Yassir war ein Dealer und im Gefängnis. Kaum draußen, erzählt der Frankfurter Rapper seinen Fans, dass die Droge Teufelszeug sei und der Knast uncool. Er sei geläutert. Kann man ihm Glauben? Eine Geschichte mit nicht ganz offenem Ende
Tim Wegner
07.10.2010

Justizvollzugsanstalt Frankfurt am Main, ein Besucherzimmer mit vergitterten Fenstern, draußen glitzert Stacheldraht in der Sonne, es ist Juni. Schritte auf dem Flur, die Vollzugsbeamtin bringt Yassir E.: einst Schläger, Räuber, Dealer. Zuletzt wegen Handels mit vier Kilo Haschisch verurteilt zu drei Jahren und drei Monaten, abgesessen vor allem in der JVA Butzbach, einem hessischen Gefängnis der höchsten Sicherheitsstufe. Jetzt sitzt Yassir E. in Frankfurt ein, da kommt er her; in der Trabantensiedlung Nordweststadt war er bekannt als Gangleader, er gilt als Legende. Vielleicht wird er vorzeitig entlassen, denn er führt sich gut.

"Ich bin geläutert", sagt der 36-Jährige. Denn wohin hat ihn all das gebracht? Nur nach unten. Das Schlimmste, sagt Yassir: Während er im Knast saß, wurden seine beiden Söhne eingeschult, und er war nicht dabei. Die Kinder weinen nachts oft stundenlang, hat ihm seine Frau erzählt, sie vermissen ihn.

Yassir hat viel nachgedacht in den Haftjahren. Die tägliche Hofgangstunde, die der Zellenkollege nutzte, hat er meist verschmäht - "damit ich mal in Ruhe heulen konnte über mein total verkorkstes Leben". Auch wenn er sich bei vielen seiner Opfer entschuldigt habe, manches könne er nicht rückgängig machen: "Dass ich früher manchmal zwei Tage weg war, feiern und tanzen, obwohl meine Frau mich gebeten hatte, nicht zu gehen... ich hab ihr das Gefühl gegeben, dass sie mir scheißegal ist."

"Setzt euch Ziele im Leben, geht dem Übel aus dem Weg!"

Immer wieder sei er schuldig geworden - als ob er unter einem Bann stünde. Aus diesem Bannkreis will er raus. Diesmal werde es ihm gelingen! Und er will den Jungen sagen, dass sie nicht seine Fehler machen sollen. "Setzt euch Ziele im Leben, geht dem Übel aus dem Weg", rappt er, "es ist ein Teufelskreis, doch es ist nie zu spät."

Ein Rapper ist er geworden, als er im Gefängnis saß. Erst seit einer Therapie, seit er drogenfrei ist, kann er texten. Eine CD ist bereits auf dem Markt, "Paragraph 31". Die Texte hatte er auf schlichte Beats eingerappt, die Musik wurde "draußen" dazukomponiert. Das klingt wie klassischer Gangsta-Rap, die Texte kommen aber anders als etwa die von Bushido oder Sido - ohne Flüche aus, ohne "Ficken" und "Hurensohn". Denn Yassir erzählt von den Schattenseiten des "Gangsterlebens", davon, dass Knast nicht cool ist, dass Drogen "Teufelszeug" sind, dass ein "normales Leben" erfüllen kann.

Eine Woche später ein Anruf vom Handy, im Hintergrund zwitschern Vögel, Yassir jubelt: "Ich bin raus, auf Bewährung entlassen, bin grad im Freibad mit den Kindern! "

Einen Monat nach der Haft: das erste Konzert, zusammen mit anderen Rappern des Labels "Echte Musik". Yassir ist geplagt von Lampenfieber: "Ich weiß bis jetzt nicht, was ich sagen soll, wenn ich rausgeh! " Ihm fehlt jegliche Bühnenerfahrung. Dann betritt er die kleine Bühne des O25, und das Publikum tobt. Labelchef Jonesmann fordert Ruhe: "Der Yassir will euch was sagen." Es wird still. Yassir verlegen, aber hellauf strahlend:

"Ich war 'ne Weile weg, jetzt bin ich wieder da." Jubel. Sie lieben ihn.

Sein erstes Lied - man versteht ihn nicht, irgendwas ist mit den Mikros. Vor lauter Aufregung vergisst er den Text, entschuldigt sich in breitem Frankfurterisch: "Isch hör misch ned! " Mikrotausch. Immer noch undeutlich, aber er zieht es durch. "Ich hoffe, dass mein guter Wille immer stärker wird, und dass das Schlechte, das ich in mir trage, immer weiter stirbt." Wer kein Feuerzeug hat, knipst sein Handy an und schwenkt es leuchtend überm Kopf.

Gegen Mitternacht ist Schluss. Nun will sich Yassir "ein normales, gechilltes Leben" aufbauen, so wie es sich seine Frau immer erhofft hatte: Er will arbeiten als Gebäudereiniger und rappen zum Hobby. Zuerst aber wird er sich um die Familie kümmern - die Kinder betreuen, während seine Frau auf der Arbeit ist, und seine Ehe retten nach den drei Jahren seiner Abwesenheit.

Sein Frau wünscht sich: keine Treffen mehr mit den Kumpels

Aber bitte, sagt Yassir, bloß nicht über seine Frau schreiben! Die wolle mit all dem nichts zu tun haben, mit den Medien nicht, mit dem Rap nicht und schon gar nicht mit "den Leuten von früher", die jetzt dauernd wieder bei ihm zu Hause anrufen. Denn all das bedeute Gefahr. Wenn er sich auf dem Spielplatz hinter den Häusern mit den Kumpels trifft, von denen einige kiffen, und dann kommt Polizei, und Yassir steht bei den Kiffern - dann ist wieder alles aus. Warum hängt er auch als 36-jähriger Familienvater noch mit Kumpels rum? "Meine Frau hat ja recht", sagt Yassir. Am besten, meint er, sie zögen weg.

Hochsommer, Frankfurt flirrt vor Hitze. Yassir ist hibbelig, er muss so viel regeln, "und jedes Mal, wenn ich aus dem Haus geh, haben die Kinder Angst, dass ich nicht wiederkomme". Er hat viele Termine: beim Arbeitsamt, der Drogenberatung, der Bewährungshelferin - und bei der Ausländerbehörde. Die Ausländerbehörde des Wetteraukreises, in dem auch das Gefängnis Butzbach liegt, hatte Yassir während der Haft abschieben wollen. Ein guter Anwalt konnte das verhindern, fürs Erste. Aber die Behörde behielt Yassirs Pass ein.

Den marokkanischen Pass. Der Vater war in den 60er Jahren aus Marokko gekommen, von Opel angeworben als "Gastarbeiter". Yassir wurde 1973 geboren, in Rüsselsheim. Später, als die Mutter die Einbürgerung beantragte, hätte auch Yassir einen deutschen Pass bekommen können - so wie seine Frau, ebenfalls Kind marokkanischer Einwanderer, einen hat. Yassir verpasste die Gelegenheit. Mit 19 war er bereits straffällig, eine Einbürgerung also nicht mehr möglich. Er hatte Haschisch verkauft, als Zwischenhändler. Das Geld ging vor allem für die eigene kostspielige Drogensucht drauf: für Kokain.

Wie einfach könnte sein Leben jetzt sein, hätte er nie mit den Drogen angefangen. Es sah ganz gut aus: Hauptschulabschluss, weitergelernt bis zur mittleren Reife, dann eine Lehre als Einzelhandelskaufmann bei Kaufhof. Das Lehrgeld besserte er auf, indem er frühmorgens einem Bekannten der Mutter bei dessen Gebäudereinigungsjob half. Und dann fing er zu dealen an. "Ich hab immer meinen Kopf betäubt: Wenn mir alles zu viel wird, stürze ich ab." Immer öfter fehlte er in der Lehre, bis man ihm kündigte.

"Ich musste fliehn vor meinem Vater, sein Herz war erfrorn"

Yassir schweigt. Er gähnt. Er drückt mit der einen Hand gegen die Knöchel der anderen, dass es knackt. Ist er müde? Gelangweilt? "Nein, aber es ist emotional, über das zu sprechen, was man getan hat", sagt er schließlich. Jetzt will er einen Schlussstrich ziehen. Kein Hass mehr, keine Trauer. Nur noch darüber singen. "Meine Kindheit ist so mies, das ist echt nicht gelogen, ich musste fliehn vor meinem Vater, sein Herz war erfroren", rappt er mit rauer Stimme in "Mein Leben".

Die Kindheit: drei Söhne, der kleinste der Wonneproppen, der älteste eben der Älteste, dazwischen er, Yassir. "Ich hatte helle Haare als Kind. Mein Vater hat mich nie akzeptiert." Er das Kind von einem anderen? "Völliger Quatsch", sagt Yassir, "meine Mutter sprach kein Wort Deutsch, die kannte nur meinen Vater! " Und dann sei er noch ein Schussel gewesen, "ich hab dauernd was verschüttet oder fallen lassen, dafür hab ich Schläge gekriegt, mit dem Schuh, mit 'ner Metallstange, und meine Mutter wollte mich schützen".

Er war sechs, als die Mutter mit den Kindern ins Frauenhaus floh, später zog sie nach Frankfurt. Doch die Kinder mussten den Vater wochenends besuchen. Da entführte er sie nach Marokko, gab sie dort zu Fremden, für über ein Jahr. Erst als die deutschen Behörden dem Vater drohten, ihm die Aufenthaltserlaubnis zu entziehen, brachte er die Kinder zurück. Vor zehn Jahren ist der Vater gestorben. "Und ich war der Einzige", sagt Yassir, "der Rotz und Wasser geheult hat, als wir an seinem Grab in Marokko standen."

Während andere Jugendliche die Angebote der Frankfurter Jugendzentren annahmen und rappten, manche sogar bundesweit bekanntwurden wie Azad oder D-Flame, wurde Yassir zum Schläger. "Ich war Schläge gewohnt, die anderen Kinder nicht." Das erste Mal richtig zugeschlagen habe er mit 17. "Ein Älterer hat mich tyrannisiert und gehauen. Irgendwann hab ich zurückgehauen, ruck, zuck lag er unter mir. Da hab ich beschlossen, dass ich mir von niemandem mehr was gefallen lasse."

Plötzlich war er wer. Er konnte befehlen

Plötzlich war er wer. Er konnte befehlen: "Ey, hol mir 'ne Pizza! " oder: "Sei ruhig jetzt! " Und wenn er Stress mit einer anderen Gang hatte, spazierte er ins Jugendzentrum und sagte: "Wer mit mir geht, ist für mich. Wer nicht mitkommt, ist gegen mich." Bald wollte jeder sein Freund sein.

Es ist Herbst geworden, die Sonne geht gerade unter, auf den Bänken rund um den spärlich möblierten Spielplatz hinter den Wohnblocks sitzen ein paar junge Männer. "Früher war der Yassir gefährlich, schon auch brutal", erinnert sich einer. "Aber immer aufrichtig und hilfsbereit", ergänzt ein anderer. "Heute vermittelt er den Jugendlichen, vom falschen Weg auf den richtigen zu kommen", sagt ein Angolaner, der gerade Fachabitur macht. Es hätten sich auch schon einige geändert.

Wer zum Beispiel? "Ich", sagt einer unter seiner Kapuze hervor, "ich hab jeden Tag getrunken, alleine." Yassin heißt er. Dass der Vater wegen einer anderen Frau die Familie verließ, hat ihn umgehauen. Seit dem Hauptschulabschluss weiß er nicht recht weiter. "Aber wegen Yassir hab ich mit dem Trinken aufgehört. So wie Yassir mit uns gesprochen hat, hab ich zuhören können. Er hat uns nicht angeschrien oder gedroht, sondern einfach erzählt von anderen Leuten, die wir auch kennen: dass es bei denen mit Alkohol angefangen hat, und jetzt sind sie schwer drogenabhängig." So wollte Yassin nicht enden! Jetzt geht er wieder zur Schule, sein nächstes Ziel: Abendgymnasium. "Der Yassir hat so viel Postitives aus mir rausgeholt! "

Plötzlich zucken die Jungs zusammen, zwei huschen hinter die Büsche - von fern naht ein hellblonder junger Mann. Es ist Matthias Blohm, 31, Yassirs Manager. "Ich weiß auch nicht, warum", seufzt Blohm, "ich seh irgendwie wie ein Zivilbulle aus." Dabei ist auch er hier aufgewachsen, auch er hat bei den Kumpels abgehangen, die Segen und Fluch zugleich seien, wie er sagt. Heute ist er seinen "spießigen, korrekten Eltern" dankbar, dass sie ihm keine lange Leine gaben. Er hat studiert, jetzt baut er sich eine Existenz mit einer Musik- und Mediaagentur auf und wundert sich, dass er in der Branche allein schon mit seiner Zuverlässigkeit punktet.

Yassir ist einer der wenigen, die über Emotionen singen

Blohm glaubt, dass Yassir eine Perspektive im Musikmarkt hat: "Jeder will Gangster sein, der größte Dealer, der größte Zuhälter ... Und Yassir sagt eben nicht: Guckt mal, ich bin der Kriminellste. Sondern er sagt, wo man damit landet. Er ist ehrlich. Und er ist einer der wenigen, die über Emotionen singen. Das ist ein großes Thema im Hip-Hop: ob einer echt ist."

Drei Monate nach der Haft, der Herbst wird kühl, Yassirs neues Leben nimmt Fahrt auf, aber in eine andere Richtung als erhofft. "Es läuft alles nicht so", sagt er mit dumpfer Stimme. Versunken in seinen dicken Kapuzenpulli sitzt er im Büro seiner Bewährungshelferin und erzählt: Seit dem Konzert sei er nicht mehr abends aus gewesen; aber davor, wenige Tage nach der Entlassung, war er mit Freunden in einer Kneipe, just in der, in der er vor fünf Jahren Hausverbot erhalten hatte. Die Bedienung verwies ihn nach draußen. "Dann beleidigten wir uns gegenseitig." Die Frau erstattete Anzeige wegen Beleidigung und versuchter Körperverletzung. "Aber ich hab sie nicht angefasst! ", sagt Yassir.

Die ungeprüfte Anzeige war für die Ausländerbehörde im Wetteraukreis Anlass genug, Yassir zur Ausreise aufzufordern. Vier Tage blieben ihm, er rannte, knapp vor Ablauf der Frist fand er einen Anwalt. Der legte Beschwerde beim Verwaltungsgericht Gießen ein. Jetzt ist Yassir bang: Ausländerbehörde wie Gericht sind in Hessen als besonders hart bekannt.

"Ich seh kein Licht! Ich bin frei und doch noch gefangen", sagt Yassir. Die Bewährungshelferin, eine ruhige Frau Anfang vierzig, hört ihm zu. "Ich will arbeiten. Ich bin keiner, der sagt, pah, mit Hartz IV krieg ich so viel wie mit Arbeit. Ich muss ja auch den Anwalt bezahlen. Und die Gerichtskosten, sonst richtet sich auch das wieder gegen mich! Ich hätte ein Jobangebot in der Gebäudereinigung, 1600 Euro. Aber die haben mir die Arbeitserlaubnis entzogen." Endlich hört er auf zu reden, er rutscht wieder tief in den Sessel.

"Na, dann schauen wir mal, dass Sie hierbleiben", sagt Elke Mayer mit ihrer tiefen Stimme von der anderen Seite des Schreibtischs. Sie werde dem Gericht schreiben, dass er die Termine bei ihr einhält, und darum bitten, dass er die Gerichtskosten in Zehn-Euro-Beträgen abstottern darf. Er wiederum soll sich von Schule, Tischtennis- und Fußballverein bestätigen lassen, dass er die Kinder bringt und holt, dass er sich kümmert. "Denn jetzt kann das Argument gegen Ihre Abschiebung nur noch das Kindeswohl sein."

"Mein Land ist Deutschland. Zur Not schwimme ich zurück!"

Abschiebung. Yassir richtet sich auf: "Ich sag Ihnen, Frau Mayer, ich kann nicht in Marokko leben. Ich werd dem Richter sagen: Meine Familie ist hier, zur Not schwimme ich zurück. Mein Land ist Deutschland. Ich bin hier geboren, ich bin hier aufgewachsen, ich hab mein Drogenproblem in Deutschland bekommen, nicht in Marokko! "

Die beiden verabschieden sich. Yassir geht schon mal runter auf die Straße, eine rauchen. Die Bewährungshelferin seufzt. "Als er das mit der Kneipe gesagt hab, hab ich schon gedacht: Wie blöd muss man eigentlich sein! Dass man mal ausgeht, klar, aber doch nicht in einen Laden, wo man vorher schon mal Ärger hatte! " Trotzdem ist sie überzeugt, dass Yassir es diesmal schafft. Die Voraussetzungen seien besser als beim letzten Mal: Er habe eine Drogentherapie gemacht; außerdem sei ihm klargeworden, wie sehr er seine Kinder liebe, er habe immer den Kontakt gehalten. "Er hat dazugelernt, da hat eine Umkehr stattgefunden."

Jetzt läuft das Beschwerdeverfahren des Anwalts. Ein wenig Luft für Yassir. Und endlich, dreieinhalb Monate nach dem Gefängnis, sein erstes Solokonzert, im Sinkkasten, einem traditionsreichen Frankfurter Musikclub. Eine Warteschlange bis auf die Straße, jedes Alter von 16 bis 50. Auch ein Pastor hat sich angesagt, der Yassir dafür gewinnen will, in der Schule von seinem Leben zu erzählen.

Oben im Saal heizen befreundete Rapper wie D-Flame, Azad und Blaze dem Publikum schon mal ein: "Wir sind dafür da, dass ihr heut Abend richtig durchdreht! " Frankfurt, Frankfurt, rufen die Leute, egal, ob arabischer, türkischer oder deutscher Abstammung. Die Integrationsbeauftragte hätte ihre Freude. Dann skandieren sie: Yassir, Yassir, Yassir. Der strahlt und vergisst doch seine Botschaft nicht: "Ihr wisst, ich hatte Probleme mit Drogen - wenn ich nur einem von euch die Augen öffne, hätte es sich gelohnt."

Die Fans sind außer sich

Die ganz jungen Fans direkt vor der Bühne singen andächtig jeden seiner Texte mit. Auch weit aus dem Umland sind Jugendliche gekommen. Wie der 17-Jährige mit dem kurdischen Namen Anil. Was ihm gefällt an Yassir? "Andere sagen, der Knast ist cool. Yassir sagt, cool ist, nicht zu dealen." Aber das sagen seine Eltern sicher auch? "Ja, schon, aber unsere Eltern haben das ja nicht erlebt, dass Knast scheiße ist."

"Den nächsten Song", sagt Yassir gerade, "habe ich meiner Frau gewidmet, die ich über alles liebe - und die heute auch da ist." Tatsächlich, sie ist gekommen, mit den Kollegen aus dem Betrieb! Yassir hat ihr versprochen, gleich nach dem Konzert mit nach Hause zu fahren. Er hält sich daran.

Vier Monate nach dem Gefängnis: schlechte Nachrichten. "Der Herr E. steht mit einem Bein in Marokko", sagt Rechtsanwalt Helmut Bäcker. Das Verwaltungsgericht Gießen hat die Beschwerde gegen die Ausweisung abgelehnt. Die familiären Belange seien nicht entscheidend, da Herr E. sich in der Vergangenheit nicht um die Familie gekümmert habe, sondern immer wieder straffällig geworden sei, seine Prognose also schlecht. Kurzum: Herr E. stelle eine Gefahr für Deutschland dar, die Ausländerbehörde dürfe ihn abschieben.

"Seine Vergangenheit wird ihm zum Verhängnis", sagt Anwalt Bäcker, das positive psychiatrische Gutachten sei nicht beachtet worden, "auch ein Grund, warum man die Entscheidung anfechten muss". Bäcker legt Beschwerde beim hessischen Verwaltungsgerichtshof ein. Doch bis das Gericht den Eingang der Beschwerde bestätigt, ist Yassir sozusagen vogelfrei."Die wollen mich loswerden", stöhnt er, "die geben einfach nicht auf."

Am nächsten Morgen um sechs hört Yassirs Frau Geräusche. Durch den Spion sieht sie, wie Polizisten schweres Gerät anbringen, um die Wohnungstür einzurammen. Sie öffnet. Sofort ist die kleine Wohnung voll von Beamten. Yassir ist nicht da. Manager Matthias Blohm ist mit ihm, wie lang vorgehabt, nach Hamburg in ein Studio gefahren, um für die nächste CD zu proben.

Die Vergangenheit wird ihm zum Verhängnis

Zwei Wochen später bestätigt der Verwaltungsgerichtshof den Eingang der Beschwerde, und Yassir wähnt sich sicher. Am Samstag gegen Mitternacht schlendert er durch Frankfurts Innenstadt, Fans sprechen ihn an, bitten um ein Autogramm, Polizisten werden aufmerksam auf das Grüppchen, fragen: "Yassir, der Rapper?" Handschellen klicken, Yassir wird ins Abschiebegefängnis gefahren weil er sich seiner Abschiebung habe entziehen wollen.

"Oje", sagt Bewährungshelferin Mayer bestürzt, als sie davon erfährt, "das hab ich noch nie gehabt, dass wegen einer Beleidigungsanzeige solche Mühlen in Gang gesetzt werden. Da ging es doch nicht um Raubüberfall oder gefährliche Körperverletztung! " Und die Prognose, die ein Psychiater nach langem Gespräch gestellt hatte, die war doch gut!

Yassirs Frau und Manager Matthias Blohm können ihn ein letztes Mal besuchen. "Das war der schlimmste Besuch, den ich je gemacht habe", sagt Blohm hinterher, "wir haben dagesessen und nichts gesagt; nicht mal über Musik konnten wir reden, was ihn sonst immer aufgemuntert hat - weil er vielleicht nie mehr hier auftreten wird." Ihm versagt die Stimme.

Ein Flieger hebt ab Richtung Casablanca...

Am 30. November um 22.25 Uhr hebt in Frankfurt eine Lufthansa-Maschine ab mit Ziel Casablanca/Marokko. Fünf Monate nach seinem Start in ein neues Leben wird Yassir E. in das Land abgeschoben, dessen Pass er besitzt, das aber nicht seine Heimat ist, nicht mal sein Herkunftsland. 36 Jahre nach seiner Geburt in Rüsselsheim. Ausgewiesen "auf Dauer".

Tiefer Winter, in Frankfurt schneit es, im Norden Marokkos regnet's. Yassir ist erst einmal bei Verwandten seiner Frau untergekommen. Es sei eine fremde Welt, sagt er am Telefon mit trüber Stimme. "Mein Leben ist in Frankfurt, die Kinder. . . Meine Kinder sind nicht kriminell. Die haben ihre eigenen Rechte. Ich bin ohne Vater aufgewachsen, und wenn die jetzt auch ohne Vater aufwachsen..."

Er ist kaum noch zu verstehen, weint er? "Mein Großer", sagt er endlich wieder klar, "mein Großer war mal Klassenbester, jetzt kann er sich nicht mehr konzentrieren. Und der Kleine verdrängt alles, der denkt, ich bin auf Tournee."

2000 Kilometer entfernt, in Frankfurt, fragt Anwalt Bäcker Yassirs Frau, ob sie weiter klagen will. Der Anwalt skizziert den Weg - bis hin zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Man habe "starke Chancen", sagt der Anwalt - allein schon, weil Frau und Kinder, die deutsch sind, ein Recht auf Ehemann und Vater haben, laut Grundgesetz und laut Menschenrechtskonvention. Aber es könnte bis 2011 dauern und werde teuer.

Yassirs jüngerer Bruder, gelernter Maler und Lackierer, schimpft: "Der Yassir hatte alle Chancen! Wenn man keinen Ausweis hat, geht man nicht in die Kneipe und nicht in die Innenstadt, sondern hält die Füße still und bleibt zu Hause! " Dann kratzt und leiht er Geld zusammen, um den Anwalt zu bezahlen.

Und Matthias Blohm fliegt durch Hunderte von Fan-Mails, denn irgendwo muss er doch noch sein, dieser Dankesbrief der Mutter eines 18-jährigen Drogenabhängigen. Vielleicht könnte der ja die Richter überzeugen, dass Yassir E. keine Gefahr ist für Deutschland. Endlich, Blohm hat die Mail gefunden: Der Sohn habe geweint, als er Yassirs Song "Therapie" hörte, "Mama, bitte geh mit mir zum Arzt", habe er gesagt und dann eine Therapie begonnen. "Danke, Yassir", schreibt die Mutter, "du hast meinen Sohn gerettet vor dem Absturz. Mach weiter so, du bist Weltklasse! "

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