Nach den Ausschreitungen zwischen ägyptischen Christen und dem Militär herrscht Ratlosigkeit. Ganz offensichtlich waren die Prügeleien angezettelt worden. Aber von wem?
13.10.2011

„Weg mit Tantawi!“ Mitten in die Predigt hinein platzen die Rufe der Demonstranten. Hunderte koptische Christen versammeln sich am Sonntagabend, 9. Oktober, unweit unserer Kirche im Zentrum von Kairo. Sie fordern, dass der Chef des Militärrates zurücktreten soll. Sie haben genug von den Dis­kriminierungen und machen ihrer Wut Luft. Lautstark, aber friedlich.

Zwei Stunden später – in der Kirche hat inzwischen ein Konzert begonnen – treffen die ersten besorgten Kurzmeldungen per Handy ein. Kairoer Freunde erleben vorm Fern­sehen, wie die friedliche Demonstration in die gewalttätigste Auseinandersetzung seit dem Sturz Mubaraks umschlägt. Kaum sind alle Konzertbesucher weg, rennen plötzlich Dutzende junger Männer panikartig durch unsere Straße. Wir ­ahnen nicht, dass sich in unserer Nähe wilde Prügelszenen ereignen. Die Ursache für diese harten Ausschreitungen? Wir erleben sie, aber über ihre Gründe können wir nur spekulieren. So unüberschaubar ist die Lage in Ägypten dieser Tage.

Trotz der Ausschreitungen hat die Deutsche Evangelische Oberschule am nächsten Tag geöffnet. Die Mütter, mit denen ich spreche, sind alle ziemlich erschüttert – egal ob christliche oder muslimische, deutsche oder ägyptische. Es wird spekuliert: Das Militär habe mit der Gewalt angefangen. Bei Chaos würden die Wahlen vielleicht wieder verschoben, und das ­Militär bliebe länger an der Macht. Andere meinen, das seien Islamisten gewesen. Die Christen seien schon immer die Opfer im eigenen Land. Wieder andere sagen: Alle Schläger in Zivil hätten die gleichen Stöcke geschwungen – Anhänger des alten Regimes.

Abends im Kirchenvorstand erfahre ich, dass eine deutsche Bekannte vor den Ausschreitungen davor gewarnt wurde, in dieser Zeit nach Kairo zu reisen – die Infos stammten angeblich vom Geheimdienst. Die Gerüchte blühen weiter.

Christen trauern um ihre Opfer, viele stehen unter Schock. Immerhin: Die „Ana masri“-Parolen kommen wieder: „Ich bin Ägypter“ heißt das, und eben nicht in erster Linie Muslim oder Christ. Hoffentlich setzen sich diese Rufe durch. Ägypten im Umbruch braucht jede und jeden, wenn der Aufbau einer ­Demokratie gelingen soll.

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