dpa/Norbert Försterling
"Das fehlt an unseren Schulen"
"Kinder in Not": Die Workshops zum Thema sind beim Bundeskongress Notfallseelsorge in Erfurt (11.-13. Mai) ausgebucht. Unfälle mit Kindern belasten Einsatzkräfte extrem, weiß Harald Karutz vom Notfallpädagogischen Institut in Essen
Lena Uphoff
09.05.2012

Ein schwerer Unfall, unter den Augenzeugen ist ein Kind. Wie verkraftet es das Unglück?

Ein Kind erlebt Notfälle anders als ein Erwachsener. Vorerfahrungen sind meist nicht vorhanden: Was unbekannt ist, wird viel in­tensiver erlebt. Und ein Kind versteht nicht immer, was gerade geschieht. Psychische Erste Hilfe ist bei Kindern daher noch wichtiger als bei Erwachsenen.

Woran erkennt man, ob ein Kind später noch unter dem Erlebten leidet?

Fast alle Kinder zeigen nach Notfällen Be­las­tungsreaktionen, die ganz unterschiedlich ausfallen können. Ein Kind ist zum Beispiel sehr unruhig, hat Alpträume, ist extrem anhänglich oder gereizt. Ein anderes Kind fällt in ein früheres Entwicklungsstadium zurück – macht ins Bett oder lutscht wieder am Daumen. Typisch ist auch das posttraumatische Spiel: Mit Modellautos oder Figuren wird das Erlebte zwanghaft nachgespielt. In vielen Fällen klingen solche Reaktionen innerhalb von einigen Wochen ab. Falls nicht, sollten Eltern zum Kinderarzt gehen und fachlichen Rat einholen.

Ist es sinnvoll, Kinder auf mögliche Notfälle vorzubereiten?

Unbedingt! Notfälle werden bei ihnen weniger Ängste auslösen, wenn sie vorher schon einige Informationen über solche Ereignisse vermittelt bekommen haben. Aber so etwas wie Notfallpädagogik fehlt bislang an unseren Schulen. Wenn einmal ein Kurs in Erster Hilfe angeboten wird, ist das fast immer nur dem Engagement einzelner Lehrer zu verdanken. In Japan zum Beispiel ist das ganz anders: Das Verhalten bei einem Unglück wird dort bereits in den Kindergärten trainiert. Dass die Menschen bei dem Erdbeben vor einem Jahr so ruhig und besonnen reagiert haben, hat sicherlich zu einem guten Teil an dieser Vorsorge gelegen. Erdbeben sind in Deutschland natürlich eher unwahrscheinlich, aber man könnte über einige andere Aspekte von Notfallvorsorge diskutieren.

Zum Beispiel?

Deutschland ist eines der wenigen Länder, in denen Erste-Hilfe-Maßnahmen nicht zum Lehrplan gehören. Brandschutzerziehung sollte viel intensiver erfolgen. Aber auch über andere Unglücke könnte man mit Kindern sprechen. Katastrophen wie in Japan wecken zum Beispiel Ängste und werfen viele Fragen auf. Leider wissen viele Lehrer und Erzieher nicht so recht, wie sie darauf reagieren sollen.

Warum gibt es in Kindergärten und Schulen nur wenig Notfallpädagogik?

Die meisten Erwachsenen beschäftigen sich ja selbst nicht gerne mit Unglück und Tod. Vielleicht befürchten Erzieher und Lehrer auch, Kinder mit solchen Themen zu ver­un­sichern. Meine Erfahrung ist eher, dass Kinder damit ganz unbefangen umgehen. Ob Kindergarten oder Schule: Sie finden solche Themen sogar spannend und interessieren sich sehr dafür.

Warum sind Workshops zum Thema ­„Kinder in Not“ beim Bundeskongress sehr stark nachgefragt?

Einsätze mit Kindern sind auch für die Rettungskräfte extrem belastend. Das belegen Studien, das wurde auch bei dem schweren Busunglück im März in der Schweiz wieder sehr deutlich. Der Umgang mit Kindern wird zwar schon in der Ausbildung von Rettungskräften thematisiert. Aber wenn Kinder betroffen sind, fühlt sich jeder ganz besonders gefordert. Das motiviert offensichtlich, an solchen Fort- und Weiterbildungen teilzu­nehmen.

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