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"Die Atmosphäre muss stimmen"
Was kann man tun, damit die 13- und 14-Jährigen auch nach ihrer Konfirmation wieder in die Kirche kommen?
Lena Uphoff
24.10.2012

chrismon: Warum wecken gelangweilte Konfirmanden Ihr Interesse?

Karlo Meyer:  Als Jugendlicher habe ich erlebt und später als Gemeindepfarrer erlitten, dass sich Jugendliche nach ihrer Konfi-Zeit nicht mehr blicken lassen. Dabei bemühen sich die Kirchen, dass Jugendliche den Gottesdienst liebgewinnen. Eine Konfirmandenstudie von 2009 hat gezeigt, wie gut den meisten Jugendlichen ihre Konfirmandenzeit gefällt – nur der Gottesdienst­besuch nicht. Warum das so ist, wollte ich genauer wissen.

Und?

Meyer: Meist langweilen sich Konfirmanden deshalb, weil die Gottesdienste langweilig sind. Oder weil die Gemeinde im Gottesdienst nicht richtig mitzieht. 

Sie haben 44 Konfirmandengruppen interviewt. Was störte diese Konfirmanden denn besonders?

Meyer:  Zunächst empfanden die meisten von ihnen den Gottesdienst als etwas Fremdes. Die Sprache wirkt oft geschwollen, die Lieder wie aus längst vergangenen Zeiten. Die Sitzordnung in Bankreihen ist für die Jugendlichen eher ungewohnt, die Atmosphäre empfinden viele als steif. Der Pas­tor hält vorne lange Predigten, dirigiert das Geschehen. Wenn Konfirmanden zwischendrin mal tuscheln und – was leider immer noch vorkommt – der Pastor oder ein älterer Gottesdienstbesucher sie maßregelt, steht für sie fest: Die wollen uns hier nicht haben. Ein Viertel unserer Befragten waren vor ihrer Konfirmandenzeit noch nie in einem regulären Gottesdienst. Ich glaube, dessen sind sich viele in den Gemeinden nicht bewusst und setzen zu viel voraus.

Das wussten wir doch schon immer: Gottesdienste sind für ­Konfirmanden Pflicht. Sie müssen sonntags früh raus und dann alte Lieder mit alten Leuten singen. 

Meyer: Dachte ich zuerst auch. Aber um Altersfragen geht es gar nicht mal in erster Linie. Ob traditioneller oder moderner Gottesdienst, die Interviews zeigen: Für die 13- bis 14-Jährigen ist die Stimmung im Gottesdienst entscheidend. Ist das Gemeinschaftsgefühl gut, spielt die Form des Gottesdienstes eine untergeordnete Rolle. Auch 500 Jahre alte Lieder können, begeistert gesungen, Pep haben. Nicht in jedem Jugendgottesdienst gelingt das.

Rockmusik und lockere Sprüche garantieren also kein mitreißendes Gottesdiensterlebnis.

Meyer: Genau. Natürlich singen Jugendliche Pop-Melodien leichter mit und verstehen moderne Texte besser als Choräle aus dem 17. Jahrhundert. Aber ich habe auch anderes erlebt: einen Jugendgottesdienst mit 50 Konfirmanden und älteren Teamern zum Beispiel, da konnten auch die Älteren Vaterunser und ­Glaubensbekenntnis nicht sicher sprechen. Zu Beginn wurde schnell ein Lied eingeübt. Aber die Konfirmanden merkten, dass die ­Teamer keine echte Beziehung zu dem hatten, was sie taten. Ein anderes Mal nach einem Gottesdienst mit alter Liturgie erzählte mir ein Konfirmand: „Ich habe kaum etwas verstanden, aber der Gottesdienst war super!“ Hier waren Freunde von ihm engagiert, die Atmosphäre stimmte.

Und was meinen Sie mit „Gemeinschaftgefühl“?

Meyer: Oft sitzen die Gottesdienstbesucher alleine und in sich versunken in den Bankreihen, die Blicke konzentrieren sich aufs Gesangbuch oder nach vorn auf den Pastor. Für Jugendliche wird nicht sichtbar, in welcher Stimmung die sind. Sie denken, die wollen nichts mit ihnen zu tun haben.

Wie kann man das ändern?

Meyer: Indem sich Menschen sichtbar in das Geschehen einbringen und für die Jugendlichen ausstrahlen, wovon gesprochen wird. Etwa wenn eine Gruppe älterer Jugendlicher den ­Gottesdienst mitgestaltet. Konfirmanden imponiert, wenn ältere Jugendliche sich einbringen und nicht nur abspulen, was ihnen der Pastor aufträgt. Und wenn anderen, denen sie sich nahe fühlen, was am Gottesdienst liegt, Eltern und Eltern von Freunden.

Wie können Konfirmanden auch selbst zum Gemeinschafts­gefühl beitragen?

Meyer: Gut ist, wenn unter den Konfirmanden Mädchen und ­Jungen sind, die bereits im Kindergottesdienst oder über ihr ­Elternhaus gute Erfahrungen mit der Kirche gemacht haben, die die Lieder mitsingen und Gebete mitsprechen können. Das zieht andere mit, sie denken dann: Wenn die sich hier engagieren, kann das ja so schlecht gar nicht sein, in einem Jahr kann ich das vielleicht auch. 

Was also motiviert Konfirmanden?

Meyer: Das Gefühl, sozial eingebunden zu sein, das Erlebnis eigener Kompetenz und Autonomie. Autonom und kompetent sind Konfirmanden im Gottesdienst zunächst nicht. Deshalb ist die soziale Einbindung der entscheidende Ansatzpunkt. Das vertieft sich, je mehr sie das Gefühl haben, dass sie etwas mitbe­stimmen und sich einbringen können. Wenn sie merken, dass ihre eigenen Besonderheiten aufgenommen werden, wenn sie zum Beispiel im Fürbittengebet hören, dass die Ideen aus ihrer Gruppe jetzt allen zu Ohren kommen, merken sie:  Meine Idee war offenbar wichtig für den Pfarrer – und sie ist wichtig für alle. Natürlich gilt das umso mehr, wenn sie selbst ihre Texte lesen.   

Was machen denn die Gemeinden, in denen der Gottesdienst gut ankommt, richtig?

Meyer: Mich hat überrascht, wie verschieden diese Gemeinden sind. In der einen verstand es die Pastorin sehr gut, Eltern in die Vorbereitung der Gottesdienste einzubinden. Woanders gehen viele Konfirmanden, die eine positive Beziehung zur Gemeinde haben, aus Kindergottesdienstarbeit hervor. Andere Pastorinnen und Pastoren haben ein Charisma, das Jugendliche anspricht.  

Und was raten Sie jetzt den Gemeinden?

Meyer: Die Beziehungsarbeit zu Jugendlichen stärken. Geben Sie ihnen die Erfahrung, dass sie in der Gemeinde sozial profitieren: Zu unserer Gruppe gehörst du dazu – nicht nur im Konfi-Keller, sondern im Sonntagsgottesdienst. Im Grunde eine einfache ­Botschaft, aber alles andere als selbstverständlich.

Und wie bringt man Menschen im Gottesdienst zusammen?

Meyer: Für die Gemeinden ist das eine Grundsatzfrage – nicht nur in Bezug auf die Konfirmandenarbeit. Nehmen wir das Beispiel mit dem Jugendgottesdienst: Ein angelesenes Konzept bringt ­wenig. Entscheidend für den Erfolg ist es, den sozialen Grundstock für Jugendgottesdienste zu erarbeiten.

Wobei es im Gottesdienst um mehr als nur ein nettes Miteinander und gute Atmosphäre geht.

Meyer:  Klar, aber das eine muss stimmen, damit die Jugendlichen kommen. Grundlage ist die Beziehungsarbeit im Vorfeld. Wenn ich es als Pastor schaffe, dass eine Kerngruppe den Gottesdienst mitträgt, und wenn die Leute aus dieser Kerngruppe wissen, was sie von einem Gottesdienst bekommen, ist viel gewonnen. Die Erfahrung kann anstecken.

Wie sollen Gemeinden vorgehen?

Meyer: Ich wäre vorsichtig mit vorgefertigten Ratschlägen. Zunächst muss jede Gemeinde von ihren Möglichkeiten für Beziehungs­arbeit ausgehen. Die Studie ermuntert zum Beispiel Pastoren dazu, ihre persönlichen Fähig­keiten dafür einzusetzen, Kontakte zu knüpfen und eine tragende Gruppe zu formen. Pfarrer und Verantwortliche haben ihre Begabungen – einer ist musikalisch, ein anderer hat einen besonders guten Draht zu Kindern, Eltern, Jugendlichen, wieder ein anderer kann Ehrenamtliche motivieren.

Kann man gute Beziehungsarbeit lernen?

Meyer: Ja. Klar ist, dass sie bei der Aus- und Weiterbildung von Pastoren stärker betont werden muss. Manche Kollegen verwenden viel Zeit darauf, ihre Ideen in wohlklingenden Sätzen zu einer Predigt zu formen. Löblich. Für Jugendliche ist das zweitrangig.

Sie haben die Jugendlichen in den ersten Wochen und erneut gegen Ende ihrer Konfi-Zeit befragt. Gab es Unterschiede?

Meyer: Ich war überrascht, dass für die Jugendlichen bereits nach den ersten drei Wochen feststeht, ob sie einen Draht zum Gemeindegottesdienst haben oder nicht. Bei der zweiten Befragungs­runde nach einem Jahr hat sich bei den wenigsten etwas in der Einstellung geändert. Wenn man einen Menschen zum ersten Mal trifft, sagt man ja, der erste Eindruck ist entscheidend. Ich hatte das Gefühl, die kriegen sogar mit, wenn das erste Mal eine große Show war, die nichts mit den restlichen Sonntagsgottesdiensten zu tun hat. Die Konfis haben ein sehr feines Stimmungs- und Sozialgespür.

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