Beim Kulturkongress der evangelischen Kirche geht es um die Rolle der Kirche in der pluralen Gesellschaft. Dr. Ellen Ueberschär, Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchen­tags und eine der Hauptrednerinnen in Berlin, plädiert für eine ehrliche Bestandsaufnahme des kirchlichen Selbstverständnisses.

Kultur ist nicht „Luxus, sondern Lebensmittel“, sagt Petra Bahr, die Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland. Das Typische an Lebensmitteln: Sie werden ständig benötigt, und sie müssen allen zur Verfügung stehen.

Was kein Geheimnis ist: Nicht alle mögen dieselben Lebensmittel. Die Geschmäcker sind verschieden. Manchmal sind es ge­rade die Lebensmittel der Anderen, die verlocken. In jeder deutschen Kleinstadt wird Interkulturalität von der Dönerbude bis zum Inder tagtäglich praktiziert. Trotzdem finden fast 30 Prozent der Deutschen im Westen und 35 Prozent im Osten, dass durch die vielen kulturellen Einflüsse das Leben in Deutschland chaotischer und ­unübersichtlicher geworden ist.

Die Kirchen haben eine Schlüsselrolle

Es ist nicht leicht zu erklären, warum beim Kulinarischen einfach ist, was beim Kulturellen und erst recht beim Religiösen zunehmend schwieriger wird. Multikulti wird beim Essen toleriert, der fremde Duft und Geschmack sind eine Bereicherung. Aber das hoch aufragende, lichte Minarett einer Moschee wird als unfreundliche Bedrohung empfunden. Interkultur geht durch den Magen, aber nicht durch den Kopf. Es gibt kaum eine deutsche Großstadt, die nicht in den letzten Jahren einen Moscheebau-Konflikt durchlebt hat.

Den Kirchen kommt eine Schlüsselrolle dabei zu, wenn es um das kulturelle Zusammenleben geht. Aber welche Schlüssel geben die Kirchen den Menschen in die Hand? Welche Schlüsselbegriffe helfen, Identität zu gewinnen in einer Welt, die Menschen zwischen anonymer Globalisierung und penetrantem Provinzialismus heimatlos macht?

Das paternalistische Modell hat ausgesorgt

Einer der Schlüssel war die Fürsorge für die Fremden. Lange Zeit hat das paternalistische Modell funktioniert, das die Mus­lime als Zuwanderer oder Hilfsbedürftige zu Objekten diakonischer Fürsorge gemacht hat. Dieser Schlüssel passt nicht mehr, seit die Muslime aus den Hinter­hofmoscheen heraustreten und ihren Platz im Vorderhaus beanspruchen. 

Die Lage ist verwirrend unübersicht­lich geworden. Noch immer gehört eine große Gruppe von Menschen muslimischen Glaubens zu den sozial Schwachen. An­dererseits nehmen von den türkischen Musli­men nur vergleichsweise wenige Hartz IV in Anspruch, wie eine Studie des Bundesamtes für Migration gezeigt hat. Je nach Herkunft, Bildungsabschluss, Aus­bildungsniveau begegnen uns Muslime aus un­terschiedlichen Kontexten in unter­schiedlichen gesellschaftlichen Milieus. Das Schema der Fürsorge für die Zuwanderer passt nicht mehr, seit in Großstädten wie Berlin, Hamburg oder Dortmund der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund die 50-Prozent-Marke überschreitet. 

Lieber Mission als Dialog - ist das heute noch evangelisch?

Ein zweiter Schlüssel der evangelischen Kirche war die Mission. Vermutlich teilte die Mehrheit der Evangelischen die Grundtendenz der offiziellen kirchlichen Schrift „Klarheit und gute Nachbarschaft“ von 2006, die aus dem Thema „Zusammenleben mit Muslimen“ das Thema Mission und Dialog, oder besser: lieber Mission als Dialog gemacht hat. Interessant, dass die Sorge um die Mission nicht in erster Linie den drei bis vier Millionen Getauften und aus der Kirche Ausgetretenen gilt, sondern denjenigen, die selbst mit einem festen – wenn auch nicht dem evangelischen – Glauben in den Dialog treten.

Sollte der Missionsschlüssel die Konversion zum Ziel haben, wird er völlig überschätzt. Es wird immer nur eine Minderheit sein, die sich in die eine oder andere Richtung überzeugen lässt. Der Anteil der Muslime, die sich möglicherweise taufen lassen, ist verschwindend gering gegenüber jenen, die in dieser Gesellschaft mit ihrem Glauben und ihrer Kultur Platz finden wollen. 

Statt Selbstgespräch: gemeinsames Lernen

Welcher Schlüssel bleibt, um inter­kulturelles Zusammenleben in den Städten zu eröffnen? Es ist der Schlüssel des Dialogs auf Augenhöhe. Dialog bedeutet gemeinsames Lernen, Verständigung der Hörenden – und ist nicht das Selbstgespräch der Wissenden. Ob es möglich ist, im Dialog etwas zu erreichen, hängt nicht vom Missionsverständnis ab, sondern davon, ob die Gesprächspartner in der Lage sind, die Perspektive des anderen wirklich zu verstehen. Das kann nur gelingen, wenn alle bereit sind, auch einmal eine Perspektive einzunehmen, die sie vorher nicht ­hatten. Und wenn Christen bereit sind, ­anderen Religionen und Kulturen Raum zu lassen, sich über ihren Weg selbst zu verständigen, und ihnen dabei zu helfen, ­ihren eigenen Platz in der westlichen Welt zu finden. Nicht minder haben es Chris­tinnen und Christen nötig, sich selbst unter­einander zu verständigen.

Gespräche mit anderen haben keine Aussicht auf ­Erfolg, wenn es dabei nicht auch darum geht, welche Erzählung über die Welt wir als Evangelische unseren Kindern weitergeben wollen. Die Verständigung untereinander muss die kommende Gesellschaft im Blick haben: Kirche wird institutionell schwächer, religiöse Angebote werden pluraler sein. Werden die Evangelischen diese Situation akzeptieren? Oder werden sie – auch auf die Gefahr hin, verfassungsrechtliche Privilegien zu verlieren – auf Besitzansprüchen und gesellschaftlichen Alleinvertretungspositionen beharren? Und zwar weiterhin in trauter konfessioneller Konkurrenz mit den Katholiken? Der Platz in Rundfunkräten, die univer­sitäre Ausbildung, Religionsunterricht, Präsenz im öffentlichen Raum, religiöse Symbole in Schulen – die ganze Palette muss angeschaut und einem offenen und ehrlichen Austausch unterworfen werden, wie das in Zukunft sein soll.

Tempelhofer Feld: ein ganz neues Projekt in Sachen Dialog

Auf dem Tempelhofer Feld in Berlin soll ein interreligiöses Zentrum entstehen: ein Ort, wo Menschen miteinander spirituelle Erfahrungen machen können und der ­zugleich der ganzen Gesellschaft dient. Es soll ein Ort sein, der das Leben von der „totalen Verzweckung“ befreit, wie die evangelische Pfarrerin Elisabeth Kruse vom Interkulturellen Zentrum der Gene­zareth-Kirche sagt.

Die Kirchenmitgliedschaftsstudien scheinen keine günstigen Voraussetzun­gen für die Inszenierung solcher Dialogprozesse zu bieten. Doch gegen solche Ernüchterung arbeitet die „Religion auf dem Tempelhofer Feld“ an. Zum Beispiel mit ihren „Leerläufen“. Und das geht so: ein gemeinsamer Start, Textlesung, mal gemeinsames Gehen, ohne miteinander Worte zu wechseln. Mal entspinnt sich ­dabei ein Gespräch. Das, was an religiöser Ent-Zweckung möglich ist, erlaufen, er­fragen, erfahren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer.  „Religion auf dem Tempelhofer Feld“ macht den Versuch, Kopf und Bauch im interreligiösen Alltag in Übereinstimmung zu bringen.

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