuld zu geben, finde ich es wichtiger, auf die heutigen Umstände zu schauen, auch dazu eine Zahl: Drei von zehn jüngeren Arbeitnehmern arbeiten unter prekären Bedingungen wie Leiharbeit, Werkverträgen oder mit befristeten Anstellungen. Die Arbeit ist unsicher, obwohl wir zwischen 20 und 30 alles Mögliche schaffen sollen: studieren, Geld verdienen, Vorsorge betreiben, dazu am besten noch ein soziales Engagement; das macht sich gut im Lebenslauf. Eigentlich ist eher erklärungsbedürftig, warum Menschen heute überhaupt noch Kinder bekommen – und nicht, warum sie keine bekommen.

Süssmuth: Sie sind vor Herausforderungen gestellt, an die wir damals nicht dachten. Golo Mann sagte einmal: „Kinder hat man zu haben.“ Das gilt nicht mehr. Umso mehr stimme ich mit Ihnen überein, dass die Bedingungen für Familien und Kinder gut sein müssen. Ich will nicht zum Kommunismus, aber wieder zurück zur sozialen Marktwirtschaft, in der es nicht nur um die Frage geht: Was ist gut für mich? Sondern auch: Was ist gut für alle?

Gründinger: Heute gilt ja als Leistungsträger, wer perfide Finanzprodukte entwickelt, die Gesellschaften an den Rand des Ruins treiben...

Süssmuth: Jetzt nennen Sie doch mal positive Beispiele! Leistungsträger ist, wer...

Gründinger: ...Kinder erzieht und alte Menschen pflegt!

Süssmuth: Ja, sehr gut!

Gründinger: Aber warum ist diese Arbeit so miserabel bezahlt und sozial schlecht anerkannt, während Manager, die Unternehmen an die Wand fahren, noch Abfindungen bekommen?

Frau Süssmuth, das hätte Ihre Generation besser lösen können!

Ich galt als naiv, aber ich brachte die Menschen in Bewegung

Süssmuth: Einverstanden. Aber Sie müssen sehen, dass Politik ein zähes Ringen ist. Ein Beispiel: Als ich Familienministerin wurde, war ich fachlich gut, aber politisch schlecht vorbereitet. Ich hatte einen hervorragenden Vorgänger, Heiner Geißler. Der hatte Erziehungsgeld und auch die Anrechnungszeiten von Er­ziehung in der Rente durchgesetzt. Aber er hatte eine Frist gesetzt: Nur wer 1985 oder danach 65 Jahre alt wurde, fiel unter diese Regelung. Die damals über 65-Jährigen sollten nichts bekommen. Das waren zum Teil Frauen, die zwei Weltkriege erlebt und nie ein Kindergeld gesehen hatten. Ich wollte das ändern. Das sollte sechs Milliarden Mark kosten. Ich galt sofort als naiv, aber ich brachte die Menschen in Bewegung. Der Kanzler und der Finanzminister bekamen körbeweise Post.

Gründinger: Briefe schreiben können sie, die Älteren! Ich bekomme auch viel „Fanpost“.

Süssmuth: Ich habe einen Kompromiss geschafft, weil der Druck größer wurde. Nicht alle bekamen sofort diese Mütterrente, es gab ein Stufenmodell. Dafür bin ich kritisiert worden, aber mir war wichtig: Die Menschen müssen sehen, dass Politiker kämpfen und Lösungen suchen, auch wenn sie nicht alles erreichen. Haben wir ja auch nicht. Wir werden nicht um eine Grundsicherung im Alter herumkommen, die sich aus Steuern finanziert.

Gründinger: Die könnte es doch längst geben!

Süssmuth: Das wussten wir 1989 alle schon, aber wir sind nicht weiter gekommen. Heute gilt das erst recht: Was wird später aus den Leuten, die lauter zerstückelte Arbeitsverhältnisse haben?

Gründinger: Die Jungen kümmern sich nicht wirklich um die Rente, das ist für sie noch weit weg. Woran wir denken: Schaffe ich das Studium, bekomme ich einen sicheren Arbeitsplatz und eine bezahlbare Wohnung?

Wollen Sie denn selber Kinder?

Gründinger: Man braucht erst mal eine Partnerin, die das selber will und kann. Meine Freundin ist Schauspielerin, da muss man sich erst mal einen Namen machen, da ist alles unsicher...

Süssmuth: Wie leben Sie?

Gründinger: Ich bin Autor, Soloselbstständiger, wie man heute sagt. Das hat Licht und Schatten. Ich kann selbst bestimmen, wann der Wecker klingelt, wo und wann ich arbeite. Der Philosoph Oskar Negt hat Emanzipation mal so definiert: Man müsse selbst im Arbeitsleben über Zeit und Ort bestimmen können. Ich brauche tatsächlich nur einen Laptop und gute espressohaltige Getränke. Die Schattenseite: Wie spare ich mir so meine Rente an? Was ist, wenn man krank wird? Wenn die Aufträge einbrechen? Wie ohne geregeltes Einkommen eine Wohnung finden? Da bleiben nur Wohngemeinschaften.

Süssmuth: Ich will unseren Dissens mal beim Namen nennen. Sie sagen, man muss den Jungen das Geld geben. Aber was machen wir mit den Alten, die keine Rente kriegen? Für die mag Oskar Negt zwar ein guter Theoretiker sein, aber nicht alle Menschen können es sich leisten, selbstbestimmt zu leben.

Wenn die Jungen immer weniger werden, müssen wir umso mehr in die Jungen investieren!

Gründinger: Aber in einer Gesellschaft, in der die Alten immer mehr werden und die Jungen immer weniger, müssen wir doch umso mehr in die Jungen investieren! Damit die besser ausge­bildet werden, damit sie viel produktiver werden, damit sie die Älteren gut versorgen können! Wenn der Kuchen groß bleibt, gewinnen beide Seiten. Ich werde ja auch mal alt, und ich will auch, dass die Generation nach mir mich gut versorgt.

Süssmuth: Es gibt dieses neue Denken! Ich kenne Gemeinden, in denen die Älteren die Kinder aus der Kita abholen. Das entlastet die Eltern, die lange Fahrtwege zur Arbeit haben. Im Gegenzug kaufen die Eltern der Kinder mit für die älteren Leute ein, die kein Auto mehr haben. Es entstehen neue Genossenschaften.

Gründinger: Es gibt aber auch alte Menschen, die dagegen klagen, dass eine Kita neben ihr Haus gebaut wird. Dabei müsste man die neben Altenheime bauen, damit man sich gegenseitig kümmert.

Süssmuth: Das gibt es schon. In Duisburg ist eine Kita mitten im Seniorenzentrum entstanden. Wir müssen energisch auftreten gegen solche Egoisten, dabei helfen gute Beispiele.

Gründinger: Aber im Dialog der Generationen werden die Jungen außen vor gelassen. Nehmen Sie den Nachhaltigkeitsrat der Bundesregierung, die reden darüber, wie die Jungen später leben werden. Da sitzt keiner unter 50! Ein Erlebnis habe ich besonders in Erinnerung: Es gab mal einen Bericht zum kindgerechten Deutschland, den haben wir – ein Team von Jugendlichen – für die damalige Familienministerin Ursula von der Leyen gemacht. Wir hatten lange nach einem Termin gesucht, um ihr den Bericht zu übergeben. Am Ende sagte sie den Termin kurzfristig ab und nahm stattdessen einen Bericht der Sachverständigenkommis­sion in Empfang. Es wird also gern über die Jugend geredet, aber nicht mit ihr. Dadurch pflegt jeder seine Vorurteile: Die Jungen sind faul, luxusverwöhnt, nehmen Drogen, spielen nur am Computer, sind soziale Zombies. Wir Jungen denken oft, dass die Alten nicht mehr körperlich fit sind – auch falsch. Davon abgesehen haben wir keine Vorurteile über die Alten. Wir schätzen sie sehr!

Süssmuth: Bisher haben wir keinen Generationenkonflikt.

Gründinger: Stell dir vor, es ist Generationenkrieg und keiner geht hin!

Herr Gründinger, Sie setzen sich für die Jugend ein. Wollen Sie in die Politik? Oder lieber den Shitstorm im Internet initiieren?

Gründinger: Der Shitstorm allein wird nicht reichen, auch wenn es immer mal wieder funktioniert, wie beispielsweise kürzlich die auf Twitter losgetretene „Aufschrei“-Welle zur längst überfälligen Diskussion über Alltagssexismus. Man braucht aber auch Unerschrockene, die sich den nicht vergnügungssteuerpflichtigen Marsch durch die Institutionen antun. Es sind leider zu wenige, weil viele in meiner Generation Politik als abgeschottetes, dreckiges Geschäft wahrnehmen, das von Lobbyisten und Finanzmärkten ferngesteuert wird.

Trotzdem träumen Sie von einem Wahlrecht ohne Altersgrenze. Warum, wenn die Jungen eh alles eklig finden in der Politik?

Gründinger: Zugegeben, es gibt in der Jugend ein komisches Poli­tikverständnis. Ich treffe Leute, die sagen: „Ich interessiere mich nicht für Politik, aber ich bin in der Fairtrade-Initiative an meiner Schule engagiert.“

Süssmuth: Die verwechseln Politik mit Parteipolitik. Wie durchbrechen wir das?

Gründinger: Indem wir erklären, dass Politiker auch nicht anders sind als sie, aber einen anderen Weg gewählt haben, ihre Ideen umzusetzen. Ideen haben die Jungen auch. Nur sind sie in keiner Partei, sondern setzen sich bei „Teach First“ oder Arbeiterkind.de für Schüler in Brennpunkten oder aus benachteiligten Eltern­häusern ein. Sie programmieren nachhaltige Computerspiele, schreiben Blogs oder gründen soziale Unternehmen.

Süssmuth: Nur informell und spontan – das geht nicht. Man muss die Veränderung auch organisieren.

Dachten Sie als Bundestagspräsidentin manchmal: Im Par­lament müssten mehr junge Querdenker sitzen?

Süssmuth: Ich wollte die Öffnung. Im Bundestag habe ich beim Tag der offenen Tür Bürgerinitiativen reingelassen. Ich habe auch Ärger dafür bekommen, dass ich Bürgerinitiativen ausgezeichnet habe, gerade die der Jungen. Die Demokratie ist in einer wahn­sinnigen Krise und andererseits in einem wunderbaren Erneuerungsprozess. Wir können jetzt nicht wieder die Haustore zu­machen und sagen, wir bleiben unter uns. Aber ich will nicht das Wahlrecht ab null, ich will schon den mündigen Bürger

Gründinger: Wer ist denn der mündige Bürger?

Süssmuth: Das setzt schon früher ein als mit 18, ich bin auch dafür, dass Jugendliche die Kommunal- und Landesparlamente ab 16 wählen dürfen. Aber ich will unbedingt verhindern, dass Eltern für ihre Kinder wählen, gerade weil Kinder ganz anders denken als ihre Eltern.

Gründinger: Dann sind wir beide dafür: Wahlalter senken! Ein erster Schritt!

Wofür würden Sie beide gemeinsam auf die Straße gehen?

Süssmuth: Ich würde alle Möglichkeiten, auch Twitter und Facebook, nutzen, damit Jung und Alt auskömmliche Arbeit und Gestaltungsmöglichkeiten haben.

Bitte konkreter! Sonst kommt keiner auf die Demo!

Süssmuth: Ein Ausbildungsplatz für jeden Jugendlichen!

Gründinger: Da komme ich gerne mit. Und Sie, Frau Süssmuth, würde ich mitnehmen auf eine Demo für höhere Erbschafts­steuern – als Generationen-Soli für bessere Kinderbetreuung.

Süssmuth: Da zögere ich.

Gründinger: Schade!

Süssmuth: Nicht weil ich Ihren Soli nicht zahlen will. Aber ich habe selten erlebt, dass Steuern genau für den Zweck ausgegeben werden, für den sie gedacht waren.

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