Foto: Monika Höfler
Talent? Haben wir!
Ein Ziel haben ist gut. Noch besser: einen Traum. Und Lampenfieber macht glücklich. Zwei Künstler über ihre Talente und Erfolge
19.09.2011

chrismon: Wie würde Dittsche reagieren, wenn Philipp Lahm in seinen Hamburger Stammimbiss kommt?


Olli Dittrich: Der Imbiss ist Dittsches Mikrokosmos. Wenn kein Fremder da ist, reißt er die Klappe so weit auf, dass ein Lkw drin wenden könnte. Wenn etwas Besonderes passiert, ist er hilflos.


Warum? Aus Ehrfurcht?


Dittrich: Ja, und aus einem Hierarchiegefühl heraus, das er stark empfindet. Das ist das Tragikomische an dieser Figur; dass sie ihre Armseligkeit so überspielt. Das eint Dittsche mit uns allen, wir sind auch nicht immer die tollen Hechte. Also, Dittsche wüsste nicht, was er machen soll. Aber wenn Philipp wieder weg ist, würde er wieder auftrumpfen. (Verstellt die Stimme) „Bidde: Der ist extra wegen mir gekommen!“


Wird Ihnen so viel Ehrfurcht entgegengebracht, Herr Lahm?


Philipp Lahm: Es sind eher die Blicke, die mir auffallen. Die Leute wollen sehen, was der Lahm so isst, wenn er mit seiner Frau im Restaurant sitzt. Aber Ehrfurcht? Nein. Bei Kindern ist das anders, die stehen mit großen Augen vor mir. Dass ich ihnen bitte ein Autogramm geben soll, bringen sie gar nicht mehr raus. 


Ist es die Begabung, die den Star ausmacht?


Dittrich: Nicht unbedingt. Wir Künstler sind immer auch abhängig von Moden und Launen. Als Anfang der neunziger Jahre die ersten Erfolge kamen, sagte mir ein großer Kollege: „Dass du gleich Bescheid weißt: Der am besten Klavier spielt, wird nicht am berühmtesten!“


Und im Fußball: Wird der berühmt, der am meisten Talent hat?


Lahm: Mit Sicherheit nicht. Ich habe in meiner Jugend viele Spieler erlebt, die das gleiche Talent hatten wie ich, wenn nicht sogar mehr. Sie haben es trotzdem nicht geschafft. Es geht auch um Disziplin. Schon mit 14, 15 Jahren hatte ich sechs Mal die Woche Training. Da war nichts mit Schwimmbad, mit Kaffee trinken oder später mit Disco, wenn am Wochenende in der Früh ein Spiel war. Aber wenn man Spaß am Training hat, fällt es nicht so schwer.


Dittrich: Wichtig ist, Erfolg nicht immer nur übers Geld zu de­finieren, sondern als Freude oder Erfüllung. Wir wollen alle etwas tun, das uns glücklich macht. Dann schafft man es auch in schweren Zeiten, Kraft aufzubringen. Immer! Aber wenn ich mich in einem Umfeld bewege, das mir nichts bedeutet oder mich unglücklich macht, kann ich keine Disziplin aufbringen.


Lahm: Erfolge sind auch wichtig. Ich war in der Jugend beim FC Bayern immer einer der Jüngsten. Am Saisonende wurde aus­sortiert; wer nicht gut genug war, musste gehen. Ich hab mir gesagt: Sie werden mich übernehmen. Und um mir das sagen zu können, brauchte ich die Erfolge, die Siege mit der Mannschaft. Wenn man die im Kopf hat, macht es auch das nächste Mal Spaß.


Hatten Sie nie Angst, dass Sie auch aussortiert werden?


Lahm: Als Kind wollte ich einfach Fußball spielen. Profi werden – das war viel zu weit weg. Und Angst hatte ich deswegen nie, weil eine meiner Stärken mein Glaube an das ist, was ich kann.


Dittrich: Geht mir genauso. Wenn ich auf die Bühne gehe, er­warte ich ja auch, dass die Leute mir glauben. Und das tun sie nur, wenn ich selbst an mich glaube. Sonst klappt es nicht, vor allem nicht, wenn man Leute zum Lachen bringen will.


Wer hat Sie in Ihren Talenten bestärkt, als Sie jung waren?


Dittrich: Meine Eltern. Mein Vater war als Journalist viel unterwegs, aber meine Mutter, die auch Künstlerin ist – Malerin –, hat uns Kinder immer unterstützt. Sie hat mir den Platz geboten, mich zu erfahren. Kinder sind nicht strategisch. Sie spielen aus Begeisterung. Das sollten Eltern unterstützen, weil man schon in jungen Jahren die Talente sieht. Da dürfen sie die Kinder nicht ins Grübeln bringen.


Manche Eltern sind ehrgeiziger als ihre Kinder.


Dittrich: Mein Sohn spielt Handball, was ich da mitunter erlebe... Trainereltern, die laut brüllen.


Lahm: Das kenne ich von meiner Mutter, sie arbeitet als Jugendleiterin in meinem Münchner Heimatverein. Sie schreitet oft ein und sagt den Eltern: „Brüllen Sie hier bitte nicht so rein, dafür ist bei uns ein Trainer zuständig.“


Dittrich: Furchtbar!


Lahm: Meine Eltern haben einen guten Mix hinbekommen. Die Entscheidung, ob ich mit dem Fußball weitermachen will, lag ­immer bei mir. Ich hatte mit zehn Jahren ein Probetraining bei 1860 München, das hat mir keinen Spaß gemacht, da bin ich wieder heimgefahren – war kein Problem für meine Eltern. Und hätte mir das Training ein Jahr später bei den Bayern nicht ge­fallen, hätten sie das auch akzeptiert. Ihr Ansatz war: „Egal, was du machst, wir werden dich unterstützen.“


Wie wichtig ist Lob?


Lahm: Da muss ich immer an Oliver Kahn denken.


Dittrich: Wieso?


Lahm: 2004 sind wir in Portugal früh aus der Europameisterschaft geflogen. Es war mein erstes Turnier, mit 20 Jahren. Am Schluss kam Oliver Kahn zu mir und sagte: „Philipp, an dir lag’s nicht.“


Dittrich: (lacht) Na, das ist ja ein tolles Lob! Aber er ist ein reiner Titan. Wie war das für dich?


Lahm: Großartig, eine Ehre! Ich war enttäuscht, dass wir ausgeschieden waren, aber ich hatte drei ordentliche Spiele gemacht. Und der Titan – man wusste ja, wie oft er ein Lob ausspricht.


Wann haben Sie gemerkt: Hoppla, ich habe da ein Talent?


Lahm: Eigentlich schon, als ich mit fünf Jahren angefangen hab zu spielen. Du bekommst schnell ein Gespür dafür, dass es dir viel leichter fällt, einen Ball anzunehmen.


Dittrich: Ich wollte ja auch Fußballprofi werden. Uwe Seeler war mein Held, und der HSV ist bis heute mein Verein. Ich habe es bis in die Hamburger Auswahl geschafft. Die Ironie: Ich habe im VW-Bus unseres Betreuers festgestellt, dass mein Talent als Unter­halter größer war als meine fußballerische Begabung. Da war ich nach Niederlagen der Lustigste. Ich war auch als Fußballer technisch gut. Hach, je länger man zurückdenkt, desto großartiger wird es! Hätte ich nicht eigentlich doch Profi werden können?


Lahm: Immerhin, Hamburger Auswahl!


Dittrich: Hm, ja, aber ich saß da nur auf der Bank. Nein, es hätte niemals bis zum Profi gereicht.


Herr Dittrich, Sie haben als Manager in einer Plattenfirma ge­arbeitet. Wann haben Sie gemerkt, dass Sie da falsch sind?


Dittrich: Als ich psychosomatische Störungen bekommen habe.


Wie sahen die aus?


Dittrich: Das kennt ja jeder, Kopfschmerzen, Herzflattern – Symp­tome, die auftreten, wenn ein Mensch unter Stress gerät. Bei mir waren es damals Darmkrämpfe. Wenn ich diese Zeit nicht überwunden hätte, wäre vieles von dem, was ich heute mache, nicht möglich gewesen. Es war eine Mischung aus Unsicherheit und wenig Traute zu den eigenen Talenten, gepaart mit noch viel ­weniger Mut, gesellschaftliche Formen zu verlassen, die handelsüblich sind: eben dass man eine Ausbildung macht – in meinem Fall zum Theatermaler an der Hamburger Staatsoper –, sich etwas aufbaut, wie ich später bei Polydor, der Plattenfirma. Aber diese Form musste ich verlassen; ich musste mein eigener Herr sein, mit eigenen Regeln und Arbeitsplänen. Das zu erkennen, war eine Art Gärungsprozess, in den die psychosomatischen Störungen und die Therapie gefallen sind.


Wer – wie Sie beide – seine Begabung zur Schau stellt, kann auf die Nase fallen. Haben Sie Lampenfieber?


Lahm: Nein. Weil ich weiß, was ich kann, und man in diese großen Dimensionen hineinwächst. Kein Sportler oder Künstler spielt gleich vor 60 000 Zuschauern. Das erste richtig gut besuchte Spiel war das A-Jugend-Finale, da waren 19 000 Menschen da. Ich wusste auch nicht, dass 2006 beim WM-Eröffnungsspiel weltweit 1,5 Milliarden zugeschaut haben, also, wenn ich mir das überlege...


Dittrich: ...dann ist doch sowieso wieder alles egal!


Lahm: (lacht) Genau.


Dittrich: Die kannst du sowieso nicht sehen, sie sind nur eine Zahl, genau wie Einschaltquoten.


Lahm: Trotzdem: Eine Anspannung ist immer da.


Dittrich: Aber eine positive, ein Glücksgefühl. Alles ist aufgestellt, wach, konzentriert, ein positiver Schub. Sonst würde ich keine Livesendung wie „Dittsche“ improvisieren, das wäre zu riskant.


Lahm: Ist es bei dir auch so, dass du nicht erwarten kannst, dass es endlich losgeht? Ich kann endlich das machen, von dem ich weiß: Ich kann das, und das will ich allen zeigen? 



Dittrich: Ja, und ich brauche das, um mich für meine Figuren in einen Modus zu bringen. Manchmal laufe ich mich in den Mi­nuten vor einer Sendung oder Aufnahme regelrecht warm.


Lahm: Ich mache immer dasselbe, vor jedem Spiel. Ich sitze an der gleichen Stelle, ziehe mich um, trinke noch mal was. Diese Abläufe geben Sicherheit.


Wie viel Glück gehört zum Erfolg?


Dittrich: Ein Viertel. Ich stelle mir das als Kreis vor, den ich in vier Stücke teile; das stammt von einem Mönch in Tibet, glaube ich. Ein Stück ist Intelligenz, auch im Sinne von Chancen erkennen, eins ist Talent, eins ist Fleiß, eins ist Glück. Nur wenn die drei Ersten stimmen, kommt in gleicher Weise das Glück dazu – und die Chance, ein Großer zu werden.


Lahm: Nicht umsonst heißt es, Glück muss man sich erarbeiten.


Sie sind aber auch auf zehn Mitspieler angewiesen. Stört das?


Lahm: Nein! Deswegen liebe ich den Mannschaftssport. Weil wir zusammen Niederlagen verkraften und Erfolge feiern können. Das Miteinanderumgehen, dass ich mich als Kapitän auch um die Mannschaft bemühen kann – das gibt mir was.


Stimmt der Mythos von den elf Freunden?


Lahm: Nein. Realistisch betrachtet besteht eine Mannschaft aus zwei Dutzend Konkurrenten. Natürlich haben alle trotzdem das gemeinsame Ziel, den Erfolg. Aber ich würde keinem Profi raten, in der Mannschaft über intimste Dinge zu reden, zum Beispiel über eine Schwächephase, die man durchlebt.


Warum nicht?


Lahm: Das bespricht man mit Freunden, nicht mit den Mannschaftskollegen, die nur darauf warten, dass man Schwächen zeigt. Natürlich gibt es immer zwei, drei Leute, mit denen man sich in der Mannschaft gut versteht. Aber befreundet? Ich hatte einen Freund in der Mannschaft, Andreas Ottl, er spielt jetzt in Berlin. Meine übrigen Freunde haben mit Fußball nichts zu tun.


Dittrich: Ich bin mit vielen aus meinem Metier sehr kollegial und sehr freundschaftlich verbunden – aber eben auch genau nur das. Das ist aber keine negative Aussage gegenüber diesen Menschen; auf viele in meinem Geschäft kann ich mich verlassen.


Lahm: Man kann und muss als Mannschaft auch privat was zusammen machen, das ist ja kein Widerspruch. Aber erzählen Sie all Ihren Kollegen intime Dinge? Ich nicht.
Dittrich: Sportler sind da noch mal in einer besonderen Situation. Ihr sollt für das Publikum gewinnen. Da gestattet man euch nicht so gerne Schwächen. Wir haben das bei Robert Enke gesehen, dem Nationaltorhüter, der sich das Leben genommen hat. Ich glaube, viele Menschen haben so sehr an seinem tragischen Tod Anteil genommen, weil er etwas an diesem Bild vom Helden, der keine Schwächen haben darf, verändert hat. Hoffe ich jedenfalls.


Wie ist das, wenn Talente ins Nichts führen, Herr Dittrich?


Dittrich: Da ist schon auch Verzweiflung dabei. Ich habe in den Achtzigern fünf, sechs Jahre das Ziel verfolgt, eine Platte zu machen. Die ist so schnell aus den Läden raus, wie sie reingekommen ist. Aber aus heutiger Sicht hatte das seinen Sinn, weil sich in dieser Zeit andere Dinge ergeben haben. Zum Beispiel: Ich habe aus der Enttäuschung heraus lustige Hörspiele aufgenommen.


Ist Dittsche auch auf diese Weise geboren worden?


Dittrich: Ende der Achtziger, sozusagen aus Versehen. Ich habe meinen Anrufbeantworter mit vielen Figuren besprochen, Franz Beckenbauer war auch schon dabei. (Verstellt die Stimme) „Joa, hier is der Franz, loassens halt a Nachricht doa.“


Lahm: (lacht)


Dittrich: Das wurde immer aufwendiger, weil schnell 20 Nach­richten auf dem Band waren, „Geil, Alter, mach mal was Neues!“


Lahm: (lacht noch stärker)


Dittrich: Da hab ich angefangen, nur als eine Figur was zu sagen, das war schneller gemacht. Mit Hamburger Dialekt (verstellt ­wieder die Stimme): „Ihr müsst ma aufpassen, da am Bahnhof machen sie die Stroße groade neu, da bin ich im Stau.“ Das war Dittsche! Irgendwann kamen die ersten Auftritte, bei Thomas Hermanns im „Quatsch Comedy Club“. Den alten Bademantel, den Dittsche heute noch trägt, hatte ich von einem Kumpel. In der Aldi-Tüte waren Bierflaschen, damit sie offen stand, da konnte ich mit Edding Textbausteine reinschreiben. Ich wusste ja nicht, was ich auf der Bühne so alles machen soll.


Lahm: Und trotzdem bist du raus?


Dittrich: Ja, mit so Nummern wie: Florence Griffith-Joyner und Kati Witt – zwei berühmte Sportlerinnen damals –, wenn man die kreuzen würde, hieße die Kreuzung: Flokati. Unterstes Regal! ­Leider hab ich die Tüte nicht mehr.


Lahm: Schade!


Glauben Sie, dass jeder Mensch eine Begabung hat?


Dittrich: Sicher! Ich möchte nicht wissen, wie viele hochbegabte Schriftsteller, Tänzer, Sportler da draußen als Polizisten, Bus­fahrer oder Bäcker unterwegs sind. Weil sie nicht ihren Weg ­haben finden können, an ihrem Talent zu wachsen.


Lahm: Wichtig ist, sein Talent überhaupt zu entdecken. Man muss viel ausprobieren. Mit meiner Stiftung veranstalte ich in Deutschland Sommercamps, die eben keine Fußballcamps sind, weil es genügend andere Dinge gibt, die Kindern mehr Spaß machen.


Gibt es eine Pflicht, ein Talent nicht schlampig zu behandeln?


Dittrich: Absolut!


Lahm: Sehe ich auch so. Bei der Weltmeisterschaft 1990 hab ich als Bub gesagt: Das zu erleben, das ist mein Traum. Nicht mein Ziel; Ziele sind kurzfristiger. Den Weltmeisterpokal hochzu­stemmen, ist heute immer noch mein Traum. Aber 2014, bei der nächs­ten Weltmeisterschaft, wird es schon wieder ein Ziel sein. Das zu erkennen: dass ein Traum aus vielen kleinen und großen Zielen besteht – das wünsche ich jedem Menschen. Haben wir ja auch gerade bei dir gehört, Olli: wenn du das mit dem Dittsche nicht versucht hättest – wär’ schade gewesen.

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