Glaubitz-Heidepriem
Mission Mensch
Joachimsthal liegt in Brandenburg. Joachimsthal ist keine von Neonazis "befreite Zone" - und das hat viel zu tun mit dieser Frau: Pfarrerin Bea Spreng kämpft couragiert gegen rechtsradikale Umtriebe
Hedwig Gafga, Autorin
07.10.2010

"Gott ist scheiße, Du auch! ", hat jemand ins Gästebuch geschrieben, das vorn in der Kirche liegt. Die Pfarrerin hat geantwortet: "Wer oder was ist Gott für dich? Welche Wut, welche Traurigkeit oder welche Enttäuschung ist das in dir? Waren Menschen für dich , Scheiße' oder doch Gott? Was wünschst du dir? Wie sind deine Träume, die vielleicht doch (ein bisschen) wahr werden könnten? Hast du den Mut, dich hier in diesen Raum zu setzen und darüber nachzudenken, ganz für dich allein? Bea Spreng." Typisch für die Pfarrerin von Joachimsthal, der 3300-Einwohner-Stadt in Brandenburg mit rund 850 evangelischen Kirchenmitgliedern: Sie geht dem hasserfüllten Ausbruch nach, fragt den Schreiber, was in ihm vorgeht. Lädt ihn ein. Wer sonst setzt sich mit einer Beschimpfung so auseinander? Und wer fragt schon nach Wünschen und Träumen in einer Stadt, aus der viele fortgehen, weil sie keinen Ausbildungsplatz finden und keine Arbeit?

Hedwig Gafga, Autorin

Hedwig Gafga

Hedwig Gafga arbeitet als freie Journalistin in Hamburg. Sie ist im Taunus aufgewachsen und studierte in Marburg Deutsch, Russisch und Evangelische Theologie. Durch eine Weiterbildung und freie Mitarbeit kam sie 1995 zum "Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt". Sie führte Interviews, schrieb Reportagen und Porträts. Im Zentrum standen Menschen, ihre persönlichen Lebenswege und Entscheidungen. Sie traf Parteivorsitzende, Wissenschaftlerinnen, Teenagermütter und Menschen, die illegal in Deutschland sind. Ein weiterer Schwerpunkt ihrer Arbeit: Menschen und ihre Religion. Ihre chrismon-Reportage "Schlaue Kerle, das sind sie beide" über einen Mentor und einen ausländischen Jugendlichen gewann 2005 den ersten Preis der Robert-Bosch-Stiftung für Bürgerschaftliches Engagement. In den letzten Jahren schrieb sie neben Printtexten auch Radio-Features, darunter "Ein unbeirrter Rechercheur", ein Porträt des NS-Forschers Ernst Klee, "Ich kam mir vor wie im Film" über junge Israelis, die in Deutschland als Freiwillige arbeiten, und "Schweige und höre", eine Reportage über die "Kirche der Stille" in Hamburg

Allerdings, die Frau mit den knallroten Lippen, mit knielangem Rock und schwarzer Bluse ist nicht nur die einfühlsame Seelsorgerin. Wenn Rechtsradikale in der Region für ihre Ideen werben oder andere attackieren, reagiert sie energisch. Sie informiert, organisiert Gegenveranstaltungen, ruft die Polizei. Es sei ihr zu verdanken, dass die Plätze in Joachimsthal heute nicht mehr von glatzköpfigen Jugendlichen in Springerstiefeln belagert würden, sagen viele. Sie lässt nicht zu, dass rechtsradikale Aktivisten die Ängste der Leute für ihre politischen Zwecke missbrauchen. Wie im Jahr 2008, als die NPD in der Kleinstadt eine Demonstration gegen die Freilassung eines wegen Vergewaltigung verurteilten Mannes inszenierte und Bea Spreng zu einer Gegenkundgebung vor der Kirche einlud, "anders als früher kamen auch die Vertreter der Stadt", erinnert sie sich.

Anfangs war sie die, die aus dem Westen kam

Seit 15 Jahren bekämpft sie den Rechtsradikalismus in der Region, die Geschichten aus der Anfangszeit erzählt sie nicht mehr. Vielleicht weil sie froh ist, dass sich die Situation geändert hat und die Einwohner sie heute nicht mehr als Nestbeschmutzerin betrachten, die mit ihrem Geschrei die Touristen verschreckt. Anfangs war sie "die aus dem Westen", dazu verheiratet mit einem Künstler, der die "Kreuzberger Musikalische Aktion" leitet, musikalische Erziehung besonderer Art, Bands, in denen auch türkische und arabische Jugendliche mitspielen. Als eine der Bands in der Kirche auftrat, überfielen Rechtsradikale die Gäste, griffen deren Bus an, bis sie unter Polizeibegleitung abreisen mussten. Im Gemeindearchiv sind viele weitere Übergriffe verzeichnet. "Es war lebensbedrohlich", so viel sagt die Pfarrerin dann doch.

Für Angst ist in ihrem Leben kein Platz

Das Wort Angst mag sie nicht in den Mund nehmen, als wolle sie dem Gefühl in ihrem Leben keinen Platz einräumen. Musik und Rhythmus, Bands und Demos, offene Kirche und offenes Pfarrhaus, all das gehört zu ihr. Und natürlich die Menschen, die sie umgeben wie eine zweite Familie, die warmherzige ehemalige Handelskauffrau, die im Pfarrhaus Besucher empfängt, der junge Musiker, der den ganzen Tag für Livemusik sorgt, die gelernte Melkerin, die kocht und Andachten hält. Das alte Pfarrhaus mit langen Tischen, ausladenden Sofas, Flügel und Klavier bevölkern Musiker, Ehrenamtliche, Hartz-IV-Empfänger. Die Sprengs haben außerdem eine private Wohnung in einem Nachbarort. Stark sei sie, sagt die Pfarrerin, auch ihre Familie, Ehemann und Tochter. Doch ein Bild fällt ihr ein: Wie sie sich in der Zeit der ständigen Übergriffe einmal, hochschwanger, auf dem Sofa verkroch und einfach nicht mehr weiterkonnte. Bis eine Frau aus einer Stiftung gegen Rechtsradikalismus vorbeikam und sie so lange tröstete, bis die Pfarrerin wieder aufstand.

Die Kreuzberg-Connection blieb bestehen. Sie hat nur kurz daran gedacht wegzuziehen aus Joachimsthal, stattdessen legte sie richtig los, zutiefst überzeugt, dass sich das Blatt wenden lässt. "Wie kriege ich die Jugendlichen in die Kirche?", hat sie sich gefragt. "Zu meinen Predigten kommen die nicht." Dann brachte sie die Bandkultur in die Kleinstadt. Kinder lernen Instrumente spielen und Jugendliche, von denen manche noch nie zuvor in Berlin waren, treffen sich auf Musikfesten mit Kreuzberger Kindern. Übernachten schon mal in türkischen Familien. E-Piano, Schlagzeug, Gitarre, Streetdance, sechs Bands und zwei Tanzgruppen proben in abgetrennten Räumen der Kirche, angeleitet von stundenweise bezahlten Musikern. "Ich bin was, ich kann was. Wer das spürt, braucht andere nicht auszugrenzen", sagt die Pfarrerin. Die zwei Musiktage im Advent und im Sommer werden in der Joachimsthaler Kirche so groß gefeiert wie Weihnachten und Ostern.

Die Pfarrerin ist immer erreichbar

Die Absätze ihrer eleganten Schuhe klopfen einen schnellen Takt auf die Dielen im alten Pfarrhaus. In der rechten Hand hält sie das Handy, links hantiert sie mit dem Schlüsselbund, wie unter Strom. Meist wartet gerade jemand auf sie, ein Handyanrufer übermittelt, dass seine schwerkranke Mutter das Abendmahl empfangen möchte, im Büro sitzt eine Flüchtlingsfrau, die ratlos einen Behördenbrief in der Hand hält. Die Pfarrerin ist erreichbar. Ihre Handynummer setzt sie in den Gemeindebrief, ihre Sprechzeiten: "nach Vereinbarung oder einfach versuchen".

Neben dem normalen Gemeindeprogramm absolviert sie ein größeres, das man als Kampf gegen Faschismus im Alltag bezeichnen könnte. Menschen sollen nicht schlecht behandelt, verfolgt, aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden. Nicht in ihrem Umfeld. Ihr Gegenprogramm zur Naziideologie, von der sie glaubt, dass sie in Deutschland noch nicht überwunden sei. So fuhr sie mit Jugendlichen zu einer Demonstration, die sich gegen die Sonnwendfeier auf dem Grundstück eines DVU-Politikers im nahen Finowfurt richtete. So etwas lässt sie nicht ruhen, und sie wundert sich, dass es andere ruhen lässt, Kollegen sogar.

Warum handeln nicht alle Pfarrer so wie sie?

Was hat sie so sensibel gemacht für die Verbrechen der NS-Zeit? Genervt wehrt sie ab: Es sei doch wohl normal, dafür sensibel zu sein als Deutsche. Als ehemalige Geschäftsführerin der Aktion Sühnezeichen weiß sie, dass es nicht die Norm ist. Aber die Pfarrerin setzt ihre Maßstäbe. An die Pforte der viertürigen Kreuzkirche hat sie ein Plakat der Landeskirche gehängt. Darauf sind Buntstifte zu sehen und der Schriftzug "Rechtsextremismus entgegentreten - Demokratie stärken". Wenn es nach ihr ginge, hinge es an jeder Kirchentür. Dass Menschen gleich viel wert sind, soll selbstverständlich sein. Der schwarze Lehrer zum Beispiel, der früher im nahen Flüchtlingslager lebte, unterrichtet jetzt im evangelischen Kindergarten Englisch. Auch wenn einige Eltern gefragt hätten: "Muss das sein?"

Fast widerwillig erzählt sie aus ihrer Vita: "Mit meinen Fragen nach der NS-Zeit bin ich in meiner Familie gegen Mauern gerannt." Hingegen hätten die Lehrerinnen in der Klosterschule, die sie besuchte, offen über die Vergangenheit gesprochen. Gegen die strenge Erziehung dort habe sie aber rebelliert. Aus politischem Protest beschloss das Mädchen aus katholischem Haus, evangelische Theologie zu studieren, und fand in Theologen der Bekennenden Kirche wie Martin Niemöller und Helmut Gollwitzer ihre Vorbilder.

Wie diese ist sie eine Person, die für ihre Haltung einsteht. Viele kennen sie auch als eine Frau, die anderen Schutz gewährt, ihnen neben sich Raum schafft und sie ermutigt. "Als wir Probleme hatten, haben meine Mutter und ich eine Zeitlang im Pfarrhaus gewohnt", erzählt ein Jugendlicher. "Sie unterstützt uns in allem", sagt die 19-jährige Maria, Mitglied bei den "Bands auf festen Füßen". Einige der jüngeren Bandmitglieder hingegen rollen die Augen. "Sie ist chaotisch. Manche Geschichten aus ihrem Leben habe ich schon zigmal gehört."

Ob sie Christen sind oder nicht, wissen die meisten Jugendlichen aus den Bands nicht so genau. Darauf kommt es der Pfarrerin nicht an. Ihre Mission zielt auf Menschlichkeit. "Die proben in der Kirche, da bleibt doch was hängen. Das macht dann doch der liebe Gott." Bei ihr selber sei die Frömmigkeit mit dem Amt gewachsen. Ob sie im Altenheim "Großer Gott, wir loben dich" anstimmt, mit der zweiten Grundschulklasse "Joshua fought the battle of Jericho" übt oder mit Taufeltern den Gospel "My life is in your hands" singt, in diesen Momenten wirkt sie ruhig und so vertieft, als käme sie endlich bei sich selber an.

Nach einem Tag voller Termine fährt sie aufs Straßenfest nach Berlin. Am nächsten Tag ruft sie noch einmal an, weil gerade alles gut ist: "In der Kirche tanzen die Streetdancerinnen, im Pfarrhaus spielt die Gospelband, und im Pfarrgarten legt eine Frau, die von Hartz IV lebt, ein neues Beet an."

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Deutschland, und die EKD mit ihrer sozialistisch geprägten Schwesterkirche haben offensichtlich nur ein großes Lieblingsthema, und zwar Ost und West, und Nazibekämpfung, d.h den sozialen Kampf in vielerlei Form.
Da gibt es wenig Raum für andere Gedanken, als die an die sozialistische Vergangenheit, den Fall der Mauer, der zwar couragiert, aber mit versteckter innerer Gewalt statt fand.

Diese Frau muss, weiß Gott, eine Heilige sein!!!

Deutschland ist so Scheiße, dass ich spätestens nach diesem Artikel erkennen muss, nichts ist wichtig, außer deinem eigenen Ego , und der Tatsache, nur dich selbst und dein eigenes Leben im Blick zu haben.
Der "liebe Herrgott", ist sowas von verlogen, und er liebt Geschichten und Geschichtenerzähler am allerliebsten.
Und die Kirche ist clever, beide Kirchen sind es. Sie waren und sind im Besitz eines universellen Wissens, und das allein überzeugt mich, die Menschen weniger. Die soziale Leistung ist enorm, und das ist zu würdigen.

Integration in diesem Zusammenhang, scheint mir , ist ein notweniges Anhängsel.

Außerdem kann ich mich sehr gut an die Zeit erinnern, als Hartz IV eingeführt wurde. Nein, Deutschland ist "kein schöner" Land , aber hier leben Menschen, deren Leben auch wichtig ist.

Und noch etwas: eine Frau im engen Rock, mit roten Lippen, spitzen Schuhen, passt so gut in die Moderne, in das hochmütige EKD Selbstbildnis hinein, dass man sich nur freuen kann!

Und englische Kirchenlieder im Kindergarten, oh, das erweitert den Horizont, und macht kluch...! Die Frau Pfarrer ist eben eine Frau von Welt, aus dem Westen...,

Oder ist mit dem Autor dieses Textes ein wenig die Phantasie durchgegangen?

May be...und "Grüß Gott, alle miteinand..."

Das Liedgut finde ich vollkommen langweilig. 100 Jahre zurück, der Lippenstift und moderne Schuhe kreieren vor allem das eigene Leben ...

Informativ, ärgerlich, absolut egoistisch, aber das gemeine Volk ist dumm, immer gewesen.

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Die Welt ist so voller Hass, da bin ich froh über Menschen die dem entgegenwirken. Und auch wenn es einige nicht kapieren wollen, ein friedliches Miteinander ist der einzige Weg, wo wir alle glücklich werden können.

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Zitate aus dem Artikel: 1.)"Neben dem normalen Gemeindeprogramm absolviert sie ein größeres, das man als Kampf gegen Faschismus im Alltag bezeichnen könnte." 2.)"Darauf sind Buntstifte zu sehen und der Schriftzug "Rechtsextremismus entgegentreten - Demokratie stärken". Wenn es nach ihr ginge, hinge es an jeder Kirchentür." --------------------------------------------------------------------------- Am Faschismus soll einem immer nur der Unterschied zur demokratischen Form der staatlichen Gewaltausübung auffallen. Von den ganz wesentlichen Gemeinsamkeiten dieser zwei Formen der politischen Herrschaft, derer sich marktwirtschaftlich organisierte Gesellschaften bedienen, soll keine Rede sein. Klar, denn sonst würde sich antifaschistisches Engagement richtiger Argumente bedienen, die auch immer eine Kritik an den bestehenden Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen darstellen. Das wollen anständige Menschen selbstverständlich nicht lesen, schon gar nicht an Kirchentüren. Da rüsten wir lieber die Kleinen mit Klampfen aus und bilden uns ein, das helfe gegen braunes Gedankengut.

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