Eine Kirchengemeinde im Rheinland trainiert Baseball mit Kindern und Jugendlichen. „Alle sind Sieger“, sagt Pfarrer Schneider
Tim Wegner
26.09.2012

Jackie Robinson soll das Vorbild sein: geboren 1919 in Georgia, USA. „Er war einer der ersten Farbigen, die in der Major League der USA spielen durften“, sagt Andreas Schneider, und 19 Jungen und Mädchen hören ihm zu. „Die Zuschauer, die gegnerischen Spieler und auch einige seiner Mannschaftskameraden hassten Robinson. Dabei spielte er viel besser als viele Weiße, er war ein schneller Läufer, der viele Bases stahl – ­natürlich hat er sie nicht herausgerissen und gestohlen!“, sagt Schneider, „er hat viele Runs gemacht.“

Die Kinder zwischen sieben und elf ­Jahren sitzen im abgedunkelten Gemeindesaal, Andreas Schneider, 46, und Pfarrer der Gemeinde am Kottenforst in Alfter, zeigt über einen Beamer Ausschnitte aus Sportberichten. Es ist die Auftaktveranstaltung zum sechstägigen Sommer-Baseballcamp der Kirchengemeinde, ein Nachmittag in den Sommerferien.

Schneider spricht von Base, Pitcher, ­Catcher, Centerfielder – und von eben­jenem Jackie Robinson, der 1972 gestorben ist. „Er sagte, ich will gar nicht, dass ihr mich alle liebt – als Mensch sollt ihr mich respektieren!“
Eine Milliarde Fans hat die Sportart weltweit – doch in Deutschland ist Baseball nicht besonders bekannt. Kinder und Jugendliche spielen eher Fußball, Handball oder Basketball. Immerhin ein Drittel der Kottenforster Workshop-Kinder hat schon Baseball-Erfahrung, einige spielen bei den Bonn Capitals.

Andreas Schneider sieht ein bisschen aus wie der Schauspieler Axel Milberg, er stammt aus dem Siegerland, wuchs mit dem CVJM auf. Seine Frau ist Kinderärztin, die Söhne Lukas, 10, und Matthias, 7, lieben Baseball wie er auch.
Die Gemeinde am Kottenforst liegt in einer traditionell katholischen Gegend, sie ist in zwei Bezirke aufgeteilt, einen leitet Schneider, den anderen sein Kollege Jörg Zimmermann, zusammen haben sie rund 5100 Gemeindemitglieder.
Der Leitsatz der Gemeinde lautet: „Um Gottes Willen aufeinander zugehen – miteinander glauben – füreinander da sein.“ Ein Schwerpunkt der Pastoren ist die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, so gibt es am Kottenforst zwei Kinder­tageseinrichtungen, Kinderchöre, Kinderbibeltage, Jungschar- und Mädchengruppen, einen Posaunenchor. Und Baseball.  

Einfach gesagt geht es bei dieser Sport­art darum, dass je neun Spieler zweier Mannschaften abwechselnd versuchen, ein Spielfeld zu umrunden. Ihre Geräte sind Schläger, Handschuh, Helm, Ball, sie laufen, schlagen, fangen, werfen.
Schneider stimmt die Kinder auf die kommenden Tage ein: „Jesus sagte: Was ihr wollt, dass euch die Leute tun, das tut ihnen auch. – Seid fair zueinander, das ist die goldene Regel bei uns. Wir haben Schnelle und Langsame, Große und Kleine, Junge und Alte, mit Erfahrung und ohne. Keiner soll ­sagen, jemand sei nicht gut genug! Und: Wir ­beschimpfen einander nicht.“

 

Beim Baseball will man nach Hause kommen - wie im Leben auch
 

2004 hatte der Pfarrer zwei alte Baseballhandschuhe, die im Keller her-umlagen, auf ein Konfirmandenfreizeit mitgenommen. Im Wald suchten sie einen Ast, den sie als Schläger nutzten – „und allen machte es so viel Spaß, dass ich sofort beim Pfarrbezirksausschuss beantragte, eine Baseballausrüstung anzuschaffen“. Immer mehr Kinder und Jugendliche aus der Gemeinde wollten mitmachen, seit sechs Jahren findet jeden Sommer ein Workshop statt, neuerdings auch einer im Winter, zusammen mit der Hauptschule in Oedekoven.

„Dieser Teil der Gemeindejugendarbeit finanziert sich komplett selbst“, sagt Schneider. Er trägt ein T-Shirt, auf dem „Saints“ steht, so heißt die Liga der Kottenforster, sie haben inzwischen 49 zahlende Mitglieder und genug Equipment für sechs Mannschaften. Die Saints trainieren an zwei Tagen: mittwochs die Jugendlichen, freitagnachmittags erst die Kleinen, dann die Jugendlichen und Erwachsenen – auch einige Eltern spielen mit. Etwa fünfmal im Jahr finden Spiele statt, die Mannschaften werden bunt gemixt.

Am nächsten Morgen treffen sich die Kinder zum ersten Training im Ballpark der Saints in Volmershoven. Sie werden nun fünf Tage lang nichts anderes tun als Baseball spielen. Sie tragen Trikots in ­Dunkelblau oder Rot, die meisten haben eine Kappe auf dem Kopf, auf der ein „S“ mit Heiligenschein prangt.

Die Schwestern Stella, Pauline und ­Rosa, die noch nie einen Baseballschläger in der Hand hatten. Matthias, der jüngere Sohn Schneiders, der spielt wie ein Großer. Es heißt, er habe schon mit Basebällen gespielt, bevor er laufen konnte. Laura, die mehrmals die Woche im Verein trainiert. Alessio, der erst keinen Ball fängt, vor Enttäuschung die Bäckchen aufpumpt – und dann doch einen nach dem anderen schnappt.

Den Ballpark haben Mitglieder der Kirchengemeinde im Sommer 2011 selbst gebaut – mit Spenden und Sponsorengeldern. Der Platz, das „Field of Dreams“, ist nicht groß, etwa ein Drittel eines Fußballfeldes, aber für ihre Zwecke reicht er – haben die Saints doch Pitchingmaschine, Batting­cage, Materialcontainer und Ballfangzaun, das „Green Monster“.

Die Kinder rennen ein paar Runden über den Platz, kreisen die Arme, dehnen die Muskeln. Es folgt eine Andacht. Pfarrer Schneider will die Kinder nachdenklich machen. „Baseball ist das einzige Spiel, bei dem es wie im Leben darauf ankommt, nach Hause zu kommen“, sagt er – das Ziel jedes Spielers ist die Homeplate, dann hat er einen Run erzielt.

Er erinnert die Jungen und Mädchen noch mal an Jackie Robinson, den amerikanischen Baseballspieler, der anders war. Robinson hat es übrigens geschafft, dass die Leute ihn respektierten. Aber erst nach seinem Tod wurde offensichtlich, wie sehr man ihn verehrte: Ab 1997 durfte kein Spieler der Major League mehr seine Rückennummer 42 tragen, sie sollte auf ewig verbunden sein mit dem außergewöhnlichen Mann. „In der Bibel gibt es auch viele Geschichten von Außenseitern“, sagt Andreas Schneider. „Einmal ging Jesus in Jerusalem in eine Halle der Außenseiter, dort waren lauter Gelähmte. Was kann man nicht tun, wenn man gelähmt ist?“

„Joggen.“
„Freunde haben.“
„Arbeiten.“
„Baseball spielen.“

Schneider fährt fort: „Ein Mann war 30 Jahre gelähmt, Jesus hat ihn geheilt. Menschen leiden darunter, dass sie durch die Krankheit ausgeschlossen sind vom normalen Leben. Wir wollen darauf achten, dass keiner aus dem Team herausfällt!“

Marcel Rasquin, 25, Student und früher selbst Workshop-Teilnehmer, trainiert mit den sieben Kindern, die schon Baseball-Erfahrung haben. Schneider kümmert sich um die Neulinge: Er zeigt, wie man den Handschuh richtig trägt – und wo es weh­tut, wenn man den Ball nicht richtig fängt, nämlich am Mittelhandknochen des Zeigefingers. Er erklärt Lauftechnik, Fangtechnik, Wurftechnik: „Die Hand ist oberhalb des Kopfes und guckt wie eine Schlange mit Giftzähnen nach hinten.“ Schneider lässt die Kinder üben. Und noch mal. Und noch mal. „Sehr schön, Rosa, beim nächs­ten Mal machst du es doppelt so schnell!“ 

Schneider, ausgestattet mit Baseballkappe und verspiegelter Sonnenbrille, hat sich sein Programm abgeschaut bei anderen Trainern, manchmal kommen über die Kooperation der Gemeinde mit der christlichen Organisation „Sportler rufen Sportler“ (SRS) US-Profispieler vorbei oder ­Simon Gühring, Catcher der deutschen Nationalmannschaft. Sie trainieren mit den Alfterern. „Und wenn die von ihrem Glauben erzählen, nehmen es die Kinder ihnen mehr ab als mir“, sagt Schneider.

Nach einem halben Tag Werfen und Fangen werden einige Kinder ungeduldig: „Machen wir auch mal was mit den Schlägern?“ „Ja“, sagt Pfarrer Schneider, „nach dem Mittag­essen. Aber wenn man die Technik nicht beherrscht, kann man nicht spielen.“

Es falle den Kindern immer schwerer, etwas lange Zeit zu üben, sagt Schneider. Vergangenes Jahr fragte ein Jugendlicher aus der Gemeinde, ob er mal mitspielen könne, er beherrsche das, schließlich spiele er immer Baseball mit seiner Wii-Konsole. „Klar, denken die dann, sie können das. Man denkt, man lernt Dinge ganz schnell, und ist stattdessen ganz schnell frustriert, weil es eben nicht gleich klappt.“

 

Jetzt sagen die Schüler: "Hallo, Pfarrer Schneider"


Vor dem Mittagessen stellen sich die Kinder im Kreis auf, sie singen auf die ­Melodie „We will rock you“ das Gebet „Alle guten Gaben, alles was wir haben . . .“. Dann gibt es Schnitzel, Kartoffelgratin und Gemüse, eine Lieferung des örtlichen Hotels. „Ich möchte, dass ihr alle gut esst, nicht dass einer umfällt vor Hunger nachher“, mahnt Schneider.

Seit 2000 ist Schneider Pfarrer in der Gemeinde Kottenforst. Von Anfang an versuchte er, mit Kindern in Kontakt zu kommen, hielt den Schulgottesdienst an der Hauptschule. „Das ging da rein, da raus“, sagt er und zeigt auf seine Ohren. „Seit wir das Schulwintercamp machen, sagen die: Hallo, Pfarrer Schneider“. Alle vierzehn Tage spielt er auch mit Grundschuljungs Baseball, die Rektorin hat sich das von Schneider gewünscht, weil Buben oft nur mit Lehrerinnen, Erzieherinnen oder ihren alleinerziehenden Müttern zu tun hätten, aber nicht mit Männern.
„Man kann Kinder auch fragen: Was hältst du von Gott, aber mit Baseball kann ich an eine ganz andere Basis anknüpfen.“

Nicht alle Kinder, die am Workshop teilnehmen, gehören Schneiders Gemeinde an, manche sind katholisch, andere haben keinen Bezug zur Kirche. Woher sie vom Baseballcamp gehört haben?
„Aus dem Gottesdienst.“
„Meine Freundin spielt auch.“
„Meine Mama hat gesagt, ich soll mir das mal angucken.“
„Echt? Ich musste meine Eltern erst ein bisschen überreden.“

Nach dem Mittagessen stehen die Kinder im Kreis, sie legen die Hände auf die Schultern ihrer Nachbarn, die Köpfe dicht zusammen. Sie lernen den Schlachtruf, einen Rap: „Iʼm a saint, I throw like a hammer, I hit like Babe Ruth, I fight like a tiger, and that is the truth . . .“ (Ich bin ein Heiliger, ich werfe wie ein Hammer, ich schlage wie Babe Ruth*, ich kämpfe wie ein Tiger und das ist die Wahrheit.)

Nun dürfen sie – endlich – ein Spiel spielen. Schließlich lernt man nur, wenn man spielt. Und die Regeln sind kompliziert, etwa 800 gibt es. Die Jungen und Mädchen bilden zwei Gruppen, spielen ein paar Innings, Spielrunden. Matthias ist der Batter, der Schlagmann, mit einem Klong trifft er den Lederball, wirft den Schläger zu Boden und rennt los zur ersten Base.  Pauline hat den Ball gefangen. „Der war aus“, brüllen die einen. „Nein, der war sa­fe“, die anderen. Es steht sechs zu null nach der ersten Runde, acht zu sechs nach der zweiten Runde. Weiter geht’s. Klong, losrennen, anhalten, weiterrennen. Out.

„Ey Matthias, was machst du da, Blumen pflanzen?“, ruft Schneider aufs Feld. „Du willst doch zur dritten Base gelangen!“ Er ist der Schiedsrichter und wischt mit einem Pinsel die Homeplate sauber von Asche und Staub, sie soll immer gut zu sehen sein.

Warum die Kinder Baseball gut finden?
„Da muss man keinen Kopfball machen.“
„Fußball spielt doch jeder.“
„Man kann auch die Hände nutzen.“

Die Faszination Baseball geht noch weiter: Alle Interessierten können etwas: Dicke, die nicht schnell rennen können, haben vielleicht einen ­guten Schlag. Mädchen, die irgendwann den Jungs kräftemäßig unterlegen sind, im Fußball jeden Zweikampf verlieren würden, können gut fangen oder rennen. Und ein Spieler, der in einer Runde den gewinnbringenden Ball schlägt, kann in der folgenden danebentreffen.

Wer am Ende gewonnen hat, ist nicht so wichtig – zumindest für Pfarrer Schneider. Um Leistung soll es bei den Saints gerade nicht gehen, sondern ums Gemeinschaftserlebnis: „Alle sind Sieger. Sie lernen, ihr Leben verantwortungsvoll zu gestalten und auf sich zu vertrauen.“ Eine Mutter, die den Kindern zusieht, sagt: „Hier ist es viel familiärer als im Verein. Und der ­Pas­tor erklärt so gut!“

Um 15:30 ist Schluss, an den kommenden Tagen werden die Kinder ihre Technik verfeinern, sich viele Matches liefern, mit einer Radarpistole herausfinden, wie schnell sie werfen können oder im Schlagkäfig auf Bälle schlagen, die aus der Pitchingmaschine kommen. Am Sonntag ist ein großes Abschlussspiel mit Sieger­ehrung.
Eigentlich sollten die Kinder nach diesem anstrengenden Tag furchtbar müde sein. Von wegen! Einige machen sich noch auf nach Bonn zu den Rheinauen – weiterspielen.

 

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