Die EU will die Ethikprüfung bei medizinischen Tests an Menschen abschaffen
26.09.2012

Wenn es um Leben und Tod geht im Deutschen Bundestag steigt das öffentliche Interesse an der parlamentarischen Demokratie. Zeitungen berichten über weitreichende Entscheidungen für schwer Kranke oder werdende Eltern. Fernsehreporter diskutieren mit Politikerinnen und Politikern, für die in diesen Fragen der Fraktionszwang aufgehoben ist. Dann wird unterstrichen, dass ein Mitglied des Deutschen Bundestags – wie eigentlich immer – bei der Abstimmung nur dem eigenen Gewissen verpflichtet ist.

Am Mittwoch wird im Berliner Parlament ein Thema diskutiert, das so viel Interesse verdient hätte. Es geht um Tests an Menschen zu medizinischen Zwecken. Nicht zuletzt durch die Verbrechen der Nationalsozialisten handelt es sich dabei um ein Thema, welches in Deutschland mit Verantwortung und Vorsicht behandelt werden sollte. Eine unabhängige Ethikkommission hat bisher solche Tests geprüft – und diese Prüfung soll jetzt wegfallen. Es ist zu befürchten, dass der Gesundheitsausschuss den von der EU-Kommission kommenden Vorschlag heute ohne weiteres Aufsehen durchwinken wird. Die Diskussion könnte ausbleiben, die öffentliche und die im Plenum des Parlaments.

Die Forschung soll in der EU bleiben

Worum geht es? In Europa werden immer weniger Arzneimittelversuche an Menschen durchgeführt. 2007 waren es noch rund 5000 Studien, 2011 nur noch fast halb so viele. Das liegt zum einen an den schier unüberschaubaren Hürden, die in den einzelnen EU-Ländern entstanden sind. Zum anderen wird es für europäische Firmen immer günstiger, die Versuche in Schwellenländern wie China oder Indien durchzuführen. Sie sparen durchschnittlich eine Milliarde Euro für jeden getesteten Wirkstoff. Mit der neuen Richtlinie will die EU-Kommission die Rechtslage innerhalb der EU vereinheitlichen, um den Standort für die Forschung wieder attraktiver zu machen. Gleichzeitig sollen Standards aufgestellt werden, die für europäische Unternehmen verbindlich sind. Auch im außereuropäischen Ausland.

Das klingt zunächst recht nachvollziehbar. Schließlich kam es schon vor, dass Menschen in Ländern der zweiten und dritten Welt ausgenutzt und fehlinformiert wurden, wenn sie an entsprechenden Studien teilnahmen. Doch der Vorschlag der EU-Kommission hat einen fatalen Haken: Ohne die Ethikprüfung würde es mit einem Schlag für Pharmaunternehmen wesentlich einfacher. Kritiker befürchten, dass Patienten künftig nicht mehr ausreichend über Risiken und Nebenwirkungen informiert werden. Minderjährige würden durch das neue Gesetz weniger geschützt, glauben manche. Der Arbeitskreis Medizinischer Ethik-Kommissionen in Deutschland lehnt den Vorstoß weitgehend ab. Die Bundesärztekammer hat Nachbesserungsvorschläge eingereicht. Wird der Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages in seiner Sitzung am Mittwoch die Bedenken aufgreifen? Vielleicht. Vielleicht auch nicht.

Warten auf die Diskussion

Steht das Interesse zahlreicher Kranker über dem der einzelnen Probanden? Gemeinwohl oder Schutz des Individuums – die Frage ist so alt wie die Demokratie selbst. Versuche an Menschen gibt es vielleicht noch länger. Wie die Diskussion dieses Mal auch ausgehen mag, sie ist es wert, geführt zu werden. Auf Hinterzimmerpolitik können wir getrost verzichten, erst recht wenn es um Fragen nach Leben und Tod geht.

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