Foto: W-film Distribution
"Da weiß man, wir Menschen sind kleine Lichter"
Tim Wegner
16.05.2011

chrismon: Ist es in Deutschland irgend­wo nachts noch richtig dunkel?

Franz Hölker: Ja, etwa in Teilen Mecklenburg-Vorpommerns und Brandenburgs. Natürlich können wir auch in Städten Sterne erkennen, nur viel weniger. Umfragen zeigen, dass 44 Prozent der unter 30-Jährigen noch nie die Milch­straße gesehen haben. Da fehlt eine Erfahrung: zu sehen, wie riesig das Uni­versum ist. Da weiß man, wir Menschen sind kleine Lichter.

Hat es Folgen, wenn es nie ganz dunkel wird, weil es so viele Lichter gibt?

Das stört viele Tierarten. Rotkehlchen ­orientieren sich im Flug am Erdmagnetfeld und an den Sternen. Hochhäuser mit starkem Licht irritieren die Vögel. Weil der Sternenhimmel als Bezugspunkt fehlt, fliegen sie oft gegen die Gebäude. Oder: Im Sommer sterben pro Nacht durchschnittlich 150 Insekten an einer Straßenlaterne. Bei acht Millionen Laternen in Deutschland fehlen Milliarden Insekten als Nahrung für viele Tiere.

Gewöhnen sich Tiere ans Licht?

Manche Spinnen bauen ihre Netze gezielt an Laternen, für sie ist das ein Platz wie für uns an einem Buffet. Auch einige Fledermausarten haben herausgefunden, dass Insekten desorientiert um Straßenlampen flattern. Wir gehen davon aus, dass sich einige Tiere evolutionär an das Licht angepasst haben; vor allem solche, die ein kurzes Leben und viele Nachfahren haben. Viele andere Arten wird es aber in Städten nicht mehr geben.

Und der Mensch?

Licht ist unser Taktgeber. Der Mensch sitzt tagsüber im Büro, bei einer Licht­stärke von maximal 500 Lux. Selbst im grauen November messen wir 3500 Lux, an einem Sonnentag sogar 100 000 Lux. Tagsüber fehlt uns Licht, abends gibt es zu viel. Bis in die Nacht sind wir künstlicher Beleuchtung ausgesetzt. Der Unterschied ist oft zu gering für eine ausreichende Ausschüttung des Hormons Melantonin, das unseren Schlaf-wach-Rhythmus steuert.

Mit welchen Folgen?

Möglich sind Schlafstörungen, die langfristig krank machen. Es gibt die Hypothese, dass es in stark beleuchteten Gebieten häufiger zu Brust- und Prostatakrebs kommt. Nun wird untersucht, ob das am Licht oder an anderen Faktoren liegt.

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