... und Heimatgefühle in einem neuen Staat. Christen aus aller Welt berichten in E-Mails von ihren Eindrücken. Diesmal: aus Italien und aus dem Sudan.

Betreff: Einsturzgefahr

Gesendet von Bernd Prigge aus Italien

Klar, in Venedig wird viel geheiratet. Auch in unserer lutherischen Kirche am Campo Santi Apostoli. Diesmal sollte es ein Brautpaar aus der Gemeinde sein – seit Jahren das erste, eine kleine Sensation. Für Ende Juli war die Hochzeit geplant, sie fand auch statt, nur leider nicht in unserer Kirche. Denn als Anfang Juli Musiker das Gebäude für eine Probe betraten, war der ganze Innenraum eingestaubt. Auf den Bänken lag Schutt, in der Decke klaffte ein Loch. Bei den Aufräumarbeiten zeigte sich: Die Decke drohte einzustürzen. Offenbar eine späte Auswirkung des verheerenden Erdbebens, das im Mai in der Emilia Romagna gewütet hatte und bis zum Canale Grande zu spüren gewesen war. Das Gebäude musste geschlossen werden. Ein Schock für die 80 Gemeindemitglieder. Einige weinten.

Die fast 500 Jahre alte lutherische Gemeinde in Venedig ist die älteste in Italien. Und ihre Kirche in der Nähe der Rialtobrücke ist ein wichtiges Symbol evangelischen Glaubens im durchweg katholisch geprägten Italien. Oft führen wir Touristen und auch Venezianer durch den Palazzo und zeigen, was wir haben: ein Lutherporträt von Cranach, einen Tizian, eine von Kaiser Wilhelm gestiftete Sauer-Orgel. ­Nebenbei erklären wir, was evangelisch ist.

Wie geht es weiter? Wie werden wir eine Restaurierung stemmen, auch finanziell? Für die Hochzeit stellte der Patriarch von Venedig die katholische Nachbarkirche zur Verfügung. Er sagte zu, für uns zu beten, und spendete sogar. Das ist ein Hoffnungsschimmer. Mit Luthers „Ein feste Burg ist unser Gott" hat sich die Gemeinde in den vergangenen Wochen immer wieder Mut zugesungen. Ihre Geschichte wird weitergehen, da sind wir sicher.

 

Betreff: Alte neue Heimat Südsudan

Gesendet von Sylvester Thomas Kambaya aus dem Sudan

Jeden Tag sehe ich voll besetzte Lastwagen, Züge und Busse. Auf den Dächern sitzen Menschen in sengender Hitze. Auch ich werde mich bald dem Exodus der Südsudanesen anschließen und in meine alte Heimat zurückgehen.

1985 kam ich als Kaplan nach Khartoum, der Hauptstadt im Norden des Sudans. Der Bürgerkrieg im Süden hatte gerade begonnen, und in den folgenden Jahren flohen Hunderttausende meiner Landsleute vor Gewalt und Armut ebenfalls hierher, darunter viele Christen. Um Khartoum herum bildeten sich große Flüchtlingslager. Die christlichen Kirchen vor Ort waren in dieser Zeit enorm wichtig. Wir kümmerten uns um Waisen und HIV-Infizierte, bauten Gesundheitszentren, Schulen und neue Gotteshäuser mit auf, gaben Seminare zu Versöhnung und Traumaheilung.

Nun aber ist der Südsudan ein eigener Staat geworden, und wir haben hier keine Staatsangehörigkeit mehr. Im Süden gibt es die Hoffnung auf Frieden und ein geregeltes Leben. Viele kehren deshalb voller Freude und Hoffnung zurück. Aber natürlich schwingt bei allen auch Angst mit. Allein vor der Reise: Die Grenzgebiete sind umkämpft, man muss lange Umwege durch die Nachbarstaaten nehmen. Viele Flüchtlinge werden von Schlangen gebissen, Skorpionen gestochen oder von Räubern überfallen. Wer sich die Flug­reise leisten kann, muss über Nairobi fliegen. Direktverbindungen gibt es zurzeit nicht.

Und wenn man es dann geschafft hat? Der jahrzehntelange Bürgerkrieg hat tiefe Spuren im Land hinterlassen. Als ich 2006 das erste Mal nach der Emigration mein Dorf besuchte, waren die meisten meiner Verwandten und ehemaligen Nachbarn tot. Die Landschaft war kaum wiederzuerkennen. Verschwunden die großen Bäume und üppigen Büsche. Es gab keine Schulen. Die Mädchen bekamen früh Kinder, heirateten schon mit 16 oder 17 Jahren.

Die Flüchtlinge singen dennoch: „Praise be to God, for He kept His promise and brought us safely to our Promised Land." Ich werde mit meiner Familie erst einmal nach Juba ziehen, in die Hauptstadt. Und ich träume davon, dort an Frieden und Versöhnung mitzuwirken.

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