Abschied und Heimkehr
Ohne dass er es merkt, wird der Kirchgänger sonntags früh in ein Drama verwickelt, das der Heimkehr des verlorenen Sohns gleicht. Die Hauptrolle spielt er selbst
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
07.10.2010

"Allein Gott in der Höh sei Ehr und Dank für seine Gnade. Darum dass nun und nimmermehr uns rühren kann kein Schade." Jedes Mal wenn er im Gottesdienst dieses Lied höre, so erzählt ein Mittvierziger, überwältige ihn das Aufbrausen der Orgel und der euphorische Text mit seiner Friedensvision: "Ein Wohlgefalln Gott an uns hat; nun ist groß Fried ohn Unterlass, all Fehd hat nun ein Ende." Schon als Kind habe ihn diese Stelle im Gottesdienst tief beeindruckt, erzählt der Mann. Dieses Gefühl, überwältigt zu sein, habe er seither jedes Mal wieder gespürt.

Im lutherischen Gottesdienst gehört das Lied "Allein Gott in der Höh sei Ehr" zu einer festen Folge von Gebeten und Chorälen, die Außenstehenden vielleicht unverständlich und altertümlich erscheinen. Aber wer regelmäßig den Gottesdienst besucht, für den erschließt sich darin nach und nach eine feste Dramaturgie.

Auch wenn es in manchen Gemeinden sonntagmorgens alles andere als dramatisch zugeht - emotional kann ein Kirchgänger innerhalb der einen Stunde eine ähnliche Entwicklung durchleben wie der "verlorene Sohn" aus Jesu Gleichnis (Lukasevangelium 15,11-32). Denn unterschwellig erzählen katholische Messe und lutherischer Gottesdienst die Geschichte einer Trennung und Versöhnung, eines Abschieds und einer Heimkehr - mit dem Gottesdienstbesucher in der Hauptrolle.

"Ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir"

In Jesu Gleichnis lässt sich der Sohn eines vermögenden Mannes sein Erbe auszahlen. Er zieht damit in die Ferne, er verprasst es, fällt in Armut. Irgendwann ist seine Not so groß, dass ihm die Einsicht kommt, es sei besser heimzukehren, als zu leiden. Der Sohn entschließt sich, zu seinem Vater zurückzukehren und ihm zu sagen: "Ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir."

An dieser Stelle setzt der Gottesdienst ein. "Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes", sagt der Pfarrer. Diese Worte stehen wie ein Weckruf am Anfang. Dem Kirchgänger wurden sie erstmals gesagt, als sein christliches Leben begann: bei der Taufe. Sie erinnern ihn daran, dass er eigentlich ein christliches Leben führen sollte (was vermutlich niemand so richtig hinbekommt). Es folgt ein Schuldbekenntnis. Der Kirchgänger bekennt, dass er sich von Gott - im biblischen Gleichnis: vom Vater - entfernt hat. Er erinnert sich an Lieder seiner Kindheit - die Psalmen - und macht sich auf den Weg.

Schon von weitem sieht der Vater seinen Sohn kommen. Und er läuft ihm entgegen. Der Sohn sagt: "Vater, ich habe gesündigt" - dies entspricht im Gottesdienst der Bitte: "Herr, erbarme dich". Doch der Vater im Gleichnis empfängt den Sohn mit offenen Armen. "Ehre sei Gott in der Höhe", singen die Kirchgänger. Und: "Allein Gott in der Höh sei Ehr." Es ist der Moment der Heimkehr, vielleicht erleben viele Kirchgänger den Augenblick auch deshalb so emotionsgeladen.

Der emotionale Höhepunkt: Die Rückkehr nach Hause

Der Sohn im Gleichnis bekommt ein neues Gewand übergestreift. Antike Christen assoziierten damit das Taufkleid. Wie ein Täufling, den man in ein weißes Gewand hüllte, erhält der Kirchgänger nun seinen Taufunterricht. Er wird in der Heiligen Schrift unterwiesen: Jemand liest aus der Bibel vor, der Pfarrer erläutert das Gelesene in der Predigt.

Im Gleichnis Jesu, wie es im Lukasevangelium zu lesen ist, lädt der Vater zum großen Versöhnungsfest ein - lutherischer Gottesdienst wie katholische Messe endet mit dem Abendmahl beziehungsweise der Eucharistiefeier.

Und in den Gemeinden? Einige Kirchgänger verhalten sich wie der Bruder des verlorenen Sohns und ärgern sich, dass man ein Fest ausrichtet für Leute, die es nicht verdient haben.

Und wenn der Pfarrer ganz zum Schluss den Segen austeilt, hat es Ähnlichkeit mit dem, was der Vater im Gleichnis zu Beginn der Geschichte tut: Er teilt sein Vermögen unter den Söhnen. Dann ziehen die Gläubigen wieder hinaus in den Alltag - wie der verlorene Sohn, als er sein Erbe ausgezahlt bekommen hat. So gesehen beginnt das Gleichnis wieder von vorn.

Gebete, Lieder, Lesungen, Predigt und Abendmahl sind sicherlich mehr als Teile einer Erzählung. Im Gottesdienst wird aber ein Lied wie "Allein Gott in der Höh sei Ehr" deshalb zum emotionalen Höhepunkt, weil es einen Wendepunkt markiert: die Rückkehr nach Hause.

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