Der evangelischen Kirche in Deutschland zeigt, wie sie Menschen für sich gewinnen kann. Ein aufgeräumter Ratvorsitzender Nikolaus Schneider redet in Magdeburg Kirche und Politikern ins Gewissen.
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
01.11.2011

Nikolaus Schneider hat – im übertragenen Sinn – die Ärmel hochgekrempelt und er lässt die Anwesenden spüren, dass er nichts lieber hätte, als wenn ihm das alle nachmachten. Schneider ist der oberste Repräsentant der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), er gibt seinen alljährlichen Bericht über die Arbeit des Rates der EKD ab.

Die Nagelprobe: das Reformationsjahr 2017

Der evangelischen Kirche in Deutschland stehen entscheidende Jahre bevor: Sie muss und will zeigen, dass sie die Menschen gewinnen kann. Der Stichtag: das Reformationsjubiläum 2017. Im Jahre 1517 hatte Martin Luther seine 95 Thesen an die Schlosskirche zu Wittenberg genagelt und damit die Anfänge der Reformation gesetzt. 500 Jahre später ist zwar das Thema Ablasshandel erledigt, nicht aber das tiefer gehende Anliegen des Reformators: aller Welt kundzutun, dass sich Gott jedes Menschen annimmt, ohne Ansehen seiner Person und seiner Verdienste. Die Botschaft vom gnädigen Gott ist die Zentralbotschaft des Christentums, dass sie gehört wird, eine Überlebensfrage für die Kirchen. Und mehr noch für die Menschen.

Die diesjährige Synode in Magdeburg dient dazu, Weichen zu stellen – Weichen Richtung Außenwirkung. Und was dazu zu sagen ist, hat Nikolaus Schneider gesagt. Mit jedem Wort seines Berichtes lässt er erkennen, dass es um mehr geht als um professionellen Aktivismus oder um die hohe Kunst theologischer Ziselierungen. Einer von den bisherigen Umstrukturierungen „reformmüden“ Kirche redet er behutsam ins Gewissen. In seinem Rechenschaftsbericht spricht er von der Kirche als einem „offenen und missionarischen Haus“, in dem die Menschen auf Gottes Geist vertrauen, in dem sie Mut haben umzubauen, hinderliche Mauern und Wände abzureißen, neue Räume zu entwerfen und zu bewohnen.  1968 hätte man so etwas höchst wahrscheinlich einem bestimmten politischen Spektrum zugerechnet. Schön, dass dieser Appell aus der Mitte der Kirche kommt.

Reformen, jetzt erst recht

Warum „Abriss“ und „Umbau“? Weil die Ziele der Kirche, den Menschen in ihren unterschiedlichen Lebenswelten Orientierung zu geben und Nähe zu schenken, auch unter gewandelten sozialen Rahmenbedingungen im Vordergrund stehen müssen. Schneider wörtlich: „Die demografische Entwicklung, zurückgehende Kirchenmitgliedschaft, abnehmende Kirchenbindung und Relevanzverlust der Institutionen stellen uns zwingend vor die Aufgabe, nachhaltig lebbare Strukturen anzustreben.“ So paradox die Forderung klingt: Reformen, auch und gerade wegen der Reformmüdigkeit! Nicht, damit Unternehmensberatungen, Personalverwaltungen und Synoden etwas zu tun haben, sondern damit auch in Zukunft trotz nachlassender Kirchlichkeit die Botschaft der Kirche vernehmbar bleibt oder sogar noch besser durchdringt.

Das gilt auch für die politischen und ethischen Botschaften der Kirche. Der Ratsvorsitzende ließ keinen Zweifel daran, dass zum Beispiel die Frage der Endlagerung von Atommüll keineswegs geklärt ist. Den Menschen in und um Gorleben eine solche „Ewigkeitslast“ aufzuerlegen, das ist noch nicht entscheidungsreif. Er bejaht „ergebnisoffene“ Voruntersuchungen weiterer Standorte „unter Partizipation der Bevölkerung“.

Schuldenkrise: Schneiders schnörkellose Forderungen

Oder die Frage des Mindestlohns: Für Nikolaus Schneider ist die Notwendigkeit, den Tariflohn aufzustocken, nicht hinnehmbar. Wörtlich sagt er: „Das bedeutet, die Tarifparteien verständigen sich darauf oder Arbeitgeber kalkulieren damit, zu Lasten der Sozialkassen gewinnbringende Geschäfte zu ermöglichen – ein Modell, das einer sozialen Marktwirtschaft fremd sein sollte.“

Und auch das Thema Banken- und Staatsschuldenkrise. Schneider schnörkellose Forderung: „Wir benötigen eine Politik, die Finanzakteure so zügelt und Finanzstrukturen so steuert, dass sie nicht der Bereicherung Einzelner, sondern dem Leben vieler Menschen dienen.“

Wie man das Herz der Menschen berührt

So kann nur jemand sprechen, der auch im eigenen Haus die Maßstäbe Gerechtigkeit und Solidarität hochhält. Schneider, der seine starke Prägung durch die evangelische Sozialethik und seine Nähe zur Arbeitswelt der Ruhrkumpel nicht verleugnen kann, weiß eben eins ganz genau: Das Herz der Menschen berührst du nur, wenn du dich auch auf ihr Leben einlässt.

Das gilt für die Widerständler von Gorleben und die vom katholischen Abendmahl ausgeschlossenen konfessionsverschiedenen Ehepaare, für die Soldaten in Afghanistan genau so wie für die Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Und es gilt, für Nikolaus Schneider ist dies ein Kernanliegen, für die Menschen, die neugierig auf Theologie und Glauben sind und denen die Kirche jede Menge Auskünfte schuldig ist.

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