Illustration: Klaas Neuman
Die großen evangelischen Entwicklungsdienste tun sich in Berlin zusammen. Als Teil des Diakonischen Werks der EKD erhoffen sie sich mehr politischen Einfluss – und riskieren den Verlust ihrer alten kirchlichen Milieus im Rheinland und in Württemberg.
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
25.09.2012

Was macht man mit einem abgeschlossenen Landwirtschafts­studium und einem starken Drang ins Ausland? Entwicklungs­hilfe leisten, sagte sich Ulrich Gundert Anfang der 1980er Jahre. Der gelernte Landwirt ging erst nach Togo und half den Leuten auf dem Land, ressourcenschonend zu wirtschaften. Später auf den Philippinen überlegte er mit Bauern, wie man Reis nachhaltig anbaut und gewinnbringend vermarktet.

1995 fand Ulrich Gundert seine Lebensstelle – bei Brot für die Welt. Entwicklungshilfe von Stuttgart aus mit Reisen zu Projektpartnern in Asien und Afrika: Projektanträge prüfen, Ausgaben nachvollziehen, Erfolge und Misserfolge auswerten, Rechenschaft gegenüber Geldspendern ablegen, an Strategien der Entwicklungshilfe feilen. Inzwischen leitet Gundert die gesamte Programm­abteilung. Nun, nach 17 Jahren in Stuttgart, heißt es wieder Koffer packen. Diesmal zieht der Arbeitgeber Brot für die Welt um, nach Berlin.

Gundert geht mit, etwa drei Viertel seiner Stuttgarter Kollegen tun es auch.
Grund für den Umzug: In Berlin entsteht das neue Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung. Der Evangelische Entwicklungsdienst aus Bonn wird Teil des Diakonischen Werks der EKD, genauer: Er fusioniert in Berlin mit Brot für die Welt und Diakonie Katastrophenhilfe, beide bislang in Stuttgart.

Die neue Zentrale am Berliner Nordbahnhof wird in den ersten beiden Oktoberwochen bezogen: ein langer sandfarbener Bau zwischen den Verwaltungen von Deutscher Post und Deutscher Bahn – sechs Obergeschosse, mittendrin ein glasüberdachtes ­Atrium, das Ganze klimafreundlich beheizt und gekühlt. Projektpartner in Übersee werden also künftig nur noch eine evangelische Kontaktadresse in Berlin haben statt bisher drei in Stuttgart, Berlin und Bonn. 

Schon die zweite Fusion

Karin Döhne war in ihrem ersten Beruf Unterrichtskrankenschwester. Nach einigen Berufsjahren in Deutschland lehrte sie nepalesische Krankenschwestern, wie man Infektionskrankheiten vorbeugt, wie Eltern an Impfprogramme herangeführt werden, wie Trinkwasser aufbereitet wird, wie man sich gesund ernährt. Sechs Jahre lebte sie in einem entlegenen Himalaya-Tal unter schneebedeckten Achttausendern, vier weitere Jahre in der Hauptstadt Kathmandu. Zurück in Europa, kam sie zu Dienste in Übersee nach Stuttgart. Die Entwicklungshilfeorganisation arbeitete viel mit Brot für die Welt zusammen, Döhne lernte den Referenten Ulrich Gundert kennen.

1999 erlebte sie die erste Fusion: Dienste in Übersee tat sich mit anderen Entwicklungshilfewerken zum Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) zusammen. Karin Döhne zog mit ins neue Büro nach Bonn. Nun, 2012, folgt die zweite mit Brot für die Welt. Auch beim EED machen drei von vier Kollegen den Umzug nach Berlin mit. „Es fügt sich zusammen, was zusammengehört“, so stellt es sich für Döhne dar.

An die neuen Hierarchien unter den 640 Mitarbeitern und den zusätzlichen bürokratischen Aufwand im neuen Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung müssen sich sie allerdings erst einmal gewöhnen. Karin Döhne und Ulrich Gundert werden zum Beispiel Abteilungsleiter auf der neu geschaffenen mittleren Ebene, sie für Afrika, er für Asien, Pazifik und den Nahen Osten.

Auch müssen die Mitarbeiter des Evangelischen Entwicklungsdienstes künftig mit der Öffentlichkeitsabteilung von Brot für die Welt zusammenarbeiten. Brot für die Welt war bislang fast ausschließlich spendenfinanziert und musste die Spenden aufwendig einwerben. Der Evangelische Entwicklungsdienst arbeitete überwiegend im Stillen mit öffentlichen Mitteln.

Brot für die Welt entstand 1959 aus einer einmaligen Hilfssammlung. Die Evangelische Kirche in Deutschland wollte sich für die Nachkriegshilfe für Deutschland erkenntlich zeigen und nun ihrerseits armen Ländern der sogenannten Dritten Welt helfen. Sie rief zu einer Weihnachtsspende auf. 19 Millionen D-Mark kamen zusammen, davon fast 5 Millionen aus der DDR – mehr als erwartet. Die jährliche Sammlung zum Heiligabend war ge­boren. Daraus entstand das bundesweit bekannte Entwicklungshilfewerk, das die Deutschen über Ursachen und Hintergründe von Armut und Gewalt in den Ländern des Südens aufklärte.

Öffentlichkeitsarbeit? Gewöhnungsbedürftig

Kaum eine Öffentlichkeitsabteilung innerhalb der EKD ist so schlagkräftig wie die von Brot für die Welt. 1978 machte sie mit der Aktion „einfacher leben“ von sich reden und brachte einfaches Leben in Deutschland mit Hilfsprojekten im Süden in Verbindung. Die Kampagne „Hunger durch Überfluss?“, in der sie 1981 den reichen Norden für die Armut des Südens ver­antwortlich machte, polarisierte die deutsche Öffentlichkeit. Für das Plakat einer Schale mit Reiskörnern und dem Spruch „Weniger ist leer“ bekam Brot für die Welt 2008 gleich zwei renommierte Werbepreise.

Für sich werben, Spenden sammeln, das war kein Thema für den viel größeren EED, da er fast ausschließlich Geld vom Bundesentwicklungshilfeministerium an Projekte in Übersee vermittelt. Für Mitarbeiter des EED wird die Fusion einen Kulturwechsel mit sich bringen. Karin Döhne will in einem ihrer nächsten Projekte Christen und Muslime in Nigeria zusammenführen, damit sie gemeinsam Menschenrechtsverletzungen dokumentieren, die wahren Ursachen des scheinbar religiösen Konfliktes analysieren und nach Lösungen suchen. Ob sie sich vorstellen kann, dass ­dieses Projekt mit einem Filmtrailer im Internet beworben wird, in dem deutsche Musikstars mit lächelnden Schwarzen durch ein Hüttendorf laufen und das Ganze mit rühriger Musik unterlegt ist? „Gewöhnungsbedürftig“, sagt sie.

Von der neuen Zentrale in Berlin-Mitte in unmittelbarer Nachbarschaft zum Regierungsviertel erhofft sich die Diakonie auch mehr Einfluss auf Politiker und auf die Gesetzgebung. Geht es zum Beispiel um die Rechte von Asylbewerbern und Flücht­lingen, will man künftig Experten aus allen Kontinentalab­teilungen schnell zusammentrommeln können: Wie ist die politische Situation in Abschiebestaaten wirklich? Welche Ursachen von Flucht und Vertreibung sollten in der Asylgesetzgebung berücksichtigt werden? Was erwartet Flüchtlinge, wenn sie einmal in Deutschland sind? Damit sie sich möglichst viel austauschen können, arbeiten die Vorstände für Internationale Programme und für deutsche Sozialpolitik in der neuen Zentrale Tür an Tür.

Ende der Milieubindung?

Zwar wirkten EED und Brot für die Welt schon immer bundesweit, waren aber doch stark regional verankert. Mitarbeiter des EED sind Stammgäste in Kirchengemeinden im Westen der Republik. Im Rheinland, in Westfalen, Hessen-Nassau und der Pfalz berichten sie über Partnerprojekte in Übersee und referieren über die Klippen der Entwicklungshilfe. Bei den vielen religiös motivierten Gemeindemitgliedern können sie Unterstützung mobilisieren.
Auch Brot für die Welt ist mit seiner bisherigen Zentrale in Stuttgart kaum aus den Landeskirchen Württembergs und Badens wegzudenken, wo es an pietistisch geprägten, hoch engagierten Gemeinden nicht mangelt. Es bleibt abzuwarten, ob sich diese Verbindungen aus dem säkularen Berlin heraus auf Dauer halten lassen.

In vielem arbeiten die großen evangelischen Entwicklungsdienste längst zusammen. Zum Beispiel beim Bewässerungs­projekt der Konso in Südäthiopien, die lange unter Dürre- und Hunger gelitten hatten. Seit fünf Jahren unterstützt Brot für die Welt deren Bau eines Kanalsystems. Die Stuttgarter warben Spender an: 10 Euro für eine Schaufel. 20 Euro pro 100 Kilo Zement für Wehre. 100 Euro pro Meter Brunnenbohrung. Über 195 000 Spendereuro flossen zwischen Juli 2009 und Juni 2012 in das ­Projekt. 4000 Hektar Land sind schon bewässert. Die Konso ­können bis zu drei Mal im Jahr ernten und bald über 100 000 Menschen ernähren. Kinder gehen zur Schule, Genossenschaften halten die Kanäle intakt.

Wegen seines Erfolgs sollte das Bewässerungsprojekt aus­geweitet werden. Für Brot für die Welt wurde es zu groß. Die Hilfsorganisation gab es an den EED ab, der es nun mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) ausbaut. Das Vorzeigeprojekt war ­ideal für die Spendenwerbung von Brot für die Welt. Am Ende gab es zwei zuständige Referenten, einen beim EED, einen bei Brot für die Welt. Doppelstrukturen wie diese wird die Fusion künftig aufheben.

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