Klar ist: Wie Wissenschaftler über diese Strafe denken, hat über Jahrezehnte auch unser Denken beeinflusst.
Tim Wegner
22.06.2011

chrismon: Haben Wissenschaftler einen Einfluss darauf, ob ein Staat die Todesstrafe anwendet?

Dieter Hermann: Ja, besonders die Studie des US-Amerikaners Isaac Ehrlich aus dem Jahr 1975 wurde damals sehr stark wahrgenommen: Er will herausgefunden haben, dass jede Exekution in der Zukunft acht Morde verhindert.

Etwa 60 Staaten vollstrecken die Todesstrafe. Mit welcher Begründung?

Mit ihrer generalpräventiven Wirkung: ­Eine Strafe ist erlaubt, wenn sie den Menschen zu mehr Glück verhelfen kann. Zum Glück gehört, dass niemand Opfer eines Verbrechens wird. Daher wählt eine Gesellschaft eine Sanktion, deren Kosten-Nutzen-Bilanz für den Einzelnen sicher negativ ausfällt – den Tod. Das ist also ein utilitaristischer Ansatz. Vielen Studien zur Todesstrafe liegt dieses Gesellschafts- und Menschenbild zugrunde.

Mit welchen Folgen?

Die Forschungsergebnisse werden dadurch beeinflusst, welcher Fachrichtung ein Forscher angehört. Isaac Ehrlich etwa ist Ökonom; Ökonomen hatten insbe­sondere im letzten Jahrhundert das Bild eines Menschen vor Augen, der sich rational verhält, um sein eigenes Glück nicht zu gefährden. Droht ihm die Todesstrafe, bringt er niemanden um, weil das sein Glück zerstört. In der Wirklichkeit widerlegt jeder Lottospieler den Kosten-Nutzen-Ansatz, weil er unvernünftig handelt und fast nie gewinnt.

Kommen andere Fachrichtungen zu anderen Ergebnissen?

Ja. Forscher aus den Bereichen Soziologie, Kriminologie und Rechtswissenschaft verfolgen eher den Ansatz, dass die Handlungen der Menschen abhängig sind von ihrem Werte- und Normverständnis. Ich habe in Studien herausgefunden, dass besonders idealistische und leistungsbezogene Werte einen sehr starken Einfluss auf Kriminalität haben, zum Beispiel Hilfsbereitschaft gegenüber Schwächeren und Ehrgeiz. Solche Werte, die wiederum stark von religiöser Prägung abhängen, verhindern, dass jemand zum Mörder wird. Nicht die angedrohte Todesstrafe.

Was folgern Sie aus Ihrer Analyse?

Wirkt die Todesstrafe abschreckend? Die Antwort hängt stark von der Fachrichtung ab, der ein Forscher angehört. Die Ergebnisse sind also so instabil, dass sie die Todesstrafe nicht legitimieren können.

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Chrismon ist immer lesenswert, aber dem Artikel über die Abschreckungswirkung der Todesstrafe ist doch hinzuzufügen, dass man - eine US-Studie aus dem Jahr 1975 hin oder her - die damit befassten Richter, Justizangehörigen und PolizeibeamtInnen fragen sollte, was sie dazu meinen. Die Todesstrafe ist doch im Lauf der letzten beiden Jahrhundert nicht trotz ihrer Effizienz, aus reiner Humanität, abgeschafft worden, sondern weil sie das Ziel der Tatvorbeugung nicht erreicht und unbehebbare Mängel hat. Bleibt also der Rache- und Vergeltungsgedanke, der emotional und aus Opfersicht verständlich ist; nur: sicherer würde unsere Gesellschaft durch die Todesstrafe selbstverständlich nicht.
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Sie argumentieren, dass idealistische und leistungsbezogene Werte verhindern, dass jemand zum Mörder wird und dass diese Werte stark von religiöser Prägung abhängen. Haben Sie auch untersucht, ob diese Werte nicht viel stärker von humanistischer Prägung abhängen (in Kurzform: goldene Regel/kategorischer Imperativ, die "du sollst nicht töten/morden" einschließen)? Weiterhin: Welche Religionen sind gemeint? Wieviele Morde wurden/werden unter Berufung auf eine Religion begangen (heilige Kriege jeglicher Prägung sind ja hinlänglich bekannt)? Wieviele Morde werden dagegen unter Berufung auf humanistische Werte begangen? Ein kurze Plausibilisierung: In den USA werden pro Jahr fünfmal soviele Morde pro Einwohner begangen wie in Deutschland. Dabei sind die Amerikaner deutlich religiöser als die Deutschen. Und wenn man ihr Argument nur ein kleines wenig weiter entwickelt, dann werden Humanisten/Atheisten ganz schnell zu Mördern weil ihnen idealistische und leistungsbezogene Werte fehlen - und dafür würde ich sehr gerne auch nur einen Ansatz für einen Beleg sehen. So sehr ich die Einschätzung zur Abschreckungswirkung der Todesstrafe teile, so entschieden bezweifle ich, dass Menschen auf Grund von Religionen weniger morden als ihre nichtgläubigen Mitmenschen.
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Ich habe 45 Jahre Erfahrung als ehrenamtlicher Bewährungshelfer und zwei junge Mörder hochgepäppelt. – Es gab früher ein Bändchen von Pastor Hans Brandenburg „Christus auch im Zuchthaus“. Darin beschreibt er, nach Jahrzehnten Tätigkeit als Gefängnispfarrer, daß der Mörder fast immer im Affekt handeIt und in aller Regel zu resozialisieren ist. -
Sehr negativ schneidet der Heiratsschwindler ab. Er habe sich in ein Netz von Lügen verheddert, aus dem er meist nicht mehr herauskomme.
 

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