Alfred Jansen
Ewige Bausstellen
Die Feministin Stefanie Lohaus und die Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner über Menschen, Mörtel und die Lust am Festhalten - und am Verändern
Portrait Anne Buhrfeind, chrismon stellvertretende ChefredakteurinLena Uphoff
Tim Wegner
16.12.2010

Frau Schock-Werner, der Kölner Dom soll ewig halten, wie lange ist denn das?

Barbara Schock-Werner: Der Dom hält, solange die Gesellschaft das Geld dafür ausgeben will. Allerdings: In den vielleicht drei- bis viertausend Jahren Geschichte, die wir überblicken, gab es viele gigantische Bauwerke, die längst verschwunden sind, es ­wäre illusorisch zu glauben, dass uns das nicht irgendwann auch passiert. Also hält er doch nicht ewig, der Dom, aber ewig in unserem kleinen, menschlichen Sinn. Für die nächsten Generationen ist er ewig!

Frau Lohaus, Sie haben eine neue Frauenzeitschrift quasi er­funden, wie weit blickt ein solches Projekt in die Zukunft?

Stefanie Lohaus: Na ja, komplett erfunden haben wir sie nicht, wir haben uns an der US-amerikanischen Frauenzeitschrift „Bust“ orientiert. Medien sind nicht für die Ewigkeit konzipiert. Eine Leserschaft wächst mit der Zeitschrift, und die wird irgendwann altmodisch

Schock-Werner: Haben Sie das Gefühl, dass das Modell „Emma“ auch mit dieser Generation gealtert ist?

Lohaus: Die „Emma“ hat ja eine relativ junge Leserschaft, die sind im Durchschnitt 39 Jahre alt, viel jünger als bei der „Brigitte“. Unsere Leserinnen sind etwa 27 Jahre alt, das ist unglaublich jung! Ich glaube, die „Emma“ spricht viele Frauen meiner Generation an. Wir sind auf eine andere Weise speziell mit vielen Pop-Bezügen, obwohl jetzt ja auch die „Emma“...

Schock-Werner: ...Lady Gaga auf dem Titel hatte!

Lohaus: Während wir die Sängerin eher kritisch sehen.

Schock-Werner: Ich gehöre zur „Emma“-Generation, ich bin Abonnentin der ersten Stunde, Alice Schwarzer und ich treffen uns auch gelegentlich. Manches verwundert einen dann doch, wie der Bericht über Lady Gaga, über die ich natürlich nicht viel wusste. Aber dass sie geradezu als Vorbild hingestellt wurde, fand ich dann doch erstaunlich.

Alice Schwarzer hat mal gesagt, dass die jungen Feministinnen aufbauen sollten auf dem, was die alten geschaffen haben. Funktioniert das so?

Lohaus: Dem widerspreche ich jetzt nicht! Der Feminismus ist eine kontinuierliche Angelegenheit, die Bewegung hat viel erreicht. Als ich zur Schule ging, habe ich nie solche Sprüche gehört, wie: Du bist ein Mädchen, du kannst das nicht. Im Moment liegt die Krux da, wo Frauen Karriere und Familie zusammenbringen wollen, da stellt man fest, dass es mit der Gleichberechtigung nicht so weit her ist, wie man geglaubt hat. Oder: Nach dem Studium ist mir aufgefallen, dass die meisten Männer relativ schnell in gute Positionen kamen, während die Frauen eher eine Sinn­krise hatten, zur Yogalehrerin umschulten oder ein Praktikum nach dem anderen anfingen. Es gibt noch was zu tun für die Frauen­bewegung. Man baut aufeinander auf, man lernt voneinander.

Schock-Werner: An meiner Tochter, die jetzt 27 ist, merke ich erst richtig, dass sich noch gar nichts Wesentliches geändert hat. Dumme Männer an der Universität, die einem sagen: Nein, Sie brauchen sich nicht zu bewerben, wir haben schon eine Frau! – Solche Geschichten kann ich erzählen. Aber die Statistiken sagen ja auch nichts anderes.

Lohaus: Meine Mutter ist Lehrerin, sie erlebt, dass die jungen Kollegen, die nachkommen, nur Frauen sind! Mädchen werden Lehrerin, weil man da Beruf und Familie gut verbinden kann, der Beruf hat gleichzeitig in der Öffentlichkeit an Wertschätzung ­verloren und ist damit für Männer nicht mehr interessant, es gibt de facto Gehaltskürzungen – und schwupps haben sich die Geschlechterverhältnisse in diesem Beruf umgekehrt.

Es gab doch sicher Punkte, wo Sie gesagt haben: Da können wir nicht so weitermachen wie die „Emma“, das sehen wir anders?

Lohaus: Ja, die Sexualität spielt bei uns im Heft eine viel größere Rolle. Zum Beispiel glauben wir, dass man Pornografie nicht verbieten kann, sondern eben aus einer feministischen Sicht ver­ändern sollte. Und wir wollen mehr unterhalten; wir machen Popkultur für junge Leserinnen. Leser haben wir übrigens auch. Ich komme aus dem Kulturbereich, der ist unglaublich männerdominiert, die Musikbranche besteht fast nur aus Typen.

Ein Dom ist ja auch nicht gerade eine Domäne der Frauen...

Schock-Werner: Nun, das Priestertum ist der einzige Berufsstand, der keine weibliche Konkurrenz zu fürchten braucht. Aber verglichen mit deutschen Universitäten ist die katholische Kirche geradezu frauenfreundlich! Ob ich als Frau diesen Posten kriege, war für das Dom­kapitel gar kein Thema. Und im Generalvikariat gibt’s heute mindestens genauso viele Frauen wie Männer. In der Dombauhütte beschäftige ich Steinmetzinnen, Schreinerinnen, Glasrestauratorinnen. Die Gerüstbauer allerdings sind männlich..

Sie haben hier einen Job fürs Leben. Würden Sie Ihrer Tochter auch so etwas wünschen?

Schock-Werner: Ich selbst habe ganz lange gebraucht, bis ich den Job fürs Leben fand, und ich würde niemandem raten, von vornherein auf Nummer sicher zu setzen und sich deshalb nicht vom Fleck zu rühren. So ganz lineare Lebensläufe sind mir immer verdächtig. Umwege können sehr nützlich sein.

Lohaus: Ich finde es total beruhigend, dass Sie das sagen. Meiner Generation wird ja immer eingebleut, dass man möglichst schon mit 15 gewusst haben soll, was man will. So war ich nie! Ich weiß es im Grunde immer noch nicht, und vielleicht mache ich ja auch noch mal etwas ganz anderes.

Schock-Werner: In Ihrem Alter müssen Sie das denken! Es ist doch fürchterlich, mit 30 oder 35 zu wissen, dass man in diesem Beruf oder gar auf dieser Stelle auch mit 65 noch ist. Ich habe ja auch zwei Studiengänge nacheinander absolviert, das können ­unsere Politiker gar nicht leiden, aber genau das hat mich hierher gebracht.

Die meisten Brüche passieren unfreiwillig. Können Frauen ­damit besser umgehen als Männer?

Schock-Werner: Ja, aber nur weil sie ihre Erwartungen von vornherein nicht hochschrauben.

Lohaus: Wenn es so ist, dann ist es kein gutes Zeichen. Ich war in solchen Situationen eher pragmatisch und voller Zweifel. Ich weiß nicht, ob Männer da anders sind.

Schock-Werner: Ich glaube, das ist eher eine Frage des Charakters als eine des Geschlechts. Brüche sind mein Lebensweg. Als ich mich habilitieren wollte, nachdem ich schon lange in der Lehre gewesen war, sagte mir der Erste, an den ich mich wandte: Das lohnt sich nicht, dafür sind Sie zu alt. Wie furchtbar: Eigentlich fühlte ich mich noch auf dem Weg zum Ziel, da wurde ich schon aussortiert. Es dauerte drei Wochen, dann hab ich mich berappelt. Das sage ich meinen Studentinnen – auch den Männern: Gebt nicht so schnell auf, lasst euch nicht frustrieren, glaubt nicht alles, was man euch sagt, bleibt dran, wenn ihr ein Ziel habt.

Frau Lohaus, halten viele junge Frauen den Feminismus nicht für längst erledigt – und nehmen gern den Namen des Mannes an, wenn sie heiraten?

Schock-Werner: Das werden sie alle mal bitter bereuen!

Lohaus: Ja, die rechtliche Gleichstellung war erreicht, da wurde der Feminismus für überflüssig erklärt. Aber gesesellschaftliche Strukturen ändern sich langsamer als Gesetze. Der Konservatismus hat auch weiblichen Nachwuchs! Das fällt richtig auf, wenn die immer besser ausgebildeten Frauen doch wieder in die alte Rollenverteilung rutschen. Und wer auf Karriere setzt, kommt trotzdem nicht so weit wie die Männer. Frauen verdienen weniger und sind häufiger Hartz-IV-Empfänger. Auf der anderen Seite kenne ich viele Frauen, denen eine gleichberechtigte Partnerschaft wichtig ist, mit gemeinsamer Kinderbetreuung und guten Jobs. Ich merke an denen aber auch, dass es schwierig ist. Man muss sich wirklich anstrengen, weil die Politik, aber auch die Umgebung das nicht so richtig fördert. Selbst die eigenen Eltern, auch wenn sie noch so emanzipiert sind, finden es seltsam, wenn es schon wieder der Vater ist, der zu dem schreienden Kind geht.

Schock-Werner: Bei uns war das ein bisschen anders, ich schrieb noch meine Doktorarbeit, als das Kind kam. Mein Mann hat voll gerarbeitet, und abends hat er sich das Kind geschnappt, dann gingen sie drei Stunden spazieren, damit Muttern schreiben konnte. Wir hatten lange ein ganz kleines Auto, so konnten wir uns ein Au-pair-Mädchen leisten. Ein Paar muss und kann viele Entscheidungen treffen, um sich das Leben und die Arbeit wirklich zu teilen. Es geht nicht nur darum, wer zu Hause bleibt. Sie haben natürlich recht, es sind auch die Rahmenbedingungen, aber wenn ich mich auf eine Partnerschaft mit Kind einlasse, muss ich mir überlegen, wie das funktioniert.

Lohaus: Für viele Frauen in Ihrer Generation ging es ja noch um die Emanzipation vom eigenen Ehemann: Wie krieg ich das jetzt durch, dass ich hier nicht den Haushalt machen muss? Das ist eine Problematik, die ich nicht mehr sehe. Ich hatte noch nie eine Debatte darüber, ob die eine öfter spült als der andere. Ich kenne aber auch Frauen, die wissen nicht so richtig, was sie wollen, und bleiben zu Hause. Der Mann, der eh mehr verdient hat, findet sich in der Ernährerrolle wieder, obwohl er das eigentlich auch nicht wollte, aber es ist dann eben bequemer.

Vieles muss sich ändern. Und woran wollen Sie festhalten?

Lohaus: An der Aufbruchstimmung. Die hat mich immer fasziniert an den 68ern. Dieser Glaube daran, dass es gut ist, dass man tatsächlich was verändern kann. An so etwas muss man sich erinnern, das muss man immer wieder hervorholen.

Schock-Werner: Festhalten muss man auch am Misstrauen, zum Beispiel gegenüber dem Modewahn der extremen High Heels, in denen ja kein Mensch laufen kann. Ich bewundere die Frauen, die das tragen, aber eigentlich finde ich es sehr erschreckend, dass es wieder so viele sind. In solchen Schuhen kann man nicht weglaufen. Da frage ich mich schon, was da dahintersteckt.

Und der Dom, warum muss der erhalten werden?

Schock-Werner: Weil ihn absolut niemand abreißen möchte. Köln ohne Dom, das gibt’s höchstens mal als Satire. Es ist unser Dom, ich kenne kein Gebäude, das so sehr im Herzen der Menschen ist wie diese große graue Kirche. Es gibt ihn in tausend Logos, in jedem Karnevalslied kommt er vor. Und er demonstriert, wie viele andere Kirchen, dass wir in einer durch das Christentum geprägten Gesellschaft leben.

Er war sehr lange unfertig, erst im 19. Jahrhundert hat man ihn vollendet. Warum auf einmal?

Schock-Werner: Da spielten verschiedene Dinge eine Rolle, auch die Mittelalterbegeisterung der damaligen Zeit. Vor allem war es die nationale Bewegung, die damals eine progressive war, gegen den Frust der Kleinstaaterei und der gescheiterten Revolutionen. Der Dom wurde zum Symbol fürs Vaterland, für die Einheit.

Ist die ewige Baustelle Feminismus auch irgendwann fertig?

Lohaus: Nein, auch wenn Männer immer mal wieder behaupten, das habe sich jetzt erledigt. Es geht ja nicht nur um die Gleich­stellung von Frauen und Männern, für mich gehört dazu auch die Gleichberechtigung von Menschen aller Hautfarben, es ist eine Utopie, in der alle Menschen die gleichen Möglichkeiten haben, universelle Gerechtigkeit, daran kann man ewig arbeiten. Wie am Dom...

Schock-Werner: ...ja, irgendwo blättert es immer, oder es taucht ein Riss auf, dann muss man seine ganze Planung umwerfen. Der Dom ist ein Kosmos aus Glas und Stein, Kunst und Mörtel – und Menschen. Vom Propst bis zum Kirchenchor und zu den Be­suchern.

Ist es frustrierend, niemals fertig zu werden?

Schock-Werner: Nein! Ich bin ein ganz kleines Glied in einer ­unglaublich langen Kette, das macht bescheiden und stolz zugleich.
Wenn der Dom mal runderneuert ist, ist er dann noch der alte?

Schock-Werner: Das passiert nicht. Ich würde sagen, 92 Prozent des Doms sind noch original. Wir tauschen ja nicht aus, wir reparieren. Und alles, was wir da tun, muss 100 Jahre halten – vorher kommen wir nicht wieder an die gleiche Stelle.

Findet man Handwerker mit einem Sinn für solche Fristen?

Schock-Werner: Nein, deshalb haben wir ja unsere eigenen. Sieben Jahre Gewährleistungsfrist, Ausschreibungen nach EU-Richtlinien, das kann man vergessen.

Wie lange hält eigentlich ein Haus, das heute gebaut wird?

Schock-Werner: Gucken Sie sich die Glastürme der Deutschen Bank in Frankfurt an, Kathedralen des Geldes, wenn man so will. Die mussten jetzt, 30 Jahre nach dem Bau, totalsaniert werden.

Frau Lohaus, wie haltbar ist das, was Sie tun?

Lohaus: Im Moment finde ich die unmittelbaren Effekte interessanter. Vielleicht hat unser Magazin einen kleinen Anteil daran, dass der Begriff Feminismus nicht mehr so negativ konnotiert ist wie noch vor ein paar Jahren. Jetzt werden in den Medien Frauen als Feministinnen bezeichnet, Cindy Lauper zum Beispiel, und das hat keinen bösen Unterton. Vor zehn Jahren wäre es noch eine Beleidigung gewesen. Jetzt kommt eine neue Generation von Feministinnen – auch wenn wir nicht auf die Straße gehen und im Vergleich ganz lieb und brav wirken.

Können Sie sich vorstellen, Weihnachten in den Dom zu gehen, Frau Lohaus?

Lohaus: Nein, das wäre mir zu rummelig. Ich mag das stille Weihnachten, gemütlich in der Familie, alle tragen Jogginganzug, und die Rituale sind noch die aus meiner Kinderzeit.

Schock-Werner: Darauf legen meine Kinder auch Wert. Mensch-ärgere-dich-nicht am ersten Weihnachtstag, das machen wir seit 20 Jahren. Auch wenn meine Tochter sagt, länger als drei Tage könne sie das nicht ertragen. Ich allerdings auch nicht. Und, Frau Lohaus, still ist es doch im Kölner Dom, wenn man ganz früh morgens kommt. Oder zu den Gottesdiensten. Es ist sehr eindrucksvoll, wenn man sich vorstellt, das alles passiert da jetzt seit 800 Jahren.

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