Illustration: Marco Wagner
Sie fand das Proletariat schön
Mit ihrer Kriegs- und Armutskritik stieß Käthe Kollwitz im Kaiserhaus auf Ablehnung. Aber die Künstlerin ließ sich nicht beirren
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
14.06.2011

Es war eine Erfahrung, die sie für ihr  Leben traumatisierte. Wenige Mo­nate nach Beginn des Ersten Weltkriegs zog ihr 18-jähriger Sohn Peter an die Front in Flandern. Er hatte sich als Freiwilliger gemeldet. Wie so viele junge Männer seiner Generation war er begeistert bei der Sache. Seiner Mutter, Käthe Kollwitz, hingegen erschien dieser Krieg von Anfang an als „hirnverbrannt“, der Tod von Soldaten im Schützengraben als „sinnlose Opfer“. Ganze zwei Tage ist Peter an der Front, dann stirbt er in einer Oktobernacht, als Erster seines Regiments. Als Käthe Kollwitz die Nachricht erhält, ist sie wie gelähmt. Mehr noch als ihren älteren Sohn, der eingezogen worden war, liebte sie ihren Peter.

Es gibt nur wenige Bilder von Käthe Kollwitz, die sie fröhlich und entspannt zeigen. Auf den meisten erscheint sie als  eine traurige, verschlossene Frau. „Eine Leidensspur zieht sich durch ihr ganzes Leben“, schreibt ihre Biografin Irma Hildebrandt. Dieses Lebensgefühl prägt auch ihre Tagebuchnotizen, die sie in 35 Jahren in dicke Wachstuchhefte schrieb. 

Ihr Atelier lag gleich neben den Praxisräumen ihres Mannes, eines Berliner Armenarztes

Kriegs- und Sozialkritik sind die Hauptthemen ihrer Arbeit als Künstlerin. Dass sich Käthe Kollwitz vor allem für arme Menschen einsetzt, hängt mit ihrer Herkunft und mit ihrem Leben zusammen. Sie ist Tochter eines Maurermeisters und Predigers in Königsberg, heiratet mit 24 Jahren einen Kassenarzt in einem Berliner Arbeiterbezirk, manche nennen ihn einen „Armenarzt“. Die Not vieler Familien steht der jungen Frau täglich vor Augen: Sie hat ein kleines Atelier direkt neben den Praxisräumen ihres Mannes in der Weißenburger Straße 25 (heute: Kollwitzstraße), mehr als fünf Jahrzehnte leben sie dort. Mit einem wachen Auge für die Lebenslage der Menschen malt, zeichnet und radiert Käthe Kollwitz seit ihrer Ausbildung an der Künstlerinnenschule in Berlin und in München. Ihren künstlerischen Durchbruch hat sie 1898 mit ihrem Zyklus „Ein Weberaufstand“, der sich an Gerhart Hauptmanns Bühnenstück „Die Weber“ anschließt.

Kurz darauf bekommt sie – mit 31 Jahren – eine Stelle als Lehrerin an der Künstlerinnenschule in Berlin. Und es beginnt die glücklichste Zeit ihres Lebens: ein mehrmonatiges Stipendium in Florenz, längere Studienreisen, unter anderem nach Paris, Bekanntschaft mit dem Bildhauer Auguste Rodin, Mitarbeit beim satirischen Magazin „Simplicissimus“.

Ihre Arbeit fand allerdings allerhöchste Kritik: Kaiser Wilhelm II. bezeichnete den Zyklus „Ein Weberaufstand“, den Adolph Menzel während der „Großen Berliner Kunstausstellung 1998 zur Ehrung vorgeschlagen hatte, schlicht als „Rinnsteinkunst“. Und das Plakat für die Deutsche Heimarbeit-Ausstellung 1906 wurde auf Wunsch von Kaiserin Auguste Viktoria von allen Litfaßsäulen entfernt. Ihrer Hoheit missfiel die Darstellung einer abgearbeiteten Frau. Kollwitz hin­gegen sagte: „Das Proletariat ist für mich eben schön.“

Frühzeitig erkannte Käthe Kollwitz die Gefahren des Nationalsozialismus

Erst nach Ende der Monarchie, im Januar 1919, wurde Käthe Kollwitz zum Mitglied der Preußischen Akademie der Künste ernannt – als erste Frau überhaupt – und erhielt gleichzeitig den Professorentitel. Vor allem: ein Meisteratelier in der Akademie. Doch das Glück währte nur wenige Jahre, bis zum Beginn der Nazizeit. Kollwitz zählte zu den Menschen, die die Gefahren des aufkommenden Nationalsozialismus frühzeitig erkannten. Vor den Reichstagswahlen 1932 unterschrieb sie, gemeinsam mit Erich Kästner und Heinrich Mann, mit Arnold Zweig und 30 anderen einen „Dringenden Appell“ gegen den Faschismus. Kaum an der Macht, betrieben die Nazis ihre Amtsenthebung als Leiterin der Meisterklasse für Grafik an der Preußischen Akademie der Künste. Sie wurde zum Austritt gedrängt, verlor das geliebte Atelier. Ihre Werke in der Akademieausstellung und im Kronprinzenpalais wurden abgehängt.

1943 musste sie erfahren, dass ihre Berliner Wohnung, in der viele ihrer Drucke und Platten lagerten, durch Fliegerbomben zerstört worden war. Sie lebte da bereits bei einer Künstlerfreundin in Thüringen, danach noch einige Monate in Moritzburg bei Dresden. Dort starb sie, ohne erfahren zu haben, dass der Krieg wenige Tage später endete.

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