Foto: iStockphoto
Immer erreichbar, sogar im Urlaub?
Klar, E-Mail und Handy haben viele Vorteile - es ist aber auch schön, sie mal links liegen zu lassen
Tim Wegner
12.07.2011

chrismon: Ist es gut, immer erreichbar zu sein?
Lisa Hano: Nein! Sogar bei der Arbeit ist das nicht gut: Wenn ich durch einen Anruf unterbrochen werde, dauert es durchschnittlich acht Minuten, bis ich wieder so konzentriert arbeite wie vorher.

Also alle Computer offline und Handys abschalten?
Es geht mir nicht darum, dass niemand mehr erreichbar sein darf, sondern darum, das jeder für sich das richtige Maß finden muss. Die Möglichkeit, zu Hause auf Dienstmails zurückzugreifen, ist eine große Chance – und etwa für junge Frauen eine Möglichkeit, im Beruf zu bleiben und trotzdem Zeit für die Familie zu haben.

Schaffen die Menschen es, das richtige Maß zu finden?
Das bezweifle ich. Arbeitnehmer haben die Erwartung verinnerlicht, ständig erreichbar sein zu müssen. Aber kein Chef darf das einfordern. Es gibt Gesetze, die Arbeitszeiten regeln. Trotzdem zeigen Um­fragen, dass die Hälfte der Arbeitnehmer sogar im Urlaub erreichbar ist.

Woher kommt diese Haltung?
Das hat mit Verantwortungsgefühl und dem veränderten Charakter von Arbeit zu tun. Früher war es so: War das Heu in der Scheune, war die Arbeit getan. Heute dominieren Dienstleistungen, etwa in der Pflege, da gibt es immer neue Arbeit. Oder: Wir schließen einen Auftrag ab, der sofort weitere Arbeit nach sich zieht, zum Beispiel Kontaktpflege. Wir können gar nicht fertig werden, haben aber immer noch den Anspruch, eine Arbeit zu Ende zu bringen – und glauben, wir schaffen das, wenn wir ständig erreichbar sind.

Und wenn es mir doch zu viel wird?
Ich muss sagen und zeigen, wann ich erreichbar sein will – und wann nicht. Wenn mein Chef mir um 23 Uhr ein E-Mail schreibt, ist das seine Sache. Aber ob ich es um diese Zeit überhaupt zur Kenntnis nehme und sofort antworte, das entscheide immer noch ich! Das erfordert Mut, und deshalb haben Führungskräfte hier auch eine Vorbildfunktion.

Wie kann die aussehen?
Ein Beispiel aus der IT-Branche: Ein Unter­nehmer hat seine Leute gefragt: „Ich will eure Privatsphäre achten – aber was tun wir, wenn am Wochenende ein seltenes Problem auftritt, das nur bestimmte Mitarbeiter schnell lösen können?“ Diese offene Frage führte zu einer Vereinbarung. Der Chef schickt in so einem Fall eine SMS. Das ist eine zurückhaltende Form der Kommunikation; der Mitarbeiter entscheidet selbst, wann er reagiert. Er hat auch das vereinbarte Recht, sich nicht zurückzumelden, ohne dass er Nachteile erleidet. Wichtig ist: So eine Regel müssen alle Kollegen kennen.

Es gibt Kollegen, die immer reagieren, und jeder sieht: Der hat um 22 Uhr noch Mails verschickt . . .
Ist das beeindruckend? Ist es ärgerlich? Erregt es Mitleid – der schickt am Sonntagabend um 22 Uhr eine Nachricht, was ist los mit diesem Menschen? Was fehlt ihm? Also: Wie wir reagieren, ist eine Frage der Sichtweise, und im Moment ist diese Omnipräsenz offenbar für viele ein Ausdruck für besondere Leistungsbereitschaft. Das muss sich ändern.

Warum?
Wir haben wenig junge Fachkräfte, die Rentenkassen sind leer: Wir müssen länger arbeiten. Das geht nur, wenn wir eine Balance zwischen Arbeit und Erholung finden. Das muss unsere Gesellschaft lernen.

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Plain text

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
Wählen Sie bitte aus den Symbolen die/den/das LKW aus.
Mit dieser Aufforderung versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt.