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"In Deutschland gibt es einen Stiftungsboom"
Spenden in Deutschland: Fragen an Thomas Begrich, Leiter der EKD-Finanz­abteilung
Portrait Eduard KoppLena Uphoff
21.10.2011

Herr Begrich, die Amerikaner sind Spitze im Spenden und Stiften. Von diesen Größenordnungen können Deutsche nur träumen. Wollen wir, wollen Sie amerikanische Verhältnisse?

Ja, wenn wir auf die Spendenbereitschaft der Amerikaner blicken. Sie ist großartig. Wir Deutsche könnten noch viel zulegen. Nein, wenn wir uns bewusstmachen, dass die Amerikaner auch notgedrungen spenden: Sie haben keinen Sozialstaat. Diese demokratische Errungenschaft in Deutschland können wir gar nicht hoch genug schätzen. Der Nachteil: Viele Menschen denken zu rasch, der Staat soll sich kümmern, da muss ich nicht ran.

Wie steht es konkret um die Spendenbereitschaft der Deutschen?

Im Jahr 2009 haben sie 5,3 Milliarden Euro gespendet. Das entspricht pro Kopf 65 ­Euro. Rechnet man die Kirchensteuer hinzu, gab jeder Deutsche 179 Euro. Tendenz seit einigen Jahren: sinkend. Im Jahr 2010 gab es allerdings wegen der Erdbebenkatastrophen in Haiti und in Pakistan gegenüber dem Vorjahr einen leichten Anstieg.

Wofür geben die Deutschen Geld?

79,2 Prozent spenden für humanitäre Hilfe im In- und Ausland, 4,5 Prozent für den Tierschutz, 4,3 Prozent für Kultur- und Denkmalpflege, 3,9 Prozent für den Umweltschutz.

Was bekommen davon Kirche und Dia­konie ab?

Etwa ein Drittel der Spenden für humanitäre Hilfe im In- und Ausland wurden an kirchliche Organisationen geleistet. Da sie auch in der „Behindertenhilfe“, „Krankenhilfe“ und „Kinderhilfe“ aktiv sind, dürfte der Anteil sogar deutlich höher liegen – vielleicht um die 50 Prozent. Die Abgrenzung ist da schwierig, die Kirche wird nicht immer als Träger  wahrgenommen.

Neue Stiftungen schießen wie Pilze aus dem Boden...

Gut so! Wir haben einen ausgesprochenen Stiftungsboom, auch bei den Kirchengemeinden. Dort geht die Finanzkraft zurück, das soll so etwas ausgeglichen werden. Aber man muss aufpassen: Nur wenn es gelingt, zugleich auch das Engagement der Menschen zu erhöhen, ist eine solche Stiftung Gold wert. Wenn es nur darum geht, Zinsen für Einlagen zu erzielen, dann könnte es zu bitteren Enttäuschungen führen. Das hat uns spätestens die Finanzkrise gelehrt. Stiftungen machen nur Sinn, wenn da eine lebendige Kraft dahintersteckt. Es funktioniert nur in einem Mix aus Geld und Engagement.

Die Bevölkerung nimmt langfristig ab, dann wird wohl auch die Kirchensteuer weniger. Hilft bald nur noch spenden und stiften?

Das sollten Sie nicht gegeneinander aufrechnen. Richtig ist: Wenn die Finanzmittel knapper werden, muss man sich über das eigene Engagement für seine Kirche klarwerden. Die Kirchensteuer, die ja ein Mit­gliedsbeitrag ist, scheint uns zu erlauben, die Kirche ein bisschen auf Distanz zu halten. In Zukunft gilt es, noch viel mehr darüber nachzudenken: Wie bringe ich mich konkret ein, welche Kirche will ich? Das kann auch in Spenden münden.

Wie lässt sich die Spendenbereitschaft der Deutschen erhöhen?

Wir sollten nicht die 20 Prozent der Deutschen, die spenden, immer öfter um immer mehr bitten. Ich frage mich: Wo bleiben die anderen 80 Prozent der Deutschen? Die sollten wir auch erreichen!

Machen sich kirchliche und diakonische Einrichtungen von den Spendern abhängig?

Eine Abhängigkeit kennen wir nicht. Nur wenn man allein durch Spenden finanziert würde, bestünde eine solche Gefahr. In Amerika gibt es das allerdings. Eine amerikanische Gemeinde wird durch Spenden und nicht durch Mitgliedsbeiträge finanziert. Wenn nun ein Pfarrer in einer von Militärs geprägten Gemeinde etwa zu viel von Abrüstung redet, läuft er schnell Gefahr, dort seinen Job zu verlieren Das ist schon eine konkrete Abhängigkeit. So etwas gibt es in Deutschland nicht.

Wenn Spender und Stifter mehr Einfluss gewinnen: regiert dann der Massengeschmack? Ist das das Ende von Innova­tionen?

In dieser Gefahr sind wir lange nicht. Da ist die Kirchensteuer Gott sei Dank vor. Aber wir dürfen nicht bequem werden.

Weniger Kirchensteuer bedeutet mehr Leben in der Kirche, behaupten manche. Stimmt das?

So nicht! Richtig ist: Mehr Engagement bringt mehr Leben. Schauen Sie doch einmal, wie es in vielen ostdeutschen Kirchengemeinden aussieht. Ihnen geht es mit weniger Kirchensteuer wahrhaftig nicht gut! Mit weitreichenden Folgen: Wenn sie zu wenig Geld haben, um für die Unter­haltung von Kindergärten die notwendige Grundfinanzierung aufzubringen, erreichen sie bestimmte Bevölkerungsgruppen erst gar nicht. Wie dem auch sei: Geld ist wichtig, aber das En­gagement der Menschen ist die wichtigste Voraussetzung allen Tuns.

Zu dem Thema möchte ich das Buch des Journalisten Thomas Ramge empfehlen: "Nach der Ego-Gesellschaft. Wer gibt gewinnt - Die neue Kultur der Großzügigkeit", Pendo Verlag 2006, 18 € Er beschreibt unter anderem, dass es auch in Deutschland zunehmend Stiftungen gibt. Er geht aber auch auf die Spendenbereitschaft des Normalbürgers ein, auf ehrenamtliches Engagement und beschreibt Unternehmen, die soziale Verantwortung übernehmen. Ein sehr lesenwertes Buch, hervorragend geschrieben.
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Ist es nicht seltsam, das es fast immer die privilegierten,gut verdienenden Menschen wie Herr Bergrich sind, die eine mangelnde Spendenbereitschaft im Lande konstatieren. Dabei sind es doch eher Bürger welche nur über  ein geringes Einkommen verfügen die eifrig spenden.
Außerdem stört mich die unreflektierte Amerika- Lobhudelei von Herrn Begrich.

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