Portrait Hanna Lucassen, Redaktion chrismon, Redaktions-Portraits Maerz 2017Lena Uphoff
26.01.2011

Ich habe mich so abgemüht mit den neuen Inlineskatern. Und jetzt sagen Sie: Neues zu lernen soll leichter sein, als etwas zu verlernen?

Onur Güntürkün: Radfahren, Schwimmen, Fremdsprachen – an das Trainieren und Pauken erinnert man sich. Wir lernen aber auch, ohne dass wir es richtig merken: dass der Nachbar ein neues Auto hat. Dass ein Elektroladen aufgemacht hat. ­Unsere Welt ist im ständigen Wandel. Und wir müssen oft lernen, dass Informationen, die bis eben galten, jetzt nicht mehr zutreffen.

Zum Beispiel: Die Kollegin hat geheiratet und heißt jetzt nicht mehr Schulz?

Ja, und da passiert’s: Andauernd ver­haspelt man sich: „Ach, Frau Schu... äh, Frau Meier.“ Als die Kollegin vor drei ­Jahren anfing, da war es kein großes Problem, ihren Namen zu lernen. Da sollte es doch leicht sein, alles, was wir seitdem über sie gespeichert haben, mit „Meier“ zu verbinden. Ist es aber nicht.

Warum?

Ganz einfach: Das Gehirn hat doppelt so viel zu tun wie beim Neulernen. Zum einen baut es ein komplexes Netzwerk auf, das den Impuls, wie gewohnt zu reagieren, hemmt. Und zum anderen baut es wie beim Neulernen Verbindungen zur neuen Information auf. Das alles organisiert der präfrontale Kortex, das Hirnteil hinter der Stirn. Der muss intakt sein.

Ist er im Normalfall ja auch, oder?

Bis er richtig ausgereift ist, sind wir schon Anfang zwanzig. Erst ab dann ist er voll funktionsfähig. Und wenn wir alt werden und die Hirnmechanismen nicht mehr so flüssig laufen, bildet er sich wieder zurück. Und wir werden konservativ: Was früher richtig war, kann heute nicht falsch sein. Kindern und Alten fallen Umlernprozesse also noch schwerer als anderen.

Namen verwechseln, Rechtschreibfehler machen, damit kann man leben. Wann wird Verlernen existenziell?

Es gibt Reaktionsmuster, an denen Menschen extrem leiden. Frauen, die nach einer Vergewaltigung wahnsinnige Angst haben, dass das wieder passiert. Wie können sie verinnerlichen, dass gewisse Situationen nicht mehr gefährlich sind? Verlernen, mit Angst zu reagieren? Es gibt Methoden, die aber auch an Grenzen stoßen. Zum Beispiel weil sie nur innerhalb der Psychologenpraxis erfolgreich sind. Denn das Gehirn speichert auch, wo man was lernte.

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