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"Den Tod eines Kindes vergisst man nicht. Man muss damit leben"
Manchmal ist es angenehm, nicht gleich eine Meinung haben zu müssen, lernt Schauspielerin Ulrike Kriener von ihrem Sohn
Dirk von Nayhauß
16.11.2012

In welchen Momenten fühlen Sie sich lebendig?

Vor allem in der Verbindung zu anderen Menschen. Wenn ich zusammen mit anderen Ideen entwickle und etwas gestalte, wenn wir uns gegenseitig befeuern und inspirieren. Durch Gemeinschaft fühle ich mich geschützt. Auch in einem Drehteam achte ich genau auf die Befindlichkeiten der Menschen, ob es den Leuten gutgeht, ob sie sich wohlfühlen. 

Was können Erwachsene von Kindern lernen?

Kinder machen uns altruistisch, sozial, beschützend. Ich glaube, erst durch meinen Sohn Paul bin ich sozusagen ein soziales Wesen geworden, durch ihn überdenke ich meine Verhaltensweisen. Beispielsweise äußere ich schnell meine Gedanken und Gefühle. Paul ist anders. Ich kann von diesem 17-Jährigen lernen, erst einmal abzuwarten und zu gucken. Und ich stelle fest: Es ist auch angenehm, nicht gleich eine Meinung haben zu müssen. 

"Mit dem Tod meines Sohnes hatte ich mein Grundvertrauen ins Leben verloren"

An welchen Gott glauben Sie?

Ich kann gar nichts tun gegen das Gefühl von Heimat, wenn ich im Sommer ein kühles Gotteshaus betrete. Die Religion wurde bei uns zu Hause ohne großen Druck gelebt. Wir haben gebetet, wir hatten unsere Feste und sind am Sonntag in die Kirche gegangen, das war normal. Aber während der Pubertät habe ich, wie viele Jugendliche, die Verbindung zur Kirche verloren. Der Streit um die Pille war der Anlass für meinen Austritt. Dahinter steckte meine Überzeugung, dass die katholische Kirche das Weibliche zu sehr ausgrenzt: Frauen sollen den Weihnachtsbasar organisieren, aber sonst haben sie keinen Platz. Ich habe trotz des Austritts immer mal gebetet; vor allem dann, wenn ich einen Wunsch hatte – für andere, für meine Familie, für mich. Als ich geheiratet habe, vor 19 Jahren, bin ich wieder eingetreten. Ich fand diese Entscheidung so einschneidend, dass ich dafür einen Segen haben wollte.

Letztlich hat mich aber der Tod meines Sohnes Max der Kirche wieder nähergebracht. Max hatte ein Aneurysma im Gehirn. Er starb eine ­Woche nach der Geburt, und es war ein Geistlicher, der als Erster in mein Zimmer gekommen ist. Er war jung, er war mit dieser Situation komplett überfordert, aber er hat diesen Moment mit mir geteilt. Das vergesse ich ihm nicht, und das vergesse ich der Kirche nicht. Dieser eine Mensch hat meine Vorstellung von dem, was Kirche sein soll, geprägt: demjenigen, der in Not ist, die Hand zu reichen. Ich ­würde mich heute als kritische katholische Christin bezeichnen, und ich suche Menschen mit einer spirituellen und kritischen Haltung, die ich auch bei den Evangelischen finde. Die Kirche stellt noch ­Fragen, mit denen wir uns sonst kaum befassen, wie etwa: Wie wollen wir miteinander leben? Was will ich für den anderen sein? 

Muss man den Tod fürchten?

Mit dem Tod meines Sohnes Max hatte ich mein Grundvertrauen ins Leben verloren. Ich habe nie so viel Angst gehabt wie in dem ersten halben Jahr danach, ich hatte Angst vor dem Tod meiner Lieben. Nach Max wurde ich sehr schnell wieder schwanger, aber auch dieses Kind ist gestorben, vor der Geburt. Es war ein langer Prozess, wieder das Vertrauen ins Leben zu fassen und anzuerkennen, dass die Zeit nicht alle Wunden heilt. Den Tod eines Kindes vergisst man nicht. Man muss damit leben. Ich bin heute Schirmherrin des ambulanten Kinderhospizdienstes der Malteser. Durch diese Arbeit bekommt der Verlust meines Sohnes Max im Nachhinein einen Sinn. Es geht daraus etwas Positives hervor, sein Tod ist nicht nur schrecklich. Dadurch entsteht wieder eine Verbindung zu dem, was ich erlebt habe.

Welche Liebe macht Sie glücklich?

Die Liebe meines Mannes macht mich echt glücklich: dass er sich noch immer an mir freut, dass er mich gerne anguckt und ihm morgens ein Kleid gefällt; dass er Spaß mit mir hat und über mich Witze macht. Wir streiten uns natürlich auch. Ich fände es dann prima, wenn ich immer gelassen bleiben könnte, damit es nicht zu heftigen Auseinandersetzungen kommt, aber es passiert, dass wir uns richtig fetzen. Früher hatte ich Angst, dass dann alles zerbricht. Heute habe ich dieses Grundvertrauen: Wir streiten uns, und das ist ekelhaft und schrecklich, aber wir werden uns wieder vertragen, wir werden einen Weg finden. Die Liebe zu meinem Sohn macht mich glücklich, und die zu meinen Eltern. Wir hatten es schwer, ich war keine einfache Tochter, man zieht nicht mit 17 Jahren zu Hause aus, wenn alles rund läuft. Dass es doch noch geklappt hat, dass wir vorbehaltlos sein können in der Liebe, das finde ich toll!

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