Nur Argumente, keine Rücksichten
Johann Friedrich Struensee war Armenarzt und Minister. In Dänemark führte er die Pressefreiheit ein und die Babyklappe. Er war ein Reformer, wenn auch kein frommer
Portrait Anne Buhrfeind, chrismon stellvertretende ChefredakteurinLena Uphoff
07.10.2010

Es hat ein böses Ende mit ihm genommen. Nicht nur deshalb ist davon abzuraten, seinem Vorbild zu folgen. Johann Friedrich Struensee, Armenarzt aus Altona, liebte eine Königin, das ist gefährlich. Er folgte als Politiker hartnäckig seinem Verstand, damit kann man sich Feinde machen.

Der Sohn eines pietistischen Hallenser Pfarrers behandelte seit 1757 in Altona Waisenkinder, die an der Krätze erkrankt waren, mit Schwefelsalbe, wetterte gegen Wunderheiler, probierte Pockenschutzimpfungen aus - was ihm Ärger mit der Kirche einbrachte, die so etwas als Eingriff in die göttliche Vorsehung betrachtete. Er riet, die Kranken in den Spitälern zu behandeln, statt sie dort einfach nur aufzubewahren, und zur Vermeidung von Kindermorden schlug er vor, eine Drehlade anzubringen, "in die man unerkannt das ungewünschte Kind hineinlegen" konnte. Ein guter Armenarzt. Aber nicht mit ganzem Herzen. Struensee, jung, blond, von "angenehmen und feinen Manieren" und "freyem Gang", fühlte sich auch in der Gesellschaft der holsteinischen Grafen Rantzau recht wohl, er war ehrgeizig und dem guten Leben nicht abgeneigt.

Da traf es sich, dass nach zehn Jahren in Altona ein neues Angebot kam. Der dänische König (der heutige Hamburger Stadtteil gehörte damals zu Dänemark) ließ anfragen, ob er ihn auf einer Europareise begleiten wolle. Struensee begleitete Christian VII. in Brüssel und London zu seinen Terminen, lernte in Paris die Enzyklopädisten kennen. Die beiden Reisegefährten, angesteckt vom Geist der Aufklärung, entwarfen die Reformen, die Dänemark in einen modernen Staat verwandeln sollten. Allerdings: der König, gerade Anfang 20, war labil, psychisch krank und jähzornig. Ein Pulverfass, aber doch klug und fortschrittlich.

Da war was zwischen der Königin und ihrem Leibarzt

Nach der Reise blieb Struensee in Kopenhagen, er blieb der Vertraute des Königs und bemühte sich als Erstes um dessen schwierige Ehe mit der 17-jährigen Caroline Mathilde, was Struensee den Ruf einbrachte, "der Leibarzt der Königin" zu sein (und Jahrhunderte später die Ehre, als Hauptfigur im Bestseller von Per Olov Enquist aufzutreten). Da war etwas zwischen der Königin und dem Arzt. Nach seiner plötzlichen Verhaftung hat er das auch zugegeben. Alles andere, was man ihm später vorwarf, war entweder erfunden - oder es gab keinen Grund, sich zu distanzieren.

Am 4. September 1770 hatte in Kopenhagen die "Struensee-Zeit" begonnen. An diesem Tag unterschrieb er den ersten von 1800 Erlassen im Namen des Königs. Pressefreiheit! Voltaire in Paris war begeistert. Bald erschienen in Dänemark viele anonyme Schriften über Amtsmissbrauch und Justizskandale, es wurde aber auch nach Belieben geschmäht und gehetzt; Struensee, inzwischen Kabinettsminister, korrigierte sich. Nun musste jede Schrift mit Namen gekennzeichnet sein.

Struensee vereinfachte die Verwaltung, kürzte "Gnadengehälter", schloss unrentable königliche Manufakturen. Er schaffte die Bestrafung von Ehebruch ab und stellte uneheliche und eheliche Kinder gleich. Er ließ Gerichtsurteile überprüfen, gründete öffentliche Verpflegungsanstalten für Arme (das Geld kam aus der Lottokasse) und sorgte dafür, dass Prostituierte medizinisch betreut wurden.

Letzteres kam in der Bevölkerung nicht gut an. Beim Adel machte sich Struensee unbeliebt, als er ihn der allgemeinen Gerichtsbarkeit unterstellte. Hieß: Hochverschuldete Grafen - wie sein Gönner Rant-zau-Ascheberg - konnten nun von ihren Gläubigern verklagt werden. Er schaffte neun(! ) kirchliche Feiertage ab, gebot religiöse Toleranz, managte die Krise nach einer Missernte und erlegte den Reichen höhere Steuern auf, wie der Historiker Udo Grashoff in seiner Struensee-Biografie erzählt.

Was dem Hallenser weniger lag: Selbst-PR. Seine Erlasse wirkten willkürlich, er konnte sie nicht kommunizieren. Er kannte nur Argumente, keine persönlichen Rücksichten. Das wurde ihm bald zum Verhängnis. Struensee landete auf dem Schafott, das Volk verhöhnte sein Andenken - es dauerte Jahre, bis der nächste König einen Teil seiner Reformen wieder einführte. Und Jahrhunderte, bis die Nachwelt erkannte, von was für einem aufgeklärten Geist Dänemark 16 Monate lang regiert worden war.

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