Wie ist die Bibel entstanden?
Wie ist die Bibel entstanden? Sie gilt als ein besonderes Dokument des Glaubens. Wer sie geschrieben hat, liegt aber teilweise im Dunkeln. Manche vermuten, Gott habe die Texte den Autoren in die Feder diktiert
07.10.2010

Der Apostel sitzt und schreibt. Bei ihm sind Engel, die ihn stärken und ihm die Worte des Heiligen Geistes einflüstern. So wie in zahlreichen Darstellungen des Heiligen Johannes auf Patmos stellte sich die Christenheit jahrhundertelang die Entstehung der Bibel vor. Doch so ist es nicht zugegangen. Die biblischen Schriften sind in einem langen, langen Prozess entstanden. Sie sind von Menschen geschrieben und nicht vom Himmel gefallen.

Einen besonders langen Entstehungsprozess haben die Schriften der hebräischen Bibel, des sogenannten Alten Testaments, hinter sich: Mündliche Erzählungen, die teilweise bis in das zweite Jahrtausend vor Christus zurückreichen, wurden etwa ab dem sechsten Jahrhundert gesammelt, aufgeschrieben, wieder umgeschrieben, mehrfach bearbeitet und schließlich zusammengefügt. Man nimmt an, dass dieser Prozess erst um das Jahr 100 vor Christus abgeschlossen war.

Matthäus und Lukas haben bei Markus abgeschrieben

Bereits zweihundert Jahre zuvor waren große Teile dieser hebräischen Bibelschriften ins Griechische übersetzt worden. Es entstand die sogenannte "Septuaginta", zu Deutsch: siebzig. Der Name dieser ersten Bibelübersetzung verdankt sich einer Legende, nach der sich zweiundsiebzig weise Männer in einer Höhle in Ägypten einschlossen, um die hebräischen Bibeltexte zu übersetzen.

Die Entstehung des Neuen Testaments, also der biblischen Schriften, die von Jesus Christus erzählen, erstreckt sich über einen nicht ganz so langen Zeitraum, ist aber mindestens genauso vielschichtig: So sind die Evangelien größtenteils Kompendien aus allerlei schriftlichen und mündlichen Quellen.

Die Bibelwissenschaft hat schon vor Jahrhunderten festgestellt, dass für die beiden Evangelien des Matthäus und des Lukas das kürzere Evangelium des Markus eine gemeinsame Quelle war. Darüber hinaus haben beide sehr ähnliche Passagen, die weithin Reden und Aussprüche Jesu enthalten, die aber nicht bei Markus vorkommen. Diese Texte bezeichnet die Wissenschaft als "Logienquelle Q". Außerdem gibt es noch Inhalte, die nur bei einem der beiden Evangelien vorkommen. Sie nennt man dann entweder matthäisches oder lukanisches Sondergut.

Auch die anderen Teile des Neuen Testaments spiegeln die Vielfalt des Entstehungsprozesses wider: So sind von dreizehn Briefen, die angeblich der Apostel Paulus geschrieben hat, höchstens neun wirklich von ihm. Erst um das Jahr 400 war die neutestamentliche Kanonbildung dann abgeschlossen. Sicher ist auch, dass in den ersten Jahrhunderten im Mittelmeerraum ein reichhaltiges frühchristliches Schrifttum entstand. Der neutestamentliche Kanon, den wir heute haben, bietet daraus nur eine kleine Auswahl.

Die Auswahl der biblischen Schriften hätte auch ganz anders ausfallen können

Wenn man mit nüchternem Blick und ohne jede Wundergläubigkeit an die Schriften der christlichen Bibel herangeht, muss man feststellen: Diese Texte sind von Menschenhand entstanden. Natürlich kann man, wie es einige konservative Christen bis heute tun, trotzdem eine wie auch immer geartete Eingebung der biblischen Schriften durch Gott annehmen.

Für die anderen aber gilt, was Ernst Käsemann 1951 schrieb: "Der biblische Kanon erklärt nicht die Einheit der Kirche, sondern die Vielfalt der Konfessionen." Damit unterstreicht der bekannte deutsche Neutestamentler: Schon aus einer sachlichen Zusammenschau der biblischen Schriften beider Testamente legt sich die Erkenntnis nahe, dass Menschen zu verschiedenen Zeiten in sehr unterschiedlicher Form vom Glauben an den Gott Israels und an Jesus Christus ergriffen worden sind und dies aufgeschrieben haben. Insofern gilt: Die Auswahl des biblischen Kanons hätte auch ganz anders ausfallen können.

Muss diese Tatsache Christen in ihrem Glauben erschüttern? Nein, denn der Wert der Bibel misst sich nicht daran, ob ihr Text vom Heiligen Geist eingegeben wurde. Ihr Wert misst sich an ihrer jahrtausendelangen Gebrauchsgeschichte, in der Menschen immer wieder durch die Bibel, dieses unvergleichliche Buch, in die Geschichte Gottes und Jesu Christi verwickelt worden sind. Aber: Die Entscheidung, sich auf die biblische Überlieferung und ihre vielstimmige Wahrheit einzulassen, muss jeder Mensch letztlich selbst treffen. 

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