Coworking im betahaus in Berlin - Foto: Daniel Seiffert
Ein Interview über Menschen, für die der Job alles bedeutet
Tim Wegner
13.12.2011

chrismon: Was ist ein Genussarbeiter?


Svenja Flaßpöhler: Jemand, der seinen Selbstwert vor allem über die Arbeit bezieht. Häufig gibt es das in den Kreativberufen. Aber auch eine Ärztin oder ein Lehrer können dazu zählen. Oft sind es gebildete Menschen aus der Mittelschicht. Mich interessiert eine Ambivalenz: Ich beobachte Menschen, die ekstatisch oder sogar exzessiv arbeiten – Muße und Nichtstun ist ihnen aber unmöglich.

Man kann doch auch froh sein, wenn man einen erfüllenden Beruf hat!

Absolut, und ich sage ja auch nicht, dass wir ein Recht auf Faulheit brauchen. Arbeit gehört zum Menschsein dazu, das Beackern, das Kulturschaffen. Das ist ein Glück – solange Arbeit nicht alles ist.

Wie wurden wir zu Genussarbeitern?

Das hat viele Ursachen. Seit der Aufklärung definiert sich der Mensch nicht mehr durch seinen Stand, sondern durch Leistung – er kann ­etwas erreichen, sich hocharbeiten. Und: Maschinen nehmen uns körperliche Arbeit ab. Viele Orte, an denen wir heute arbeiten, sind schön gestaltet. Wir sitzen auf ergodyna­mischen Stühlen, arbeiten an tollen Apple-Rechnern und trinken dabei Kaffee. Arbeit wird zum Genuss.

Von der protestantischen Arbeitsethik scheint nichts übrig zu sein.

Der Soziologe Max Weber wollte den Geist des Kapitalismus auf sie zurückführen: In einigen evangelischen Strömungen galt Arbeit als eine Art Gottesdienst; man war fleißig, um Gott zu gefallen, und lehnte Muße und Genuss ab. Das wirkt bis heute fort, aber da hat sich vieles verschoben.

Was denn?

Der gläubige Mensch, den Max Weber beschrieb, kannte immerhin Formen der Pause – das Gebet, und am Sonntag wurde nicht gearbeitet. Diese Pausen fallen bei den Genussarbeitern weg. Wir arbeiten nicht mehr, um Gott zu dienen, sondern um Anerkennung von einer Gesellschaft zu erfahren, deren Ansprüche grenzenlos sind. Das ist immer noch der große Andere, aber dieser Andere sieht überhaupt keine Rituale mehr vor, keine Feierlichkeit, sondern Flexibilität, ständige Verfügbarkeit. Was immer das Individuum leistet, der Gesellschaft reicht es nie.

Den Sonntag gibt es aber immer noch!

Aber der Genussarbeiter hat nichts von freien Tagen, weil er seinen Ansprüchen ge­nügen muss: Die Genussfeindlichkeit, von der Max Weber ausging, hat sich verwandelt – wir dürfen genießen, aber vernünftig und ohne Schuld. Das artet in Arbeit aus.

Was meinen Sie damit?

Wir machen dann Wellness statt Freizeit. Genussarbeitern geht es nicht darum, aus den Leistungsanforderungen, die der Beruf an sie stellt, auszubrechen. Im Gegenteil: Sie optimieren sich für den Alltag. Es wird geschwitzt und gepeelt, trainiert und gefastet, um den Körper fit zu machen und noch den letzten Dreck aus ihm herauszuschwemmen.

Aber gab es jemals Zeiten, in denen Hemmungslosigkeit kein Tabu war?

Nein. Aber die Kultur hat immer Räume geschaffen, in denen Genuss möglich war – das Wochenende, den Karneval, die Zigarette an der Bar. Alles Nischen, in denen Menschen ihre schmutzige Seite zugestanden wird. Wenn uns das fehlt, werden wir neurotisch. Auch die Pornografisierung geht in diese Richtung. Überall sieht man tolle, lustvolle Körper, aber das ist nichts als Oberfläche. Die Erotik geht völlig verloren. Wenn der Genussmensch abends in eine Bar oder Lounge geht, findet er sich im Ambiente einer Schulaula wieder. Da findet nichts mehr statt.

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