Foto: Michael Ondruch
Das Neue als Ursprung
Hin und wieder braucht die Kirche frischen Wind. Vor 500 Jahren brachten eigensinnige Theologen die fest gefügte Ordnung durcheinander
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
10.10.2012

Er predigte in seiner Landessprache und teilte beim Abendmahl nicht nur das Brot, sondern auch den Kelch aus – eine unerhörte Neuerung. Er akzeptierte nur die Autorität der Bibel, nicht die des Papstes. Er kritisierte die Raffgier des ­Klerus und seine Vorstellungen von der Sündenvergebung. Der Papst forderte ihn per Erlass auf, seine Lehre zu widerrufen. Dann wurde er exkommuniziert. Als man ihm freies Geleit zusicherte, willigte er in eine Anhörung vor König und Papst ein. Eine Falle. Am 6. Juli 1415 – gut ein Jahrhundert, bevor Martin Luther die 95 ­Thesen schrieb – starb Jan Hus auf dem Scheiterhaufen.

Zahlreiche Neuerer rebellierten im Mittelalter gegen eine moralisch verkommene Kirche. Petrus Waldes, Franz von Assisi, John Wyclif, Jan Hus, Martin Luther und Huldrych Zwingli sind nur einige von ­ihnen. Sie wollten, dass Pries­ter und Bischöfe den Menschen im Geis­t der Bibel helfen – statt ihre seelische Not auszu­beuten wie zu Luthers Zeiten durch den Verkauf von Ablassbriefen, die angeblich die Strafen für die Sünden verringerten. Sie wollten Kultur und Bildung unter die Leute bringen.


Spezial: was ist Reformation Henning Kiene vom EKD-Kirchenamt erläutert
 

Nur ein Reformversuch von vielen

Sie hatten keinen Namen für ihr Neuerungswerk, sie wollten lediglich die fehlgelaufene Geschichte korri­gieren (lateinisch: corrigere), die Kirche der Frühzeit wiederherstellen (restituere), eine verkrustete Lehre erneuern (renovare) und die kirchlichen Ämter umgestalten ­(reformare). Im 18. Jahrhundert setzte sich für solche Neuerungsbestrebungen auch im Deutschen der französische Fachbegriff "Réforme" durch. Lediglich die „reformatio“ des 16. Jahrhunderts bekam einen lateinischen Namen – als sei sie mehr als nur ein Reformversuch von vielen.

Das Wort „Reformation“ wurde zum Epochenbegriff. Für Geschichtsschreiber markiert das Zeitalter der Reformation den Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. In späteren Jahrhunderten überschüttete man die Reformatoren auch mit Ehrungen. Luther, Zwingli und Calvin feierte man als Kirchenväter, Luther im 19. Jahrhundert gar als deutschen Nationalhelden.

Die Reformation ist nie abgeschlossen. Das gilt bis heute

Dabei lag auch diesen Kirchenreformern nichts ferner, als neue Bekenntnisse oder gar eine nationale Kirche zu schaffen. Sie wollten wie die ersten Christen wieder über das predigen, was in der Bibel steht. Sie wollten Menschen durch Bildung kul­tivieren. In der Messe sollte sich eine ge­läuterte Gemeinde wieder um den Tisch des Herrn versammeln. Taufe und Abendmahl sollten wieder Symbole des Zuspruchs sein. Die Reformatoren wollten keine neue Kirche, sie wollten die Chris­tenheit an ihre Ursprünge erinnern.

Noch anderthalb Jahrhunderte später befand der pietistische Prediger Philipp Jakob Spener, die Reformation sei nicht abgeschlossen. Er forderte seine Zeitge­nossen auf, sich nicht mit frommen Worten zu begnügen. Wahre Gottesfurcht ­zeige sich in praktizierter Nächstenliebe. Die Reformation sei nie abgeschlossen, sagte ebenfalls – Mitte des 20. Jahrhunderts – der für den Widerstand gegen die NS-Ideologie so wichtige evangelische Theologe Karl Barth. Die Kirche müsse sich ständig selbst erneuern und neuen ­Herausforderungen stellen.

"Einheit in Verschiedenheit" heißt: Miteinander, nicht gegeneinander arbeiten

Zum problematischen Erbe der Reforma­tion zählt die Zersplitterung der Chris­ten­heit in viele Konfessionen. Eskaliert ein Streit, neigen Protestanten dazu, eine ei­gene Kirche aufzumachen. Dabei hatten sich die Christen der Frühzeit stets um ­organisatorische Geschlossenheit bemüht – auch wenn es zu keiner Zeit eine einzige weltweite Kirche gegeben hat.

Protestanten und Katholiken haben ­gelernt, offen und friedlich um den richtigen Weg zu streiten. „Einheit in Verschiedenheit“ lautet die Devise heute: Christen mögen verschiedene Bräuche haben und auch unterschiedlichen Organisationen angehören. Aber sie müssen sich gegen­seitig respektieren und möglichst viel mitei­­n­an­der statt gegeneinander arbeiten. 

Eine Kirche, die sich auf den Gott der ­Liebe beruft, braucht immer wieder frischen Wind. Es sollte aber niemand meinen, dass jede Reform auch eine Besserung sei. Ge­rade die Reformer des 16. Jahrhunderts waren in dieser Hinsicht sehr pessi­mistisch. Egal was Menschen tun, nie habe ihr Werk vor Gott Bestand, lehrten sie. Der Mensch sei ganz auf Gottes Gnade ange­wiesen. In ihrem Reformeifer ließen sie sich davon allerdings nicht bremsen.

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