Der Liebe wegen kamen die meisten Frauen der Gemeinde auf die Insel. Die Pfarrerin kam der Gemeinde wegen. Und fand die Liebe.

Jung ist sie. Sehr jung. Seit 1996 besteht die evangelisch-lutherische Gemeinde. "Wer hier arbeiten will, darf keine Angst vor kleinen Zahlen haben", meinte meine Vorgängerin Almut Kramm. Sie sagte das damals im Hinblick auf die noch wenigen Besucher bei den Gottesdiensten und Veranstaltungen. 2003 hat für mich das Abenteuer "Pfarrerin in Sizilien" begonnen. Ich kam als Single aus einer idyllischen Schwarzwaldgemeinde auf die Insel. "Wie kann man dort nur freiwillig leben?", wurde ich häufig gefragt. Touristen schätzen die schönen Strände, die Spuren der Antike und die köstliche mediterrane Küche. Aber viele verbinden mit Sizilien weithin bekannte Probleme wie Mafia, Müll und Misswirtschaft. Ich habe mich hier von Anfang an zu Hause gefühlt: Die Menschen sind herzlich und hilfsbereit. Zudem bin ich ein eher unkonventioneller Typ - das erleichtert das Einleben.

Die Mitglieder der Gemeinde leben überall auf der Insel, die in etwa so groß ist wie Mecklenburg-Vorpommern. Treffpunkte gibt es in den sechs Städten Catania, Taormina, Messina, Palermo, Comiso und Syrakus. Wir feiern jeden Sonntag Gottesdienst, immer im Wechsel in einem anderen Ort. Das geht ohne eigene Kirchen. Mal sind wir bei Waldensern zu Gast, mal bei Anglikanern. Oder wir feiern in angemieteten Räumen, gerne auch mal privat in einem Wohnzimmer oder im Garten. Fünf Millionen Einwohner zählt Sizilien. Darunter etwa 5000 Deutsche.

"Wir sind eine Frauengemeinde"

Auf ihre Adressen haben wir jedoch keinen Zugriff. Wir wachsen durch persönliche Kontakte. Inzwischen haben wir 150 Mitglieder und rund 300 Sympathisanten. Das Besondere ist: Fast alle sind Frauen. Jüngere und ältere, Hausfrauen und Akademikerinnen, Katholikinnen und Frauen anderer Konfessionen gehören dazu. Die meisten sind mit Sizilianern verheiratet, verwitwet oder geschieden. Man nennt sie auch "Heiratsmigrantinnen". Sie haben unsere Gemeinde maßgeblich aufgebaut. Daher klingt auch Stolz mit, wenn es heißt: "Wir sind eine Frauengemeinde." Inzwischen gibt es bei uns auch einige Männer. Eine Minderheit von zehn Prozent zwar - aber immerhin. Manche sind Italiener, die als Gastarbeiter in Deutschland lebten. Einige haben auf anderem Weg Deutsch gelernt. Zweisprachigkeit ist bei uns der Normalfall.

Wie schon gesagt: Die Liebe führte die meisten unserer Gemeindemitglieder nach Sizilien. Exemplarisch ist Beates Geschichte: "Es war am Strand von Taormina. Franco hatte sich in mich verliebt, obwohl wir kein einziges Wort gewechselt hatten. Wenige Stunden später war ich abgereist. Mit detektivischem Geschick hat er meine Adresse herausgefunden. Dann begann der Briefkontakt. Zwei Jahre lang haben wir uns geschrieben, obwohl anfangs keiner die Sprache des anderen kannte. Schon bei der ersten Begegnung war uns klar, dass wir heiraten werden. Und diesen Schritt habe ich nie bereut."

Eine mutige Entscheidung

Als ich selber 2007 meine große Liebe kennenlernte, war der Jubel im Kirchenvorstand groß. Bei meiner etwas zögerlichen Präzisierung, dass es sich um eine Frau handele, war der Schock nur kurz und die Mitfreude dann überwältigend. Nach einigen Überlegungen stimmte der Kirchenvorstand zu, dass meine Partnerin zu mir in die Pfarrwohnung ziehen kann. Welche Erleichterung! Dankbar blicken wir auf diese mutige Entscheidung zurück. Ich bin stolz auf diese Frauen, die sich trotz zu erwartender Konflikte solidarisch zeigten. Das mag auch an ihrer eigenen Geschichte liegen: Auch sie folgten ihrem Herzen - allen Widerständen zum Trotz. Ein Jahr später konnten wir in Deutschland auf einem Standesamt den Bund fürs Leben schließen. Es war unser sehnlichster Wunsch, für unseren gemeinsamen Lebensweg auch in einem Gottesdienst gesegnet zu werden. In meiner Landeskirche in Baden ist das nicht möglich. Selbst das Zusammenleben in der Pfarrwohnung wäre dort verboten. Es tut weh, als homosexuelles Paar so diskriminiert zu werden - gerade im angeblich liberalen Baden.

Auch das römisch-katholisch geprägte Italien ist kein offenes Umfeld für gleichgeschlechtliche Beziehungen - von Sizilien ganz zu schweigen. Dennoch hat sich der Kirchenvorstand unserem Wunsch nach einem kirchlichen Segen nicht verwehrt. Nach vielen Gesprächen trug auch das Konsistorium, die Kirchenleitung der ELKI (Evangelisch Lutherischen Kirche in Italien), den Beschluss mit. Endlich konnten wir am 7. April 2010 in der Waldenserkirche Trapani einen wunderschönen Segnungsgottesdienst in einer bunt gemischten deutsch-italienischen Gemeinde feiern. Ein historisches Ereignis: in Italien die erste offizielle kirchliche Segnung für ein gleichgeschlechtliches Paar. Inzwischen hat sich die Synode der ELKI klar für die Segnung homosexueller Paare ausgesprochen. Ein deutliches evangelisches Signal in einer konservativen und homophoben Gesellschaft, in der es immer wieder zu Übergriffen kommt und es keinerlei Rechte für die Lebenspartnerschaft gibt. Vermutlich wird sich Ende August auch die Waldensersynode für diese Segnungen aus­sprechen. Meine Lebenspartnerin füllt inzwischen die Rolle der Hausfrau, der Sekretärin, der klassischen Pfarrfrau aus und wir leben und arbeiten gemeinsam in und für die Gemeinde, was allseits akzeptiert und geschätzt wird.

"Seid Ihr Protestanten auch Christen?"

Unser Gemeindezentrum in Catania ist eine schöne Altbauwohnung. Hier spielt sich ein Großteil unseres vielfältigen Gemeindelebens ab: offener Treff, Bibliothek, Kochkiste, Andacht und Gottesdienst, Seelsorge, Gesprächsgruppen, Vorträge, Seminare, Konzerte, Konfirmandenunterricht und Familiennachmittage. Der Wandertreff auf dem Ätna ist ebenso beliebt wie unsere Gemeindereisen, die wir abwechselnd innerhalb und außerhalb Siziliens veranstalten. An Pfingsten feiern wir unseren "Sizilientag": Zu diesem Gemeindefest pilgern alle an einem Ort zusammen. Überhaupt sind wir eine reisefreudige Gemeinde, die auch gerne Gäste empfängt.

Öfters werde ich für ökumenische Begegnungen angefragt. Gerne gehe ich in Schulen, um Jugendlichen einen Einblick in das protestantische Selbstverständnis zu geben. Manchmal lädt mich ein Priesterseminar ein, hin und wieder ein Kloster, seltener Pfarreien. Manchmal erschrecke ich über die Unkenntnis in der katholischen Bevölkerung. Da werde ich ernsthaft mit Fragen konfrontiert wie "Kennt ihr Evangelischen auch die Bibel?" oder "Seid ihr etwa auch Christen?". Hier in der sizilianischen Diaspora haben die Unterschiede unter Evangelischen weit weniger Bedeutung als in Deutschland. Ich bin zum Beispiel in den Pfarrkonvent mit Waldensern, Baptisten und Methodisten eingebunden. Gemeinsam gestalten wir thematische Konfirmandenfreizeiten. Den "Weltgebetstag der Frauen" bereiten neben diesen Kirchen sogar Adventistinnen, Pfingstlerinnen und die Heilsarme mit vor. Gefeiert werden in der Gebetswoche für die Einheit der Christen ökumenische Gottesdienste.

Genuss und Lebensfreude

Wichtig ist mir auch die Gefängnisseelsorge, für die ich einen besonderen Auftrag habe. Ich besuche Deutsche, die meist wegen Drogendelikten einsitzen. Wer hier als Ausländer im Gefängnis landet, hat es schwer: fehlende Sprachkenntnisse, kein Besuch von Angehörigen oder Freunden, kein Hafturlaub, ein schwer verständliches Justizsystem.

Mein Abenteuer als Pfarrerin auf Sizilien: Die Erfahrungen sind vielfältig, die Entfernungen groß, die Bedürfnisse innerhalb der Gemeinde sehr unterschiedlich, und der Organisationsaufwand ist enorm. An Arbeit mangelt es nie. Aber auch nicht an Freude und Tatkraft, um die Aufgaben anzupacken. Manchmal werde ich bemitleidet für die weiten Wege, die ich zurücklegen muss. Aber ich bin eine leidenschaftliche Autofahrerin. Die langen Fahrten kreuz und quer über "meine" Insel empfinde ich eher nicht als Belastung. So kann ich die Landschaft genießen. Und zu zweit macht das alles viel mehr Freude als allein.

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